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11.05.2023

Abkühlung hier, Erhitzung dort

  • Der robuste Schweizer Immobilienmarkt lässt sich durch die spürbaren Folgen der jüngsten Krisen weiterhin kaum aus der Ruhe bringen
  • Am Eigenheimmarkt steigen die Preise zwar noch immer, die Zeichen einer anstehenden Abkühlung werden aber immer deutlicher
  • Aufgrund der sich weiter akzentuierenden Wohnungsknappheit steigt am Mietwohnungsmarkt hingegen die Anspannung

St.Gallen, 11. Mai 2023. Nachdem bisher vor allem die Finanzmärkte im Umfeld von hohen Inflationsraten und deutlich steigenden Zinsen ordentlich Federn lassen mussten, schüren jetzt auch in der Schweiz Sorgen um die Gesundheit des Finanzsystems gewisse Ängste. Aber auch in der Realwirtschaft wird der Gegenwind immer spürbarer, denn die höheren Zinsen entfalten immer mehr ihre dämpfende Wirkung. «Der vermeintlich äusserst zinssensitive Immobilienmarkt lässt sich dagegen – zumindest in der Schweiz – von diesen Turbulenzen bisher weiterhin kaum aus der Ruhe bringen. Weder am Eigenheimmarkt noch am Markt für Renditeliegenschaften kann bisher ein grösserer Preisdruck festgestellt werden», so Martin Neff, Chefökonom von Raiffeisen Schweiz.

 

Die Abkühlungszeichen am Eigenheimmarkt mehren sich

Trotz Inflationssorgen und Zinswende steigen die Preise am Schweizer Eigenheimmarkt weiter. Im Vorjahresvergleich haben sich Einfamilienhäuser um 6,1 Prozent und Eigentumswohnungen um 7,5 Prozent verteuert. Nun mehren sich allerdings die Zeichen einer anstehenden Abkühlung an diesem zuletzt heiss gelaufenen Markt. Mit dem Attraktivitätsverlust von Wohneigentum gegenüber dem Wohnen zur Miete kann eine spürbare Abnahme der Nachfrage festgestellt werden. Seit dem Höhepunkt mitten in der Covid-19-Pandemie ist die Menge der Suchabonnements für Eigentumswohnungen um rund 36 Prozent und für Einfamilienhäuser um 39 Prozent zurückgegangen. Die Zahl der aktiven Abonnements ist mittlerweile sogar spürbar unter das Vor-Corona-Niveau gefallen. Aber auch angebotsseitig hat sich der während der Pandemie völlig ausgetrocknete Markt zuletzt wieder etwas erholt. Im Vergleich zu den Tiefstständen während der Coronapandemie werden aktuell wieder 17 Prozent mehr Einfamilienhäuser und 16 Prozent mehr Eigentumswohnungen, mehrheitlich aus dem Bestand, auf Onlineportalen zum Verkauf angeboten. Damit schliesst sich langsam die Schere zwischen Angebot und Nachfrage, die in den letzten Jahren für das Preiswachstum verantwortlich war. «Für mehr als eine Abschwächung der Preisdynamik dürfte es am Eigenheimmarkt aber nicht reichen. Grössere Preisrückgänge oder gar ein Crash bleiben aufgrund der weiterhin grossen Angebotsknappheit sehr unwahrscheinlich. Die Zeichen am Eigenheimmarkt stehen auf sanfte Landung», erklärt Martin Neff.

 

