Unser Arbeitsmarkt, unsere Zukunft

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Ausgabe 16.12.2020 – Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen

Martin Neff - Chefökonom Raiffeisen Genossenschaft
Martin Neff – Chefökonom Raiffeisen Genossenschaft

Natürlich dominiert Corona auch die aktuellen Debatten am Schweizer Arbeitsmarkt. Es ist zweifellos mit einem Anstieg der Arbeitslosenzahlen zu rechnen. Aber wenn wir das mit dem Ausland vergleichen, herrscht hierzulande sozusagen Vollbeschäftigung. Selbst wenn wir das momentan vielleicht etwas anders wahrnehmen, weil überall von Kurzarbeit und Zukunftssorgen die Rede ist.

Um die Verfassung des Arbeitsmarktes braucht man sich keine Sorgen zu machen, den automatischen Stabilisatoren sei Dank und einer weitsichtigen Personalpolitik vieler Unternehmungen, für die Entlassungen oft erst am Schluss eines längeren Leidensweges in Frage kommen. Bei Verhältnissen wie in den USA stünden in der Schweiz sehr, sehr viel mehr Leute ohne Job da als heute. Zum Peak der Corona-Krise hätte die monatliche Arbeitslosenquote ohne Kurzarbeit und Co. gut 15 % erreicht. Diese nackte Zahl ist uns wenigstens erspart geblieben. Und wir gehen ja auch alle davon aus, dass Mitte kommenden Jahres wieder ein Aufschwung eingeläutet werden könnte. Die konjunkturelle Delle am Arbeitsmarkt dürfte also eine solche bleiben und nicht mehr.

Strukturell ist unser Arbeitsmarkt sehr stabil und unverändert attraktiv, auch für ausländische Arbeitskräfte, denn die Migration ist nicht etwa weggebrochen. Das liegt natürlich an den altbackenen Erkenntnissen, dass hohe Löhne und gute Sozialleistungen locken. Es geht aber auch um Faktoren, die weniger von den direkten Anstellungsbedingungen abhängen, sondern der generell hohen Standortattraktivität der Schweiz geschuldet sind. Die hat sich das Land die letzten Jahrzehnte aufgebaut und bewahrt. Die Schweiz liegt heute punkto Erwerbsbeteiligung der Bevölkerung bei 68,1 %. Im europäischen Vergleich ist das ein Platz auf dem Podest. Ausnahmsweise hoch (79,9 %) ist die Erwerbsbeteiligung in Island, dies aber traditionell, unsere Nachbarländer weisen alle eine klar tiefere Erwerbsbeteiligung auf (Deutschland: 62,6 %; Österreich: 61,4 %; Frankreich: 55,5 %; Italien: 49,9 %). Neben Italien haben Kroatien (51,3%) und Griechenland (51,6 %) die niedrigsten Erwerbsquoten in Europa. Der EU28-Durchschnitt liegt bei 58,3 %. Von den rund fünf Millionen Erwerbstätigen in der Schweiz arbeiten 37,4 % Teilzeit. Bei Frauen liegt der Teilzeitanteil bei knapp 60 %, bei Männern unter 20 %. 12,6 % der Erwerbspersonen sind Selbständige, weit mehr als die Hälfte sind Angestellte. Und schon 2019, noch vor Corona, arbeiteten 18,9 % der Erwerbspersonen von zuhause aus. Was aber macht sonst noch den guten Arbeitsmarkt aus?

Schauen wir auf die Befindlichkeiten der Angestellten. Nur 8 % der Angestellten sind eher oder unzufrieden mit ihrer Arbeitssituation. Rekordverdächtige 79 % sind dagegen eher bis vollkommen zufrieden. Umfragen in unseren Nachbarländern fallen nicht dermassen positiv aus. Auch was die Vereinbarkeit von Beruf und Familie betrifft, kann der Schweiz ein gutes Zeugnis ausgestellt werden. In einer entsprechenden Studie kommt das Bundesamt für Statistik zu folgendem Befund: «70 % der Arbeitnehmenden können in der Regel Anfang und Ende der Arbeitszeit aus familiären Gründen kurzfristig verschieben (Männer: 74 %, Frauen: 64 %) und 53 % können ganze Tage freinehmen, ohne dafür Ferientage beziehen zu müssen (Frauen: 57 %, Männer: 49 %).» Wenn ich das Kollegen in Deutschland erzähle, dann können die nur staunen. Auch die in Österreich oder Italien, denn überall sind die Arbeitgeber auch nur annähernd so entgegenkommend wie hierzulande. Flexibilität in jeder Form, vor allem aber zeitlicher, ist mehr denn je Gebot der Stunde am Arbeitsmarkt. Sie beruht aber auch auf Gegenseitigkeit. Und wohl auch deshalb steht die Schweiz (mit etwa 42,5 Stunden) ganz weit oben in der Statistik der höchsten Wochenarbeitszeiten. In Frankreich liegt dieser Wert fünf Stunden tiefer. Die EU 28 kommt auf knapp etwa 39,5 Stunden. Hohe Arbeitsmarktregulierung und Flexibilisierung beissen sich seit jeher. Berücksichtigt man nun noch die über alles gesehene hohe Pro-Kopf-Bruttowertschöpfung der Schweiz wird klar, woher der Wohlstand kommt. Er wird Stunde für Stunde erarbeitet. Die wichtigste Ressource der Wirtschaft bleibt allen technischen Fortschritten zum Trotz immer noch der Arbeitsmarkt. Solange dieser intakt ist, muss sich das Land weder nach Hilfsarbeitern noch Talenten umschauen. Die kommen dann auch in Zukunft von allein zu uns.