Ein Fels in der Brandung? – Mit Schweizer Werten erfolgreich durch die Krise

Das zweite Quartal wird den grössten Konjunktureinbruch seit dem zweiten Weltkrieg bringen. Die Bewältigung der Coronasituation stellt die Staaten vor grosse Herausforderungen. Die Schweiz hat aber beste Voraussetzungen dafür, diese gut zu meistern. Die breit diversifizierte Wirtschaft, solide Finanzen sowie eine hohe Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit bilden das Fundament für eine entsprechende Erholung.

Die kleine Schweiz ganz gross – Zweithöchste Wirtschaftsleistung pro Kopf

Die Wolken am Horizont sind tiefschwarz. Das laufende zweite Quartal wird absolut betrachtet den grössten Rückschlag in der Wirtschaftsgeschichte bringen. Das globale Bruttoinlandsprodukt (BIP) dürfte zweistellig einbrechen. Die tiefe Rezession führt zu einem raschen Anstieg der Arbeitslosigkeit und wird das Konsumverhalten für eine längere Zeit negativ beeinträchtigen. Auch die Unternehmensgewinne werden leiden. Analysten rechnen mit einem Gewinneinbruch von über 25 %. Und dies wohlgemerkt unter der Prämisse, dass eine zweite Infektionswelle mit dem Coronavirus ausbleibt. All diese negativen Schlagzeilen und Entwicklungen stehen im Fokus der aktuellen medialen Berichterstattung. Umso erstaunlicher ist der Blick auf die hiesige Börsenentwicklung. Der Swiss Market Index (SMI) notiert – trotz der schlimmsten Wirtschaftskrise seit dem zweiten Weltkrieg – gerade einmal 5 % im Minus und damit nur rund 11 % vom Allzeithöchst entfernt. Die Aktien der beiden Indexschwergewichte Nestlé und Roche liegen seit Jahresanfang sogar im Plus. Die Schweiz als ein Fels in der Brandung?

Tatsächlich hat die Schweiz beste Voraussetzungen, um die Coronasituation (zumindest relativ betrachtet) gut zu meistern. Die politische und wirtschaftliche Stabilität, eine hohe Innovationskraft, ein ausgeprägtes Qualitätsbewusstsein, solide Finanzen und ein hervorragendes Bildungssystem sind Eigenschaften, die für die Schweiz sprechen.

Die Schweiz gilt als eine der stabilsten Volkswirtschaften und liegt gemessen an ihrem Bruttoinlandsprodukt weltweit an zehnter Stelle. Wenn man das relevantere Bruttoinlandsprodukt pro Kopf heranzieht, sogar auf dem zweiten PlatzEin grosser Vorteil gegenüber vielen anderen europäischen Staaten ist die Struktur der Wirtschaft beziehungsweise die breite Branchendiversifikation. Hauptarbeitgeber ist der Dienstleistungssektor mit seinem starken Handels- und Finanzplatz.

Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf in US-Dollar (2018)

Quellen: IWF, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Einen wesentlichen und sehr stabilen Teil der Wertschöpfung macht zudem die Pharmabranche aus. Aber auch der Tourismus und die Industrie sind von grosser Bedeutung. Neben den weltweit bekannten Grosskonzernen bilden die vielen KMU das Rückgrat der Schweizer Wirtschaft. Dabei gehören viele zu den Weltmarktführern in ihren Nischen. Das Prädikat «Swiss Made» steht dabei für Top Qualität und ist im Ausland besonders begehrt. Die hohe Innovationskraft der Schweizer Unternehmen basiert auf einem hervorragenden Bildungssystem. Gemäss aktuellster Analyse des IMD belegt die Schweiz weltweit Rang 4 unter den wettbewerbsfähigsten Staaten der Welt; knapp hinter Singapur, Hongkong und den USA. All diese Faktoren dürften dazu beitragen, dass die Schweiz auch aus der aktuellen Krise gestärkt hervorgehen wird. 

