Gezeitenwende – Ende der Geldflut

Das Ende der Geldschwemme naht. Aufgrund der hartnäckig hohen Inflation sind die Notenbanken gezwungen, auf die geldpolitische Bremse zu treten. Höhere Zinsen sind Gift für die Konjunktur und die hoch bewerteten Finanzmärkte. Entsprechend schmal ist der Grat, auf dem sich die Währungshüter bewegen. Die Volatilität wird entsprechend in den kommenden Monaten hoch bleiben.

US-Teuerung steigt auf ein 40-Jahrehoch

Es ist der Traum jedes Investors: Unlimitiertes Gewinnpotenzial bei 100% Kapitalschutz. Zwar kann jeder Anleger mit dem Kauf von Put-Optionen in seinem Portfolio einen solchen Kapitalschutz implementieren. Die Kosten dafür sind aber immens. Wer beispielsweise einen ETF auf den Swiss Market Index (SMI) hält und den Wert mit dem Kauf von Put-Optionen zu 100% bis Ende Jahr absichern will, zahlt dafür aktuell fast 7% des Portfoliowerts. Eine teure Versicherung.

Allerdings mussten sich Anleger um die Absicherung ihres Aktienportfolios in den vergangenen Jahren keine grossen Gedanken machen. Diese Aufgabe erledigten die Notenbanken rund um den Globus. Denn die berühmte Aussage des ehemaligen EZB-Chefs Mario Draghi «Whatever it takes» bezog sich zwar explizit auf die Rettung des Euro, implizit aber auch auf eine Stabilisierung der Finanzmärkte. Bereits seit der Jahrtausendwende – damals noch unter der Ägide von Alan Greenspan – spricht man mit Blick auf die Geldpolitik der US-Notenbank vom sogenannten «Fed-Put». Jeder Verwerfung an den Aktienmärkten – beispielsweise das Platzen der Technologieblase (2001/2002), der Finanzkrise (2008/2009) oder dem Crash im Zuge der Corona-Pandemie – begegneten die Währungshüter mit der Öffnung der Geldschleusen. Mittels Zinssenkungen und dem Ankauf von Anleihen (und teilweise auch Aktien) wurden jeweils die Marktkorrekturen gestoppt und der Startschuss für einen neuen Börsenboom gegeben. 

Offiziell verfolgen die meisten Notenbanken nur ein Ziel: Preisstabilität. Im Falle der US-Notenbank Fed kommt noch ein Vollbeschäftigungsziel hinzu. Offensichtlich ist aber, dass bei den geldpolitischen Entscheidungen die Entwicklungen an den Kapitalmärkten schon lange eine hohe Priorität geniessen. Dies wird jeweils mit den Schlagworten «Vermögenseffekt» und «Finanzmarktstabilität» gerechtfertigt. Dadurch haben die Notenbanken aber eine gefährliche Abhängigkeit geschaffen und massgeblich zu Vermögenspreisblasen beigetragen. 

Die ultraexpansive Geldpolitik liess sich lange Zeit mit der tiefen Inflation rechtfertigen. Der rasante Aufstieg Chinas, die zunehmende Globalisierung, gepaart mit demografischen Faktoren, sowie der technologische Entwicklungsschub (Stichwort: Internet) haben seit der Jahrtausendwende stark desinflationär gewirkt. Entsprechend konnten die Notenbanken ihre Geldpressen scheinbar ohne Konsequenzen auf Hochtouren laufen lassen. Bis vor Kurzem. 

Im Nachgang der Corona-Pandemie ist das Inflationsgespenst zurückgekehrt – und wie. Im Januar ist die Teuerung in den USA auf 7.5% gestiegen. Eine solch hohe Inflation wurde zuletzt vor 40 Jahren gemessen. 

Konsumentenpreise (CPI) in den USA

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Zinswende voraus!

Auch in Europa schiesst die Teuerung durch die Decke. Die Notenbanker wurden dabei komplett auf dem falschen Fuss erwischt. Lange wurde der Preisschub als ein vorübergehendes Phänomen basierend auf Basiseffekten abgetan. Nun hat ein Umdenken stattgefunden und die Währungshüter treten auf die Bremse. Die Zins-Futures preisen derzeit mindestens 6 Zinsschritte in den USA bis Ende 2022 ein. 

