Ohne Grenzen – Der wachsende US-Schuldenberg

Die Staatsschulden der USA wachsen in den Himmel und in Washington D.C. kräht kein Hahn danach. Weder US-Präsident Trump noch die Demokraten haben derzeit ein Interesse an gesunden Staatsfinanzen. Auch in den nächsten Jahren drohen im Budget tiefrote Zahlen und ein noch grösserer Schuldenberg. Die Risiken der US-Schuldenpolitik sind erheblich.

Klaffende Lücke – Ausgaben steigen schneller als Einnahmen

Gut drei Jahre liegt der spektakuläre Wahlsieg von Donald Trump inzwischen zurück. Es ist also noch gar nicht so lange her, dass der derzeitige US-Präsident während seiner Wahlkampagne 2016 davon sprach, die Schulden der Vereinigten Staaten von Amerika innerhalb von nur acht Jahren abzuzahlen – ganz gemäss dem Motto «Make America Great Again!».

Tatsächlich ernannte der frisch gewählte Präsident mit Mick Mulvaney im Dezember 2016 einen haushaltspolitischen «Falken» zum ersten Budget-Direktor des Weissen Hauses. Was danach folgte war jedoch eine der verblüffenden Kehrtwenden, für die Trump mittlerweile berühmt-berüchtigt ist. Von Sparen und Schuldenabbau war nämlich schnell keine Rede mehr.

Bereits ein Jahr nach der Wahl wurde bereits eine umfassende Steuerreform verabschiedet. Während die Gewinne von Corporate America daraufhin mehr denn je sprudelten, wuchsen die Staatseinnahmen der USA kaum noch. Davon, dass sich die Steuersenkungen über höheres Wachstum – die Rede war von 4% – selbst finanzieren würden, kann mit etwas Abstand betrachtet keine Rede mehr sein. Vielmehr stehen der stagnierenden Einnahmeseite seitdem stetig steigende Ausgaben gegenüber. Zuletzt war es im Juli ein teurer Budget-«Deal» zwischen Republikanern und Demokraten, der zwar die leidige Thematik um die US-Schuldenobergrenze ad acta legte, die Staatsfinanzen aber weiter in Schieflage brachte. Per Ende Oktober stand das Haushaltsdefizit der USA bei 984 Milliarden US-Dollar. Die Billionengrenze dürfte damit schon bald wieder geknackt werden.

Staatseinnahmen und -ausgaben der USA, in Milliarden US-Dollar

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Riesiges Defizit trotz Wirtschaftsaufschwung

Schon einmal wurde diese 1-Billionen-Schallmauer durchbrochen: vor zehn Jahren. Allerdings war dies damals eine Folge der grossen Finanzkrise 2007 / 2008. Der Staat griff tief in den Geldsack, und der kriselnden Wirtschaft damit kräftig unter die Arme, um einen noch grösseren Kollaps abzuwenden. Heutzutage ist die Situation eine andere: Trotz Störfeuer vom Handelskrieg und Konjunktursorgen in der Industrie wuchs die US-Wirtschaft im vergangenen Jahr im Schnitt mit robusten 2%. Der inzwischen längste Wirtschaftsaufschwung in der Geschichte der Vereinigten Staaten läuft weiter und hat die Arbeitslosenquote auf jüngst nur noch 3.6% sinken lassen. In einem solchen Gesundheitszustand würde man annehmen, dass der Staatshaushalt einigermassen im Lot sein müsste. Zur Jahrtausendwende gab es bei ähnlichen Arbeitslosenzahlen Haushaltsüberschüsse; im letzten Konjunkturaufschwung war es wenigstens nur ein Defizit von gut 1%. Im Kontrast dazu beläuft sich das Minus im Budget heute auf rund 4.5% der Wirtschaftsleistung – Tendenz: weiter steigend.

