Im Land der untergehenden Sonne – Das Japan-Szenario nimmt Gestalt an

Die fiskal- und geldpolitische Antwort auf die Folgen der Corona-Krise sind massiv. Die Massnahmen der Notenbanken sowie der Regierungen haben aber schwere Nebenwirkungen. Einerseits explodieren die Staatsschulden und andererseits wird das Tiefzinsumfeld auf Jahre hinaus zementiert. Das Japan-Szenario nimmt dadurch immer mehr Gestalt an.

Der Schuldenberg wächst weiter – Die Corona-Krise lässt die Staatsschulden explodieren

Japan hat verschiedene Gesichter und Namen. Nippon wie das Inselreich im Pazifik auf Japanisch heisst, setzt sich aus den Wörtern «ni» (Tag oder Sonne) und «pon» (Anfang oder Ursprung) zusammen und bedeutet im übertragenen Sinn «Land der aufgehenden Sonne». Dass Japan in vielerlei Hinsicht den Weg für den Rest der Welt vorzeichnet, mag überraschen. Ein weltweites «Japan-Szenario» nimmt aber mehr und mehr Gestalt an. Was das konkret heisst? Dazu kommen wir gleich – zuerst aber zurück in die brutale Gegenwart der Coronavirus-Pandemie.

Die Coronakrise erschüttert die Welt und führt zu nie dagewesenen geld- und fiskalpolitischen Rettungsmassnahmen. Eine Leitzinssenkung folgt der nächsten, die Notenbanken legen Anleihekaufprogramme in Billionenhöhe auf und die Staaten verteilen Gratiskredite an Firmen und teilweise sogar Checks direkt an die Bürger. Es scheint, als gäbe es kein Morgen mehr – und schon gar kein Übermorgen. Ob all diese Massnahmen letztlich sinnvoll, angebracht und wirkungsvoll sind, werden wir erst im Rückspiegel abschliessend beurteilen können. Klar ist aber: Die nun verabreichte Medizin wird starke Nebenwirkungen haben. 

Da wäre zuerst einmal der stark ansteigende Schuldenberg. Die globalen Staatsschulden werden Ende Jahr ein neues Rekordniveau erreichen und zwar nicht nur absolut, sondern auch im Verhältnis zum globalen Bruttoinlandsprodukt (BIP). Diese Schulden werden den zukünftigen Generationen aufgebürdet und schränken den finanziellen Spielraum weiter ein. Doch die Staatsschulden sind nur ein Teil des Problems. Auch viele Unternehmen haben die Verschuldung in den letzten Jahren massiv erhöht. 

Der Grund dafür ist einfach: Die Null- oder gar Negativzinspolitik vieler Notenbanken hat die Firmen geradezu zum «Financial Engineering» animiert. Aktienrückkäufe, finanziert durch die Aufnahme von spottgünstigem Fremdkapital, waren an der Tagesordnung. Das Problem ist nun, dass aufgrund der Shutdowns die Erträge und Umsätze vieler Firmen wegbrechen und dies sehr rasch zu Liquiditätsproblemen führt. Der Ausweg: weitere Kreditaufnahme und (noch) höhere Verschuldung. Aber auch die Verschuldung der Privatpersonen hat weiter zugenommen. Besonders im Fokus stehen dabei die USA. Aufgrund des deutlichen Anstiegs der Arbeitslosenzahlen sowie absehbaren Lohneinbussen wird die Bedienung dieser Konsum- und Kreditkartenkredite zu einem Kraftakt. Die Folgen sind schon jetzt absehbar: Die Nach-Corona-Zeit führt zu einer sogenannten «Balance Sheet Rezession» und wird eine längere Phase eines Schuldenabbaus sowohl bei den Unternehmen als auch bei den Privaten bringen. Ein doppeltes Déjà-vu, welches uns via Finanzkrise 2008/2009 zurück in das Japan der 80er Jahre katapultiert. 

Globale Verschuldung in Prozent des Bruttoinlandsprodukts

Quellen: IIF, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Nullzinsen für die Ewigkeit? – Das Japan-Szenario wird weltweit Realität

In den 80er Jahren galt das Land der aufgehenden Sonne dank seiner Dynamik und Innovationsfähigkeit als Motor der Weltkonjunktur. Sein wirtschaftlicher Aufschwung war nicht zuletzt auf die expansive Geldpolitik der Bank of Japan (BoJ) sowie auf verschiedene wirtschaftspolitische Entscheidungen zurückzuführen. So wurde im Jahr 1985 im Rahmen des Plaza-Abkommens zwischen diversen europäischen Industrieländern und den USA vereinbart, dass der US-Dollar konzertiert abgewertet werden soll.

