Ein Wettlauf gegen die Zeit – Die schwierige Suche nach einem Impfstoff

Die Corona-Pandemie beschäftigt die Anlegerinnen und Anleger weiterhin. Die grosse Hoffnung liegt auf einem möglichst rasch verfügbaren und wirkungsvollen Impfstoff gegen Covid-19. Die Hürden für eine Zulassung bleiben aber hoch. Entsprechend werden die konjunkturellen Unsicherheiten bis auf weiteres bestehen und die Volatilität an den Märkten hoch bleiben.

Grosse Vorschusslorbeeren – Die Aktienkurse von Moderna und Lonza «explodieren»

Es ist und bleibt ein schmaler Grat. Die Neuinfektionen müssen reduziert werden. Doch wie weit kann und soll man hierfür das öffentliche Leben und die Bewegungsfreiheit der Menschen einschränken? Wann sind welche Lockerungsmassnahmen angezeigt? Die Meinungen dazu gehen weit auseinander. Klar ist, dass in denjenigen Ländern, welche einen konsequenten Lockdown verordnet haben, die Fallzahlen deutlich gesunken sind. Ebenso klar ist aber auch, dass damit die Pandemie noch lange nicht ausgestanden ist. Sobald Lockerungsmassnahmen umgesetzt werden, steigen die Fallzahlen (fast überall) wieder an. Wer zu früh lockerte, wurde gar auf dem falschen Fuss erwischt. In Kalifornien beispielsweise nahmen die Neuinfektionen wieder derart rasant zu, dass ein zweiter Lockdown unumgänglich wurde. Kinos, Bars und Museen wurden per Mitte Juli wieder geschlossen. Es ist leider davon auszugehen, dass dieses Hin und Her zwischen Öffnungsschritten und partiellen Lockdowns noch länger andauern wird. Für die Unternehmungen ist die damit einhergehende Planungsunsicherheit verheerend. Aber auch die Konsumenten bleiben verunsichert. Die grosse Hoffnung liegt deshalb auf einem möglichst rasch verfügbaren und wirkungsvollen Impfstoff gegen Covid-19.

Mittlerweile gibt es gemäss der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gut 170 Impfstoffprojekte rund um den Globus. Dabei wird verstärkt in sogenannten Product Development Partnerships (PDP) zusammengearbeitet. Dies sind Allianzen zwischen Stiftungen, Regierungs- und Hilfsorganisationen sowie Forschungsgruppen und Pharmaunternehmen. Da die Entwicklungskosten für Impfstoffe sehr hoch sind, können so die ökonomischen Risiken auf verschiedene Schultern verteilt werden. Auch Kooperationen zwischen Biotech- und Pharmafirmen sind an der Tagesordnung. 

Der Startschuss für die umfassenden Forschungen ist bereits Anfang Jahr erfolgt. Kurz nachdem die WHO vor dem neuen Coronavirus gewarnt hatte, wurde das virale Erbgut, auch Genom genannt, bereits entschlüsselt. Die vielen, teilweise darauf aufbauenden Impfstoffprojekte können grob in drei Segmente unterteilt werden: Totimpfstoffe, Lebendimpfstoffe und sogenannte mRNA/DNA-basierte Impfstoffe.

Die Totimpfstoffe enthalten entweder ausgewählte Virusproteine oder sogar das ganze Material inaktivierter SARS-CoV-2-Viren. Durch die Injektion eines solchen Präparates soll die Immunabwehr aktiviert und gestärkt werden. Die meisten der heute zugelassenen Impfstoffe, wie beispielsweise gegen Hepatitis B oder die klassischen Grippeimpfungen, werden nach diesem Verfahren hergestellt. Die Schwierigkeit dabei ist jedoch, eine genügend grosse Menge an Impfeinheiten bereitzustellen. Momentan setzen vor allem chinesische Forscher auf diese Methode. Am weitesten fortgeschritten sind derzeit die Gemeinschaftsprojekte von Sinopharm mit dem Wuhan Institute beziehungsweise dem Beijing Institute of Biological Products. Aber auch die britische GlaxoSmithKline arbeitet an einem entsprechenden Impfstoff.