US-Haushaltssaldo und Arbeitslosigkeit

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Wachsender Schuldenberg ist bald grösser als die Wirtschaftsleistung

Das unabhängige Budgetbüro des Kongresses prognostizierte im August für die nächste Dekade – bei unveränderter Gesetzeslage – jährliche Defizite zwischen 4.5% und 5%, also weit über dem Durchschnitt der vergangenen 50 Jahre. Bis zum Jahr 2029 sieht es die Staatsverschuldung von aktuell knapp 80% auf rund 95% des Bruttoinlandsprodukts ansteigen – den höchsten Wert seit dem zweiten Weltkrieg. Die (etwas gewagten) Langzeitprojektionen für die kommenden 30 Jahre sehen den US-Schuldenberg bis 2049 gar auf über 140% wachsen. Ein Aufschrei war bei der Präsentation dieser Zahlen in Washington D.C. allerdings nicht zu vernehmen. Die nicht vorhandene Furcht vor sich auftürmenden Staatsschulden scheint derzeit einer der wenigen gemeinsamen Nenner zwischen den Parteien zu sein. Nicht nur überbieten sich die demokratischen Bewerber aufs Präsidentenamt mit abenteuerlich teuren Wahlversprechen. Auch Präsident Trump stellt weitere Steuersenkungen in Aussicht, welche diesmal auch beim Normalbürger ankommen sollen.

US-Staatsverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt

Quellen: CBO, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Auf die Frage, wie denn dieser Schuldenexzess zu finanzieren sei, gibt es ebenfalls immer mehr (und vermeintlich bessere) Antworten. So gewinnt beispielsweise die These, nach der Haushaltsdefizite kein Problem seien, solange die Realzinsen tiefer als das Wirtschaftswachstum sind, immer mehr Anhänger. Ein Vertreter dieser Denkrichtung ist der ehemalige Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF) Olivier Blanchard. Seiner Meinung nach sind dauerhafte Defizite nötig, um genügend Nachfrage- und Produktionswachstum zu generieren. Noch ein Stück weiter gehen die Anhänger der sogenannten «Modern Monetary Theory» (MMT), die im laufenden Jahr zunehmend an Medienpräsenz gewannen. Ihre Theorie besagt, dass hohe Staatsschulden für Länder, die dank eigener Währung Geld drucken können, kein Problem seien. Denn solche Länder könnten nicht bankrottgehen.

Verloren gehen bei diesem Blick durch die rosarote Brille allerdings die mit den steigenden Schulden einhergehenden Risiken. Eines davon sind die Kosten für den Schuldendienst. Derzeit zahlen die USA im Schnitt einen Zins von rund 1.7% auf alle ausstehenden Schulden. Im Haushaltsbudget machen die Zinskosten momentan weniger als 9% aus. Zu verdanken ist diese aktuell noch komfortable Lage insbesondere der jahrelangen Tiefzinspolitik der Fed. Ohne Kehrtwende in der Haushaltspolitik dürfte sich der Zins-Batzen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten allerdings schmerzhaft vergrössern. Zudem besteht das Risiko, dass die Investoren mit zunehmender Staatsverschuldung höhere Risikoprämien verlangen und dadurch die langfristigen Zinsen nach oben gedrückt werden. So oder so läuft die US Notenbank Gefahr, mehr als heute schon von der Politik instrumentalisiert und zu einem anhaltend tiefen Zinsniveau genötigt zu werden.

Der CIO erklärt: Was heisst das für Sie als Anleger?

Nicht nur in den USA, sondern auch weltweit nehmen die (Staats-)Schulden ungebrochen zu. Aktuell beläuft sich der globale Schuldenberg auf 250 Billionen US-Dollar, was 318% des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht. Trotzdem steht die unerfreuliche Entwicklung aktuell nicht gross im Fokus. Grund dafür sind die rekordtiefen Zinsen, zu denen die Staaten ihre Schulden (re-)finanzieren können.

Selbst Griechenland, welches vor etwas mehr als sieben Jahren einen Schuldenschnitt vornehmen musste, bezahlt heute für Staatsanleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren bloss 1.4% pro Jahr an Zinsen. Obwohl wir von anhaltend tiefen Leitzinsen ausgehen und in den kommenden zwölf Monaten keine Zinserhöhungen erwarten, bleiben die Risiken latent. Die langfristigen Kapitalmarktzinsen können nämlich nur bedingt von den Notenbanken gesteuert werden. Beeinflusst werden diese einerseits von den Inflationserwartungen und andererseits vom Vertrauen der Anleger, dass die Staaten und Unternehmen auch zukünftig ihre Schulden bedienen können. Bei den aktuell extrem tiefen Anleiherenditen sowie dem wachsenden Schuldenberg bleiben wir gegenüber (Staats-)Anleihen deshalb vorsichtig positioniert.

Matthias Geissbühler, CIO Raiffeisen Schweiz