Achtung, Blase! – Die Risiken nehmen zu

Die Börse jubiliert, die Aktienmärkte kennen scheinbar nur eine Richtung. Niedrige Zinsen und umfangreiche Konjunkturpakete stützen den Optimismus. Ein solches Umfeld ist ein idealer Nährboden für die Bildung einer Spekulationsblase. Risiken werden ausgeblendet. Es drohen Verluste und Enttäuschungen. Um dem entgegenzuwirken, lohnt es sich, das Risiko auch einmal etwas zu drosseln.

Anleger sind so optimistisch wie lange nicht mehr

Die Musik spielt, Besucher tanzen, Alkohol fliesst. Die Stimmung ist ausgelassen. Es ist der schönste Teil der Party, wer will da schon an den Kater von morgen denken. Genau diese Szenerie spielt sich derzeit an den Aktienmärkten ab. Die Kurse steigen, Wertschriften sind zwar teuer bewertet, die Anleger dennoch euphorisch. Die Stimmung ist so optimistisch wie lange nicht mehr.

Ihr Handeln wird zunehmend irrational. Droht der Kollaps? Der turbulente Aufwärtstrend und die rekordhohen Kurse werden medial begleitet. Gängige Bewertungsmassstäbe werden ignoriert, um das eigene Fehlverhalten zu übersteuern. Oft heisst es, dieses Mal sei alles anders. Eine Blase entsteht. 

Marktsentiment, Bull-Bear-Spread

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Im Zentrum einer solchen Übertreibung stehen Angst und Gier. In der Aufwärtsbewegung dominiert die Gier, möglichst viel zu verdienen, nichts zu verpassen. Wie ausgeprägt dieses Gefühl ist, zeigt sich aktuell an den Börsenindizes, die vielerorts von einem Hoch zum nächsten klettern. Auch der jüngste Börsengang der Krypto-Plattform Coinbase verdeutlichte dies eindrücklich. Am ersten Handelstag dauerte es rund vier Stunden, bis der erste Preis eruiert werden konnte. Gierige Investoren liessen die Aktien zwischenzeitlich fast 70% über den Ausgabepreis klettern. Ein gutes Beispiel, was der Herdentrieb an der Börse bewirken kann. Platzt aber die Blase, geht es nur noch um Angst. Der Herdentrieb, der die Kurse zuvor beflügelt hat, lässt sie jetzt kollabieren. 

Der Volksmund sagt zwar, dass man aufhören soll, wenn es am schönsten ist. Aber wer das Fest als erster verlässt, hat Angst, etwas zu verpassen. Anleger kennen dieses Gefühl. Obwohl sich eine Blase schrittweise anbahnt und klare Signale aussendet, geht es bei einer Trendumkehr plötzlich schnell. Die meisten Investoren werden dann auf dem falschen Fuss erwischt. Sie sollten sich deshalb schon im Vorfeld darüber im Klaren sein, dass an Gewinnmitnahmen noch niemand verarmt ist. Es heisst ja auch, dass man die letzten 10% einem anderen Investor überlassen soll. In eine ähnliche Richtung zielt die «Greater-Fool-Theorie». Dabei kaufen Investoren eine Anlage nur in der Erwartung, dass sich ein noch grösserer Narr findet, der bereit ist, einen noch höheren Preis zu bezahlen. Bewertung, Geschäftsmodell und Unternehmensausblick sind zu diesem Zeitpunkt längst in den Hintergrund gerückt, die Schwelle zur Spekulation ist überschritten. 

Die Bewertung ist zwar ein Hauptindikator der Übertreibung, allerdings nicht der einzige. So waren die Aktien des Online-Händlers Amazon in den vergangenen Jahren wohl nie günstig, das Unternehmen ist aber stets gewachsen, hat sich diese Prämie somit erarbeitet. Wer 1997 beim Börsengang 1'000 US-Dollar in Amazon investiert hat, dessen Position ist heute auf über 2 Millionen US-Dollar angewachsen. Auch wenn das Unternehmen heute mit demjenigen von damals nicht mehr viel zu tun hat, wird es aufgrund der Grösse des Konzerns in Zukunft aber immer schwieriger, die Wachstumsraten und damit die Bewertungsprämie der vergangenen Jahre aufrecht zu erhalten. 

Der technologielastige Nasdaq kennt zurzeit nur eine Richtung

Für Anleger besteht aber vor allem dann eine Gefahr, wenn die Börsen als Ganzes in die Höhe getrieben werden. Dass der technologielastige Nasdaq allein dieses Jahr schon knapp 10% zugelegt hat, nachdem er sich 2020 um über 40% verteuerte, mahnt zur Vorsicht. Gerade in der längerfristigen Betrachtung wird dies deutlich.