In Folge dieses Entscheides wertete sich unter anderem der japanische Yen deutlich auf und setzte die wichtige Exportindustrie unter Druck. Die BoJ reagierte mit einer massiven Leitzinssenkung von 5% auf 2.5%. Hinzu gesellte sich eine Deregulierung des Kapitalverkehrs und des Finanzsektors. Dies trieb nicht nur den japanischen Aktienindex, sondern auch den Immobilienmarkt in die Höhe. Die Immobilienpreise in Japan verdoppelten sich zwischen 1985 und 1990. Alleine die Grundstücks- und Immobilienwerte in Tokio überstiegen bald diejenigen der gesamten Vereinigten Staaten. So entstand eine der grössten Immobilienblasen der Geschichte, welche 1990 platzte und bis heute deutliche Spuren hinterlassen hat. Als Auslöser für das Platzen der Immobilienblase gab es drei Gründe: Erstens erhöhte die BoJ in den Jahren 1989 und 1990 den Leitzins von 2.5% auf 6%. Zweitens wurde im Jahr 1989 neu eine Mehrwertsteuer eingeführt, um die Staatsfinanzen ins Lot zu bringen. Und drittens beschränkte die japanische Regierung zur Bekämpfung der Exzesse auf dem Immobilienmarkt die Kreditvergabe der Banken.

Leitzins im Vergleich

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Der darauf folgende Einbruch am Aktien- und Immobilienmarkt führte zu einer langjährigen Rezession gepaart mit einer hartnäckigen Deflation. Die Gründe dafür sind einfach: Sowohl die Unternehmen als auch die Privatpersonen mussten für den Schuldenabbau ihre Ausgaben und den Konsum massiv drosseln. Ein konsequenter und tiefreichender Sparmodus war fortan angesagt. Das Ganze wurde in Japan zusätzlich durch demografische Faktoren verstärkt. Hohe Sparquoten und wenig Investitionen wirken per se deflationär. Auch sämtliche Bemühungen der BoJ, welche nun seit fast 25 Jahren die Zinsen um oder gar unter der Null-Prozent-Grenze hält, haben diesbezüglich keine Wirkung gezeigt.

Und hier schliesst sich nun der Kreis. Bereits im Zuge der Finanzkrise 2008/2009 haben die Notenbanken rund um den Globus die Zinsen massiv gesenkt. Eine Normalisierung hat seither nicht stattgefunden. Die Corona-Krise wird dieses Tiefzinsumfeld auf viele Jahre hinaus zementieren. Hohe Staatsschulden, nachhaltig tiefe Investitionen und Konsumausgaben sowie höhere Sparquoten lassen den Notenbanken keinen Spielraum für Zinserhöhungen. Das Japan-Szenario wird weltweit zur Realität – willkommen im Land der untergehenden Sonne.

Der CIO erklärt: Was heisst das für Sie als Anleger?

Die aktuelle Corona-Krise beschleunigt und verfestigt das von uns Anfang Jahr skizzierte Japan-Szenario. In Japan herrschen nun seit fast 25 Jahren Null- bzw. Negativzinsen. Auch in der Schweiz und in Europa hat die Zinswende nach den massiven Zinssenkungen in Folge der Finanzkrise 2008/2009 nie stattgefunden.

Um die Folgen der Corona-Pandemie abzufedern, haben die Notenbanken nun erneut tief in die Trickkiste gegriffen und die Märkte abermals mit Liquidität geflutet. Die rekordtiefen (Leit-)Zinsen sind damit auf weitere Jahre zementiert. Für Anleger bedeutet dies, dass mit Obligationen in den kommenden Jahren wenig zu verdienen sein wird und auch die Sparguthaben werden real weiter an Wert verlieren. Wer langfristig Vermögen aufbauen will, kommt also um Sachanlagen wie Aktien, Immobilien oder Edelmetalle nicht herum. Kurzfristig dürfte die Volatilität an den Märkten aufgrund der wirtschaftlichen Unsicherheiten hoch bleiben. Grössere Kursrücksetzer bei den erwähnten Anlageklassen sollten aber als Kaufgelegenheiten genutzt werden. 

  

Matthias Geissbühler, CIO Raiffeisen Schweiz