Bei den Lebendimpfstoffen hat derzeit ein Forschungsprojekt der Oxford University zusammen mit dem Pharmakonzern AstraZeneca die Nase vorne. Ihr Wirkstoff befindet sich bereits in der klinischen Test-Phase III. Dabei werden bekannte, aber harmlose Viren als Transporter benutzt. Diese sogenannten Vektorviren werden auf ihren Oberflächen durch ein oder mehrere Gene von SARS-CoV-2 ergänzt. Das Immunsystem soll so die Corona-Proteine erkennen und entsprechende Antikörper bilden. Auf dieser Methode basieren beispielsweise die Ebola-Impfstoffe oder der erste Dengue-Impfstoff.

Hoffnung macht derzeit vor allem die dritte Kategorie an Impfstoff-Kandidaten. Diese mRNA/DNA-basierten Präparate wurden noch nie zuvor am Menschen angewandt. Dabei wird nur der genetische Bauplan von SARS-CoV-2 verabreicht – und zwar in Form von messenger RNA (mRNA). Der Körper stellt anschliessend anhand des genetischen Bauplans das Oberflächenprotein des Virus selbst her, wodurch es das Immunsystem erkennen und bekämpfen kann. Diese Methode besitzt zwei wesentliche Vorteile: Erstens sind die Nebenwirkungen kleiner und zweitens ist die Produktion einfacher und besser zu skalieren. In der Poleposition für einen solch neuartigen Impfstoff steht die US-Biotechfirma Moderna. Falls es zu einer Zulassung kommen sollte, wird ein Grossteil des Impfstoffes in der Schweiz produziert: Lonza wurde als Produktionspartnerin auserkoren. Die Hoffnung der Anleger auf einen Durchbruch ist gross und zeigt sich in den entsprechenden Kursentwicklungen. 

Die Aktienkurse von Moderna und Lonza «explodieren»

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Langer Prozess – Einen Impfstoff gibt es nicht von heute auf morgen

Bei all den immensen Anstrengungen und Milliardenaufwendungen sollte eines nicht vergessen werden: Ob aus all diesen Projekten am Ende auch ein wirksamer Impfstoff resultieren wird, ist alles andere als sicher. Und auch der in Aussicht gestellte zeitliche Fahrplan ist extrem ambitiös. Die Entwicklung eines Impfstoffes dauert in der Regel zwischen 8 und 15 Jahre. Alleine die klinischen Studien, welche sich in drei Phasen unterteilen, beanspruchen mehrere Jahre.

Phasen der Impfstoff-Entwicklung

Quellen: BASG/AGES-Medizinmarktaufsicht, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Natürlich werden aktuell und aufgrund der Dringlichkeit die Zulassungsverfahren teilweise massiv abgekürzt. Dennoch muss die Sicherheit eines möglichen Impfstoffes in jedem Fall gewährleistet sein. Ob dann gleichzeitig auch die gewünschte und benötigte Wirksamkeit erreicht werden kann, bleibt abzuwarten. So oder so: Es bleibt ein Wettlauf gegen die Zeit. Trotz berechtigten Hoffnungen sollte man aber realistisch bleiben: Die Corona-Pandemie wird uns wohl oder übel noch längere Zeit beschäftigen. 

Der CIO erklärt: Was heisst das für Sie als Anleger?

Anlageentscheide sollten nie alleine von einzelnen möglichen Ereignissen abhängig gemacht werden. Aktuell scheinen viele Investoren auf einen baldigen Corona-Impfstoff zu setzen. Wann ein solcher verfügbar sein wird und ob dieser auch effektiv vor Covid-19 schützen kann, steht allerdings in den Sternen. Bis dahin wird die konjunkturelle Erholung nur schleppend verlaufen und sowohl Unternehmen als auch Konsumenten bleiben verunsichert. Nach der starken Erholungsrally seit den Tiefständen von Mitte März ist deshalb an den Finanzmärkten eine Verschnaufpause angesagt. Vor diesem Hintergrund empfehlen wir taktisch eine leicht defensive Positionierung.

 

Matthias Geissbühler, CIO Raiffeisen Schweiz