

«Pontresina statt Phuket lässt Planeten aufatmen»
Wie die Schweizer Bevölkerung über Klimawandel, Photovoltaik, Elektromobilität und vieles andere denkt – darüber gibt das seit 2011 jährlich publizierte «Kundenbarometer erneuerbare Energien» Auskunft. «Was an Grossem in der Welt punkto Klimawandel passiert, das schlägt sich im Kleinen im Kundenbarometer nieder», sagt Studienautor Prof. Dr. Rolf Wüstenhagen.
Die in Zusammenarbeit von Raiffeisen Schweiz, der Uni St.Gallen und EnergieSchweiz publizierte Studie zu den Präferenzen der Schweizer Bevölkerung in Energie- und Umweltfragen fördert jedes Jahr spannende Erkenntnisse und Trends zu Tage. «In diesem Jahr war es die Tatsache, dass der Klimawandel und dessen Auswirkungen definitiv bei den Leuten angekommen sind», erklärt Prof. Dr. Rolf Wüstenhagen, der die Umfrage seit Anbeginn betreut und wissenschaftlich begleitet.
Die aktuelle Studie bezeichnet mit den «early electrifiers» eine neue, sich dynamisch entwickelnde Zielgruppe – Menschen, die sich für Photovoltaik und Elektromobilität interessieren, oder jene, die das eine oder andere schon haben. Der Grossteil hat die Absicht, eine der beiden Technologien in den nächsten Jahren anzuschaffen. «Early electrifiers sind gut gebildet, tendenziell männlich, haben ein höheres durchschnittliches Einkommen und sind über die ganze Schweiz verteilt», erklärt Rolf Wüstenhagen. Wir haben ihn zu wichtigen Erkenntnissen der Studie befragt.
Prof. Rolf Wüstenhagen im Interview
Interview: Pius Schärli
Welchen Einfluss hat das alles überschattende Thema Corona-Pandemie auf die diesjährigen Ergebnisse: Wo ist der Einfluss am stärksten spürbar?
Rolf Wüstenhagen: Corona hat einschneidende Auswirkungen auf das Verhalten der Menschen, wie wir es nie für möglich gehalten hätten. So war der Trend beim Fliegen bis vor zwei Jahren stets: noch länger, noch weiter, noch öfter.
Das hat sich geändert?
Ich denke schon. Es machen sich in der Zwischenzeit mehr Leute Gedanken, innerhalb Europas mit dem Zug zu reisen. Ein erheblicher Teil der Geschäftsreisen lässt sich durch digitale Meetings effizient, klimafreundlich und kostengünstig ersetzen. Ebenso spart Home-office Mobilität ein. Ich persönlich habe mich 2019 entschieden, auf Flugreisen generell zu verzichten.
2021 war auch ein Jahr mit vielen Unwetterschäden: Haben diese Ereignisse die Einstellung zum Klimawandel verändert?
Jein. Manchmal kommt es mir so vor wie beim Atomunfall in Fukushima. Die Halbwertszeit hat sich da in Jahren bemessen, bei Unwettern scheint sich diese eher auf Wochen oder Monate zu beschränken. Der Mensch trägt den psychologischen Mechanismus in sich, unangenehme Ereignisse relativ schnell zu verdrängen. Dabei wissen eigentlich alle, dass wir dieses Thema jetzt anpacken müssen.
Und in diesem Jahr hat das Volk das CO2-Gesetz an der Urne verworfen, Sie haben diesen Umstand auch in der Umfrage thematisiert. Mit welchen Erkenntnissen?
Über zwei Drittel Befragten sind der Meinung, dass das Nein an der Urne kein Nein zum Klimaschutz ist. Es gibt viele, die «ja, aber» zum Klimaschutz sagen. Sie lehnen höhere Benzinpreise ab, sind aber überzeugt, dass etwas getan werden muss, gerade auch in einem wohlhabenden Land wie der Schweiz. Apropos: Die beste Strategie, sich gegen höhere Energiepreise abzusichern, ist Energieeffizienz und erneuerbare Energie.
Die Studie zeigt zudem auf, wie stark und rasant die Zustimmung für Photovoltaikanlagen oder Elektroautos gestiegen ist. So hat jeder Dritte Tech-Besitzer in diesem Jahr eine PVA-Anlage installiert. Welche Prognosen wagen Sie hier?
Tatsächlich, Solarenergie und Elektromobilität verzeichnen derzeit ein exponentielles Wachstum. Sie stehen an der Schwelle von der Nische zum Massenmarkt, weil sie eine Kombination von Klimaschutz und Lifestyle versprechen. Dank sinkender Kosten und zunehmender Modellvielfalt wird sich dieser Trend fortsetzen.
Mobilität ist jeweils ein grosses Thema in der Studie. Bleibt sie die grösste Herausforderung beim Klimawandel?
Der Strassenverkehr ist das Sorgenkind der Klimapolitik der letzten 20 Jahre. Die Motoren wurden zwar effizienter, die Autos aber auch immer schwerer. Das war letztlich ein Nullsummenspiel. Elektromobilität kann die Emissionen sprunghaft senken. Noch nachhaltiger ist es, sich öfter mal zu Fuss oder mit dem Velo fortzubewegen.
Weniger Mobilität, das Gute liegt bekanntlich so nah, wäre dies auch eine Lösung?
Ja, weniger ist manchmal mehr. Viele haben die Pandemie genutzt, um das Schöne in der Nähe wieder zu entdecken. Pontresina statt Phuket oder mit dem TGV nach Montpellier statt im Flieger nach Melbourne, das lässt auch den Planeten aufatmen.
Welche Rolle haben die Banken beim Klimawandel?
Die Mehrheit der befragten Personen sieht ein Risiko für den Schweizer Finanzplatz, wenn Banken im Ausland in fossile Projekte investieren. Diesbezüglich besteht bei manchen Banken noch ein Widerspruch zu den Nachhaltigkeitszielen, die sie gerne ins Schaufenster stellen.
Zur Person
Prof. Dr. Rolf Wüstenhagen (51) leitet seit 2009 den Lehrstuhl für Management erneuerbarer Energien am Institut für Wirtschaft und Ökologie der Universität St. Gallen.
Der Lehrstuhl ist der erste seiner Art an einer führenden europäischen Wirtschaftshochschule und befasst sich mit wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aspekten der Energiezukunft, einschliesslich der Analyse von Investitionsstrategien, Energiepolitik, Geschäftsmodellen und Konsumentenverhalten.