Billionenschwere Infrastrukturprogramme – Nun wird richtig geklotzt

Die Regierungen haben in der Krise das Ruder übernommen. Neben den kurzfristigen Rettungsmassnahmen stehen nun zunehmend längerfristig ausgerichtete Infrastrukturprogramme im Fokus. Dadurch erhält die Konjunktur zusätzlichen Rückenwind und wir rechnen 2021 mit einem Wachstum der Weltwirtschaft von rund 5%. Auf der Aktienseite dürften besonders Infrastrukturwerte profitieren.

Eine globale Rezession mit Seltenheitswert

Die Zahlen sind gigantisch. Weltweit wurden im vergangenen Jahr Fiskalstimuluspakete in der Grössenordnung von über 12 Billionen US-Dollar aufgelegt. Dies entspricht rund 14% des jährlichen globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP). Damit konnten die Folgen der Corona-Pandemie deutlich abgefedert werden. Dennoch ist die Weltwirtschaft 2020 um rund 4% geschrumpft. Ohne das beherzte Eingreifen der Staaten wäre die Konjunktur allerdings noch viel dramatischer eingebrochen und die Arbeitslosenzahlen explodiert. 

Entwicklung des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) mit Raiffeisen Prognose

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Die bisherigen Stimuluspakete haben jedoch primär dazu gedient, «Löcher» zu stopfen. Dies ist etwa beim Instrument der Kurzarbeitsentschädigung gut zu illustrieren. Dabei kommt der Staat (teilweise) für die Lohnzahlungen der Unternehmen auf. Eine ähnliche Funktion haben zinslose Darlehen und Überbrückungskredite – hier übernimmt der Staat praktisch die Funktion der Geschäftsbanken beziehungsweise sichert diese ab. Zwar tragen all diese Massnahmen dazu bei, Verwerfungen und Zweitrundeneffekte zu vermeiden, eine positive Wirkung im Sinne einer nachhaltigen Produktivitätssteigerung der Volkswirtschaft bleibt allerdings aus. Im Gegenteil: Es besteht das Risiko, dass damit eine notwendige Strukturbereinigung verhindert wird und sogenannte «Zombiefirmen» künstlich am Leben erhalten bleiben. Insofern sind die Staaten gefordert, ihre gieskannenartigen Unterstützungsmassnahmen rasch wieder einzustellen, sobald es die Pandemie zulässt.

Neben diesen kurzfristigen Rettungspaketen werden nun aber vielerorts zusätzliche Infrastrukturprogramme geplant und aufgelegt. Und diesbezüglich gibt es durchaus einigen Handlungsbedarf. Eines von vielen Beispielen ist die Wasserversorgung, welche nicht nur in grossen Städten immer mehr zu einem Problem wird. Letzten Sommer veröffentlichte der Rechnungslegungsausschuss des britischen Unterhauses einen Bericht zum Zustand der Wasserversorgung. Das Ergebnis ist besorgniserregend: Fast ein Fünftel des in Grossbritannien täglich verbrauchten Trinkwassers versickert wegen löchriger Leitungen ungenutzt im Boden. Das britische Leitungsnetz, vor 150 Jahren das modernste der Welt, ist veraltet und dringend sanierungsbedürftig. Nicht viel besser steht es um die Wasserversorgung in den USA. Laut der American Society of Civil Engineers sind rund 40% der Wasserleitungen in einem sehr schlechten Zustand. Hinzu kommt, dass das World Economic Forum (WEF) den drohenden Wassermangel als eine der zehn grössten Risiken für die Menschheit bezeichnet. Ähnliches gäbe es im Bereich der Abfallentsorgung, der Stromversorgung aber auch der Verkehrsinfrastruktur zu sagen. Der Investitionsbedarf ist riesig.

