Europa – Ein Kontinent im perfekten Sturm

Europa kommt nicht aus dem Krisenmodus heraus. Nach der Finanz- und Immobilienkrise, dem Brexit und der Corona-Pandemie wird der Kontinent vom Ukraine-Krieg hart getroffen. Die Sanktionen und die drohende Gas-Krise treiben die Inflation in die Höhe. In der Folge sind der Euro und die europäischen Aktienmärkte stark eingebrochen.

Die Inflationsraten sind teilweise zweistellig

Europa befindet sich mitten im perfekten Sturm. Sprichwörtlich. Denn einmal mehr droht der Europäischen Union (EU) eine Zerreisprobe. Bereits zwischen 2008 und 2010 stand der am 1. November 1993 gegründete Staatenbund vor dem Aus. Auslöser war die globale Finanz- und Immobilienkrise, welche die Peripheriestaaten, insbesondere Griechenland, an den Rand des Staatsbankrotts brachte. Mit einem ersten Kreditprogramm in Höhe von 110 Milliarden Euro wurde damals Hellas unter die Arme gegriffen. Im Gegenzug musste sich das Land zu einem harten Sparkurs verpflichten. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) beteiligte sich am Rettungsprogramm und begann ab Mai 2010 mit dem Kauf von griechischen, portugiesischen und irischen Staatsanleihen. Die Austeritätspolitik liess das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Griechenlands zwischen 2008 und 2014 um über einen Viertel schrumpfen und die Arbeitslosigkeit stieg zwischenzeitlich auf 28% an. Unter dem Strich kostete die «Rettungsaktion» 278 Milliarden Euro, wobei sich auch Anleger in Form eines Schuldenschnitts beteiligen mussten. Ein Auseinanderbrechen der EU konnte damit knapp verhindert werden. Vor rund zwei Wochen beendete Brüssel nun die strikte Überwachung von Griechenlands Budget und Finanzpolitik. 

Trotzdem ist Europa alles andere als geeint. Mit dem Austritt Grossbritanniens verlor der Staatenbund ein gewichtiges Mitglied. Die Nachwehen halten (auf beiden Seiten) bis heute an. Kurz nach dem Brexit-Drama sah sich die Welt mit der Corona-Pandemie konfrontiert. Auch in dieser Phase war von einem einheitlichen Europa wenig zu sehen. Die einzelnen Staaten erliessen autonome Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie; mit dem Resultat eines unübersichtlichen Flickenteppichs an Regeln und Einschränkungen. Etwas mehr Entschlossenheit und Koordination zeigte die EU in Bezug auf die Sanktionspolitik gegenüber Russland. Der Ukraine-Krieg scheint die europäischen Staaten wieder etwas näher zusammenrücken zu lassen. Allerdings knistert es mittlerweile bereits wieder im Gebälk. Sollte Russland im Herbst den Gashahn komplett zudrehen (was zunehmend wahrscheinlich scheint), dürfte es mit der Solidarität bald vorüber sein.     

Die Gas-Krise heizt die Teuerung weiter an. Hohe zweistellige Inflationsraten sind in diversen europäischen Staaten mittlerweile Realität und das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale ist gestiegen. Eine wenig rühmliche Rolle spielte dabei die EZB. Viel zu lange hat sie von einem «temporären» Preisanstieg gesprochen und die expansive Geldpolitik ungebremst weiterlaufen lassen. Erst im Juli 2022 konnten sich die Währungshüter zu einem ersten Zinserhöhungsschritt um 50 Basispunkte bewegen. Die EZB dürfte auch in den kommenden Monaten ihre Geldpolitik nur sehr zögerlich straffen. Zu gross ist die Angst vor einem erneuten Aufflackern der Schuldenkrise. 

