Mitte März 2020 schickte der Bundesrat wegen der Pandemie die Schweiz und damit zahlreiche Betriebe in einen Shutdown. Raiffeisen hat in der Folge über 24'000 COVID-19-Unterstützungskredite ausgesprochen. Roger Reist, Leiter Firmenkunden, Treasury & Markets bei Raiffeisen Schweiz, ist überzeugt, dass die KMU sowohl die kürzlich angelaufene Amortisationsphase wie auch neue Unsicherheiten erfolgreich meistern werden.
Wie geht es den Unternehmen etwas mehr als zwei Jahre nach dem ersten Shutdown?
Roger Reist: Wir stellen eine Erholung für die KMU fest. Insbesondere die Warenhersteller profitieren von einer weltweit stärkeren Nachfrage und haben sich gut erholt. In der Baubranche sehen wir ebenfalls eine erhöhte Nachfrage, wenn auch gleichzeitig die Baustoffpreise angestiegen sind. Aber auch bei vielen personennahen Dienstleistern ist das Geschäft mit den grösstenteils aufgehobenen Pandemie-Massnahmen ebenfalls wieder angelaufen. Eine positive Stimmung bei den KMU zeigt auch der Raiffeisen KMU PMI. Der Konjunkturindikator stieg im April erneut an und bewegt sich weiter auf einem Niveau, das in der Regel einen robusten Konjunkturverlauf anzeigt. Schweizer KMU haben also während der Pandemie eindrücklich bewiesen, wie schnell und innovativ sie sich auf eine neue Realität einstellen können.
Raiffeisen hat rund 24'000 Kredite mit einem Gesamtvolumen von 2 Milliarden Franken ausbezahlt. Wie viele Kredite wurden bereits zurückbezahlt?
R. R: Bis zum 30. April 2022 wurden bereits über 5'000 Kredite vollständig zurückbezahlt. Das Volumen der Rückzahlungen beträgt rund 650 Millionen Franken. Bei den Rückzahlungen stellen wir fest, dass dort, wo Menschen zusammenkommen, also in den Branchen Gastronomie, Reisen und Kongresse/Events weniger amortisiert wurde. Diese Branchen müssen also weiterhin mit weniger Einnahmen auskommen. Gerade in Städten sehen wir aufgrund der verstärkten Home-Office-Tätigkeiten insbesondere für die Gastronomie einen anhaltenden negativen Effekt.
In Branchen wie der Gastronomie, Tourismus und Events beginnt das Geschäft erst langsam wieder zu laufen. Kommt die Amortisationspflicht für Unternehmen in diesen Branchen zu früh?
R. R: Teilweise kommt die Amortisationsphase für Unternehmen in den genannten Branchen zu früh. Vereinzelt erfolgten auch Sistierungsanfragen, die wir auch gutgeheissen haben. Wir haben mit der Kreditvergabe Verantwortung für die Schweizer KMU übernommen und diesen Weg führen wir auch bei der Amortisation in Form von Kulanz fort. Gesamthaft gesehen sind Sistierungsanfragen aber Einzelfälle und in den meisten Fällen konnte der Amortisationsstart gut bewältigt werden. Dies unterstreicht auch die Tatsache, dass uns Amortisationspläne mit einem Volumen von 1,35 Milliarden Franken vorliegen. Gesamthaft rechnen wir aufgrund der positiven wirtschaftlichen Ausgangslage also damit, dass ein Grossteil der COVID-19-Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer die ordentliche Amortisation leisten kann.
Nach der Pandemie sorgt der Krieg in der Ukraine nahtlos für weitere Unsicherheiten bei Unternehmerinnen und Unternehmern. Mit welchen Folgen für KMU rechnen Sie?
R. R: Die Schweizer KMU sehen sich auch nach der Pandemie mit vielen Herausforderungen konfrontiert, der Krieg und dessen Auswirkungen ist eine davon. Die aktuell steigenden Energie- und Materialpreise beschäftigen die Unternehmen genauso wie der starke Schweizer Franken und Fragezeichen bezüglich internationaler Lieferketten. Was die KMU belastet, sind die mit dem Krieg verbundenen Unsicherheiten in den kommenden Monaten. Dies beschäftigt viele Unternehmensverantwortliche sogar stärker als die zu leistende Amortisationspflicht. Oder anders gesagt: Jene Unternehmen, die mit der Amortisationspflicht ringen, sind in der Tendenz weniger von den Unsicherheiten, verursacht durch den Krieg in der Ukraine, betroffen. Die KMU haben also einige Herausforderungen zu meistern, doch ich bin nicht zuletzt aufgrund der gezeigten Widerstandskraft während der Pandemie sehr zuversichtlich, dass die Unternehmerinnen und Unternehmer auch diese Zeit gut bewältigen werden.
Roger Reist leitet das Departement Firmenkunden, Treasury & Markets bei Raiffeisen Schweiz und ist Mitglied der Geschäftsleitung. Er verfügt über einen Masters of Arts in Banking and Finance und ist Certified International Investment Analyst (CIIA) sowie Chartered Alternative Investment Analyst (CAIA). Zudem sitzt Roger Reist dem Verwaltungsrat der Raiffeisen Unternehmerzentrum AG vor.