Nun geht es vorwärts. Der neue US-Präsident Joe Biden hat bereits im Wahlkampf ein billionenschweres Infrastrukturprogramm angekündigt. Dank dem Sieg der beiden demokratischen Kandidaten bei den Nachwahlen in Georgia verfügen die Demokraten nun über eine (knappe) Mehrheit im Senat und kontrollieren damit auch den gesamten Kongress. Somit ist der Weg für weitere Stimulusmassnahmen geebnet. In Anlehnung an den «New Deal» von Franklin Delano Roosevelt in den 30er Jahren strebt Biden einen sogenannten «Green New Deal» an. Damit soll auch in den USA die Energiewende vollzogen werden – mit dem Ziel einer CO2-Emissionssenkung auf Null bis 2050. Biden will unter anderem die Wärmedämmung bei den Gebäuden vorantreiben. Zudem soll der öffentliche Nahverkehr ausgebaut und landesweit die Elektromobilität gefördert werden. Der Ausbau der Solar- und Windenergie steht ebenfalls weit oben auf seiner Agenda. Insgesamt sollen dafür in der ersten Amtszeit, verteilt über vier Jahre, 2 Billionen US-Dollar aufgewendet werden.

Hohe Ambitionen – Digitaler, grüner und krisenresistenter

In Europa wurde ein sehr ähnliches Infrastrukturprogramm bereits beschlossen. Zwischen 2021 und 2027 hat die Europäische Union (EU) eine Gesamtsumme von 1.82 Billionen Euro budgetiert. Die Ambition ist nicht unbescheiden: Es soll ein digitaleres, grüneres und krisenfesteres Europa entstehen. 

Wichtigste Posten im EU Budget 2021 – 2027

Quellen: EU, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Diese Infrastrukturprogramme haben das Potenzial, die Produktivität und damit das Potenzialwachstum nachhaltig zu erhöhen. Die Schwierigkeit dabei ist, dass diese nicht zu einem «keynesianischen Strohfeuer» verkommen. In diesem Zusammenhang ist besonders die Digitalisierung zu nennen, welche es ermöglicht, die Arbeitsproduktivität langfristig zu erhöhen. In der Gesamtbetrachtung ist natürlich auch die Finanzierungsseite einzubeziehen. Finanziert werden sollen die Programme einerseits durch eine Erhöhung der Schulden und andererseits durch höhere Steuereinnahmen. Aufgrund des aktuellen Tiefzinsumfeldes ist die Schuldenaufnahme – trotz einem rekordhohen globalen Schuldenberg – derzeit äusserst günstig. Insofern können Infrastrukturprogramme schon bei einem kleinen Multiplikatoreffekt eine positive Wirkung zeigen. Umstrittener ist die Wirkung, wenn die Programme mit höheren Steuereinnahmen finanziert werden. Hier kommt ein klassischer «Crowding-Out-Effekt» zum Tragen, bei dem die staatlichen Investitionen die privaten substituieren. Dies ist oft mit einem negativen Gesamtnutzen verbunden.

Klar ist, dass die Staaten immer mehr das Ruder übernehmen und die fiskalpolitischen Ausgaben weiter stark ansteigen werden. Kurzfristig wird dies der Konjunktur weiteren Rückenwind geben und zu einer Wirtschaftserholung beitragen. Anleger können sich damit im Fahrwasser der Regierungen positionieren. Infrastrukturtitel dürften in den nächsten Quartalen zu den Gewinnern an den Börsen gehören.

Der CIO erklärt: Was heisst das für Sie als Anleger?

Mit dem Triumph der beiden demokratischen Senatoren bei den Nachwahlen in Georgia konnten sich die Demokraten die Mehrheit im Kongress sichern. Die Reaktion an den Börsen folgte auf dem Fusse: Zyklische Aktien schossen nach oben und gleichzeitig stiegen die Zinsen am langen Ende der Kurve um fast 20 Basispunkte an. Der Grund? Mit der «blauen Welle» sind die Aussichten für ein umfassendes, 2 Billionen US-Dollar schweres Infrastrukturprogramm in den USA sprunghaft gestiegen.

Als Anleger kann man im Fahrwasser der Regierungen somit weiterhin auf Infrastrukturaktien setzen. In der Schweiz gehören Werte wie LafargeHolcim, Sika, Schindler und Geberit dazu. Aber auch der Bereich der nachhaltigen Energien wird weiter Rückenwind erhalten. Die Kehrseite der Medaille ist, dass weltweit die bereits rekordhohen Schuldenberge weiter ansteigen werden. Damit dürfte auch die Zinskurve tendenziell etwas steiler werden. Für Staatsanleihen-Besitzer sind dies keine guten Aussichten.

Matthias Geissbühler, CIO Raiffeisen Schweiz