 

 

 

 

 

Die Inflationsraten sind teilweise zweistellig

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Schuldenkrise 2.0? Die Zinsaufschläge sind deutlich gestiegen

Quelle: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Bereits haben sich die sogenannten Peripherie-Spreads, also die Zinsdifferenzen zwischen den deutschen Staatsanleihen und denjenigen der südlichen Euro-Staaten, deutlich ausgeweitet. Während die 10-jährigen Bundesanleihen 1.55% rentieren, bezahlt Italien für die Geldaufnahme mit 3.95% fast das Dreifache pro Jahr. In Griechenland liegt die Rendite derweil bereits wieder über 4%. Damit befindet sich die EZB bereits wieder in einem Dilemma: Werden die Zinsen rasch erhöht, droht eine neue Haushaltskrise. Bleibt die Geldpolitik expansiv, dürfte die Inflation aus dem Ruder laufen. Eine Wahl zwischen Pest und Cholera. Letztlich zeigt diese Entwicklung einmal mehr, dass die Einheitswährung ein Schönwetterkonstrukt ist. Ohne eine gemeinsame europäische Steuer- und Fiskalpolitik wird die EZB immer wieder vor denselben Problemen stehen.    

Europas verlorene zwei Dekaden – Massive Unterperformance des Aktienmarkts

Im Herbst richten sich alle Augen auf Italien. Nachdem die Regierungskoalition unter dem ehemaligen EZB-Chef Mario Draghi auseinandergebrochen ist, stehen in unserem südlichen Nachbarland am 25. September Parlamentswahlen an. Gemäss aktuellen Prognosen dürfte es dabei zu einem Rechtsrutsch kommen. Sollte die Spitzenkandidatin der Partei Fratelli d’Italia, Giorgia Meloni, die Wahlen gewinnen, würden die anti-europäischen Kräfte einen massiven Aufschwung erhalten. 

Europas verlorene zwei Dekaden – Massive Unterperformance des Aktienmarkts

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Europa befindet sich einmal mehr im Krisenmodus. Der Ukraine-Krieg, die drohende Gasmangellage, eine rekordhohe Inflation sowie eine mögliche Schuldenkrise 2.0 stellen die EU vor eine erneute Zerreissprobe. Ob die Staatengemeinschaft gestärkt daraus hervorgehen wird, bleibt offen. Die Anlegerinnen und Anleger haben ihr Verdikt bereits gesprochen. In den vergangenen Monaten wurde massiv Kapital aus Europa abgezogen. Als Resultat davon ist der Euro eingebrochen. Gegenüber dem Schweizer Franken hat die Einheitswährung fast 7.5% an Wert eingebüsst. Noch dramatischer ist der Wertverfall gegenüber dem US-Dollar: Hier beträgt das Minus über 12%. Auch an den Aktienmärkten ist der Vertrauensverlust sichtbar. Der europäische MSCI EMU Index hält mit einem Minus von 20% im laufenden Jahr die rote Laterne. Europäische Aktienanleger blicken mittlerweile auf zwei verlorene Dekaden zurück. Seit Beginn des neuen Jahrtausends konnte der MSCI EMU Index in Franken gerechnet gerade mal um 17% oder 0.7% pro Jahr zulegen. Eine frappante Underperformance zu den übrigen Aktienmärkten. Auch wenn der europäische Aktienmarkt mittlerweile zu den günstigsten gehört und viel Negatives in den Kursen eingepreist sein dürfte, spricht wenig für ein baldiges Revival. 

Der CIO erklärt: Was heisst das für Anleger?

Schweizer Franken-Anleger werden wenig Freude an ihren Euro-Investitionen haben. Seit Jahresbeginn hat die Einheitswährung gegenüber dem Franken erneut 7.5% an Wert eingebüsst. Damit summiert sich der Währungsverlust seit der Jahrtausendwende auf satte 40%. Das hat auch Auswirkungen auf die Aktienmarktentwicklung. Der europäische Aktienmarkt, gemessen am MSCI EMU Index, konnte seit dem 1. Januar 2000 in Franken gerechnet gerade mal 0.7% pro Jahr zulegen. Abzüglich der Inflation blieb damit nichts übrig. 

Im Gegenzug gehörten Schweizer Aktien zu den Gewinnern. Der Swiss Performance Index (SPI) stieg seit der Jahrtausendwende um 183% oder 4.7% pro Jahr. Auch wenn die Vergangenheit kein Massstab für die Zukunft ist, dürfte sich an diesem Trend wohl wenig ändern. In unseren Vermögensverwaltungsmandaten ist dies reflektiert. Neben den «Swissness»-Mandaten, welche ausschliesslich in heimische Aktien investieren, haben wir in unseren globalen Mandaten seit jeher einen sogenannten «Home Bias» implementiert. Das heisst, 50% der Aktienquote wird im Heimmarkt investiert.  

Matthias Geissbühler, CIO Raiffeisen Schweiz