Der Mietwohnungsmarkt erhitzt sich weiter

Während sich am Eigenheimmarkt eine Abkühlung ankündet, hat der Wind am Mietwohnungsmarkt in die Gegenrichtung gedreht. Sämtliche Indikatoren zeugen hier von einem deutlichen Anstieg der Markttemperatur. Immer mehr Haushalte sind auf der Suche nach den immer knapper werdenden Mietwohnungen. So hat die Zahl der online ausgeschriebenen Mietwohnungen im Vorjahresvergleich um stattliche 33 Prozent abgenommen. Damit einher geht auch eine deutlich kürzere Vermarktungsdauer. Im ersten Quartal 2023 mussten Mietwohnungen im eidgenössischen Schnitt nur noch 28 Tage ausgeschrieben werden. Das ist rund eine Woche oder 20 Prozent weniger als der Durchschnittswert von 35 Tagen, der sich in den letzten Jahren etabliert hat. Eine Besserung der vielerorts bereits angespannten Marktlage ist nicht in Sicht. Weder von der Angebots- noch von der Nachfrageseite kann in nächster Zeit mit Entspannungsimpulsen gerechnet werden. Eine dynamische Zuwanderung wird die Nachfrage hochhalten. Gleichzeitig planen Investoren trotz sinkender Leerstände und bald deutlich steigender Mieten bisher keine Ausweitung der Wohnbautätigkeit. «Im Umfeld steigender Baupreise, erhöhter Finanzierungskosten, immer höherer administrativer Hürden und deutlich gestiegener Opportunitätskosten reichen die Erhitzungszeichen nicht, um die Attraktivität neuer Bauprojekte genügend zu steigern», erklärt Neff.

 

Herrscht wirklich schon Wohnungsnot?

Der in immer mehr Regionen spürbar werdenden Wohnungsknappheit ist in den letzten Monaten viel mediale und politische Aufmerksamkeit entgegengekommen. «Die öffentliche Debatte hat bisher aber weder über die Dringlichkeit und die Schwere des Problems noch über mögliche Lösungswege einen breiten Konsens hervorgebracht. Tatsächlich verleitet ein Blick auf die wesentlichen Indikatoren auf nationaler Ebene dazu, die Situation als nicht besonders dramatisch zu bewerten», so Martin Neff. So liegt etwa die Leerwohnungsziffer mit 1,31 Prozent noch deutlich über dem langjährigen Schnitt von 1,07 Prozent seit den 1980er Jahren. Solche Durchschnittsbetrachtungen verdecken aber, dass der Markt in einigen Regionen bereits völlig ausgetrocknet ist. Die noch leerstehenden Wohnungen sind meist nicht am richtigen Ort. Zudem stehen alle Anzeichen in diesem Markt auf eine weitere deutliche Anspannung. «Die akute Wohnungsknappheit wird sich in immer mehr Regionen ausbreiten. Spätestens nächstes Jahr dürfte die Leerwohnungsziffer den genannten langfristigen Mittelwert bereits deutlich unterschreiten», ist Neff überzeugt. Mit der Wohnraumverknappung wird Wohnen für immer mehr Haushalte bald deutlich teurer. Zudem zeichnen sich bereits dieses Jahr zwei Erhöhungen des Referenzzinssatzes ab. Auch dadurch werden die Wohnkosten für viele Mieterhaushalte in absehbarer Zeit kräftig steigen.

 

Wege zur Linderung der Wohnungsknappheit

Zwar dürften steigende Wohnkosten zweifelsohne zu Verhaltensanpassungen der Markteilnehmer führen, was beispielsweise den zuletzt stark steigenden Flächenbedarf pro Kopf etwas ausbremsen dürfte. Im aktuellen Marktumfeld weist aber vieles darauf hin, dass der Markt aus strukturellen Gründen zumindest kurzfristig die sich akzentuierenden Probleme nicht von selbst lösen kann. Die Politik könnte tatsächlich an einigen Stellschrauben drehen, um Angebot und Nachfrage am Wohnungsmarkt wieder etwas stärker ins Gleichgewicht zu bringen. «Von Nutzungseinschränkungen von Ferienwohnungen über die Förderung von Wohnungstauschbörsen bis hin zum Überdenken des Denkmalschutzes und einer Verflüssigung des Baulandes sind viele, durchaus unkonventionelle Lösungsideen denkbar. Klar ist aber, dass es zur Linderung der Schwierigkeiten am Wohnungsmarkt keine einfachen Rezepte gibt. Ohne schmerzhafte Güterabwägungen und einschneidende Kompromisse ist der Wohnungsnot nicht beizukommen», hält Martin Neff abschliessend fest.