Zudem beabsichtigt die Fed ihre Notenbankbilanz schrittweise zu reduzieren. Diese ist während der Corona-Pandemie von knapp über 4 Billionen auf fast 8.8 Billionen US-Dollar explodiert. Diese enorme Liquidität soll nun schrittweise wieder abgeschöpft werden. 

Anzahl Zinserhöhungsschritte und Fed Funds Futures (Zinsniveau)

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Geldmenge rauf, Zinsen runter

Notenbankbilanz der Fed, in Billionen US-Dollar, und US-Leitzinsen

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Ein restriktiverer geldpolitischer Kurs ist allerdings ein schwieriger Balanceakt. Erstens droht dadurch die Konjunkturerholung abgewürgt zu werden. Zweitens werden die Finanzmärkte einen Liquiditätsentzug kaum ohne Korrekturen verdauen können, denn die Geldflut hat in den vergangenen Jahren massgeblich zur Vermögenspreisinflation beigetragen und die Bewertungen vieler Anlageklassen nach oben getrieben. Das Dilemma der Notenbanken ist entsprechend gross. Sie müssen sprichwörtlich zwischen Pest und Cholera entscheiden. Stehen sie zu stark auf die Bremse riskieren sie eine Rezession und einen Börsencrash. Warten sie hingegen zu lange ab, droht eine ausser Kontrolle geratene Lohn-Preis-Spirale.  

Wir gehen davon aus, dass die US-Notenbank im März mit einer ersten Zinserhöhung starten wird. Danach dürften in kurzer Abfolge weitere Zinsschritte folgen. Die restriktivere Geldpolitik wird allerdings Spuren in der Konjunktur hinterlassen und die Wachstumsdynamik weiter einbremsen. Als Folge davon dürften Rezessionsängste aufkommen, was an den Kapitalmärkten zu einer inversen Zinsterminkurve führen könnte. Auf ein solches Szenario würden die Aktienmärkte verschnupft reagieren. Da die Notenbanken aber keinen Bärenmarkt provozieren wollen, dürften die Währungshüter den geldpolitischen Normalisierungsprozess stoppen und das Handtuch werfen. Der «Fed-Put» wird einmal mehr greifen. Allerdings wohl bei einem tieferen Ausübungspreis, als sich dies viele Anlegerinnen und Anleger erhoffen. Bis dahin bleibt es an den Finanzmärkten volatil. Das Sprichwort «never fight the Fed» («stemme dich nie gegen die Notenbank») gilt nämlich in beide Richtungen. 

Der CIO erklärt: Was heisst das für Sie als Anleger?

«It's the economy, stupid!». Mit diesem Slogan gewann Bill Clinton die US-Präsidentschaftswahl 1992. Der Konjunktureinbruch ein Jahr davor sowie die steigende Arbeitslosigkeit kosteten George Bush Senior die Wiederwahl. Die Wirtschaft entscheidet aber nicht nur Wahlen, sondern beeinflusst auch massgeblich die Finanzmärkte. Allerdings sind die klassischen Konjunkturzyklen seit der Jahrtausendwende seltener geworden. 

Ein Hautgrund dafür liegt in der Geldpolitik. Mit immer neueren Massnahmen und Instrumenten versuchen die Notenbanken die Zyklen zu glätten und sich anbahnende Rezessionen rigoros zu bekämpfen. Damit haben sie aber wesentlich zur Entstehung von Finanzblasen beigetragen. Nun werden die Währungshüter von der hartnäckigen Inflation zu einem abrupten Kurswechsel gezwungen. Die restriktivere Geldpolitik sorgt für Nervosität an den Märkten. Zu Recht. Denn Fundamentaldaten sind an den Börsen schon länger in den Hintergrund gerückt. Hier gilt: «It's the liquidity, stupid!».

Matthias Geissbühler, CIO Raiffeisen Schweiz