Kursentwicklung Nasdaq Composite

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Nikola Motors – geplatzte Träume

Kursentwicklung von Nikola Motors

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Es stellt sich die Frage, ob der effektive Wert all dieser Unternehmen seit Anfang 2020 im Schnitt tatsächlich 50% gestiegen ist. Vorsicht ist auch deshalb geboten, weil sich die Geschichte wiederholt. Regelmässig. Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit sind das Platzen der Technologieblase um die Jahrtausendwende, die Immobilienkrise in den USA ab 2007 oder vergangenes Jahr, als die Titel des Wasserstofffahrzeugbauers Nikola Motors zu einem horrenden Kursanstieg ansetzten, kurz darauf aber wieder tauchten.

Ein Kursanstieg allein reicht nicht für eine Blase

Dabei sind Blasen nichts Neues. Eine der ältesten und bekanntesten Blasen war die Tulpenzwiebelspekulation in den 1630er Jahren. Während sich die Preise vieler Tulpenzwiebeln verdoppelten, gab es Ausreisser wie die Sorte Switserts, deren Preis sich verzwölffachte. Am stärksten kletterte der Preis der Sorte Semper Augustus, von der 1637 drei Zwiebeln zum Preis von 30'000 Gulden den Besitzer wechselten. Zum Vergleich: Zu dieser Zeit kosteten die teuersten Häuser an einer Amsterdamer Gracht 10'000 Gulden.

Auch am Immobilienmarkt wird oft die Gefahr einer Blase thematisiert. Gerade in den vergangenen Jahren wurden die Preise aufgrund niedriger Zinsen, einer hohen Nachfrage und einem begrenzten Angebot in die Höhe getrieben. Die Grossbank UBS untersucht die Preisentwicklung auf dem Schweizer Wohnungsmarkt mit ihrem Real Estate Bubble Index. Dieser Blasenindex zeigt, wie gross das Risiko einer Übertreibung auf dem Immobilienmarkt ist. Die Lage ist zwar angespannt, die jüngste Entwicklung verdeutlicht aber, dass eine Blase nicht platzen muss, sondern dass sich eine Überhitzung auch auf hohem Niveau beruhigen kann.

UBS Real Estate Bubble Index

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Auch im Alltag bilden sich immer wieder Blasen, wie etwa Anfang 2020, zu Beginn der Pandemie. Die Preise für Desinfektionsmittel und Schutzmasken schossen in die Höhe. Aus Angst und weil das Angebot fehlte. Von einem fairen Wert konnte nicht gesprochen werden. Mittlerweile hat sich die Lage entspannt und der Detailhandel lockt mit immer günstigeren Aktionen. Dafür scheinen Fahrräder und Brettspiele im Moment knapp zu werden.

Das Platzen einer Blase vorherzusagen, ist nicht möglich. Der Philosoph und Naturwissenschaftler Isaac Newton sagte dazu einst: «Ich kann die Bahn der Himmelskörper auf Zentimeter und Sekunden genau berechnen, aber nicht, wohin die verrückte Menge einen Börsenkurs treiben kann». Was allerdings möglich ist, ist auf die Gefahren hinzuweisen. Um ein böses Erwachen zu vermeiden ist es daher ratsam, sich vorzeitig etwas konservativer aufzustellen. Wer die Risiken proaktiv steuert, hat bereits vieles richtig gemacht. Denn es ist nicht davon auszugehen, dass dieses Mal alles anders ist. 

Der CIO erklärt: Was heisst das für Sie als Anleger?

Die Finanzmärkte laufen heiss. Viele Aktienindizes bewegen sich von einem Höchst zum nächsten. Die Stimmung unter den Anlegern ist euphorisch, die Corona-Pandemie scheint abgehakt. Bewertungsmässig waren Aktien noch selten so teuer wie heute und nehmen eine sehr starke Gewinnerholung der Unternehmen vorweg.

Die Luft für weitere Avancen ist damit dünn geworden. Bedeutet dies, dass Anleger nun ihre Aktien verkaufen sollten? Die Antwort lautet: «Jein». In der langfristigen Perspektive bieten solide und dividendenstarke Aktien gerade im anhaltenden Tiefzinsumfeld auch weiterhin die besten Anlagechancen. Kurzfristig sehen wir nun aber die Zeit gekommen, um einen Teil der Gewinne zu realisieren. Denn erstens wachsen auch die (Aktien-)Bäume nicht in den Himmel und zweitens gilt die Börsenweisheit: «An Gewinnmitnahmen ist noch niemand verarmt». 

Matthias Geissbühler, CIO Raiffeisen Schweiz