Sehr tiefe Schuldenquote erhöht den finanziellen Spielraum

Keine Volkswirtschaft ist allerdings immun gegen unerwartete und exogene Schocks. Wenn dann sogar – wie jetzt während der Corona-Pandemie – ganze Wirtschaftszweige staatlich verordnet lahmgelegt werden, trifft das auch die innovativsten Firmen hart. Entsprechend ist es auch folgerichtig, dass die Schweizer Regierung entsprechende Unterstützungsmassnahmen ergriffen hat. Das Corona-Hilfspaket in der Grössenordnung von 67 Milliarden Schweizer Franken ist enorm, macht es doch fast 10 % des jährlichen BIP aus.  

Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf in US-Dollar (2018)

IWF, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Dies wird entsprechend zu einem deutlichen Schuldenanstieg führen. Im Vergleich zum Ausland ist aber auch diesbezüglich die Ausgangslage für die Eidgenossenschaft sehr gut. Dank der Schuldenbremse und einer sehr konservativen Finanzpolitik beliefen sich die Staatsschulden in der Schweiz per Ende 2019 auf «nur» rund 40 % des BIP. Im weltweiten Vergleich ist dies ein Spitzenwert. Hinzu kommt, dass aufgrund der sehr stabilen Finanzlage die Eidgenossenschaft weiterhin über ein AAA-Rating verfügt und somit als Hort der Stabilität gilt. Dies wiederum führt dazu, dass trotz Negativzinsen die Nachfrage nach Schweizer Staatsanleihen hoch bleibt. Somit kann die Schweiz nicht nur gratis Geld am Kapitalmarkt aufnehmen – sondern erhält sogar noch Geld dafür. Solange das Tiefzinsumfeld anhält – was unserem Hauptszenario entspricht (siehe Anlageguide «Im Land der untergehenden Sonne» vom Mai) –  ist also die zusätzliche Verschuldung ein überschaubares Problem.  

Ein sorgsamer Umgang mit den Finanzen ist allerdings nicht nur eine Tugend des Bundes, sondern auch vieler Firmen sowie Privatpersonen. Die Sparquote (freiwilliges Sparen sowie «Zwangssparen») ist in der Schweiz sehr hoch und belief sich in den vergangenen Jahren konstant auf über 20 % des verfügbaren Bruttoeinkommens. Insofern ist auch diesbezüglich die Ausgangslage gut, um ein paar magere Jahre zu überstehen.

Zuletzt gab es aber auch bei der Entwicklung der Coronasituation Silberstreifen am Horizont. Die Neuinfektionszahlen zeigen kontinuierlich nach unten. Die Spitäler können nun zusätzliche Vorsorge treffen und sich für eine allfällige zweite Welle rüsten. Zudem wird weltweit mit hohen Anstrengungen und massiven Investitionen an Impfstoffen sowie Medikamenten geforscht. Die schrittweisen Lockerungsmassnahmen führen zu einer Stabilisierung der Wirtschaft und dürften eine langsame aber schrittweise Erholung einläuten. Das zweite Quartal sollte somit den Tiefpunkt der Konjunkturentwicklung markieren. Ab dem Sommer dürfte es somit wieder aufwärts gehen – auch wenn der Weg steinig bleibt. Die Schweiz hat die besten Voraussetzungen um auch diese Krise zu meistern. Dank den typischen Schweizer Werten und Tugenden. Wir tun gut daran, uns auch weiterhin auf diese zu besinnen.

Der CIO erklärt: Was heisst das für Sie als Anleger?

Während wir die schlimmste Wirtschaftskrise seit dem zweiten Weltkrieg erleben, notiert der Swiss Market Index (SMI) gerade einmal 5 % im Minus und gehört damit zu den «Outperformern» in diesem Jahr. Dies notabene nach einem Kursplus von 30 % im vergangenen Jahr.

Ein genauerer Blick zeigt allerdings, dass nur eine Handvoll Aktien zu dieser Stabilität beigetragen haben. Die Indexschwergewichte Nestlé, Roche und Novartis sowie Swisscom haben sich gut gehalten und notieren teilweise gar im Plus. Dafür wurden Zykliker stark abgestraft. Aufgrund der weiterhin unsicheren konjunkturellen Entwicklung bleiben wir leicht defensiv positioniert. Dies drückt sich unter anderem auch in einer Präferenz für Schweizer Aktien aus. Zudem dürfte der Schweizer Franken – trotz Interventionen der SNB – stark bleiben. «Swissness» ist also weiterhin Trumpf.    

Matthias Geissbühler, CIO Raiffeisen Schweiz