Sie haben einen Potenzialrechner für Schweizer Immobilien entwickelt. Was hat Sie als Architekten denn dazu bewogen, ihr eigentliches Terrain zu verlassen?
Nun, verlassen haben wir es ja nicht wirklich – nach wie vor beschäftigen wir uns intensiv mit dem bebauten Raum. Aber es stimmt schon – wir wollten immer schon anders sein als andere – und die Immobilienbranche im besten Fall auch gleich auf den Kopf stellen. Als innovatives Jungunternehmen haben wir uns insbesondere mit zwei Kernfragen beschäftigt: Welche sind die grossen Themen und Herausforderungen und welche Art von Lösungen sind heute gefragt? Uns ist dabei sehr schnell klar geworden, dass das Optimieren von Bestandesliegenschaften wohl das heisseste Thema der Immobilienbranche in diesem Jahrhundert sein dürfte – und um das anzugehen, muss man das Potenzial jeder Liegenschaft kennen. Da war der Weg zur Entwicklung eines Potenzialrechners dann nicht mehr weit.
Sie beschäftigen sich also mit dem Optimieren von Bestandesliegenschaften?
Genau. Sehr viele Grundstücke, die aufgrund ihrer Grösse nicht von öffentlichem Interesse sind, bergen ja das Potenzial, einen signifikanten Beitrag zu leisten, um die leidige Zersiedelung unserer Landschaft in den Griff zu bekommen. Sehr häufig weisen vor allem ältere eingezonte Liegenschaften ein signifikantes Ausnützungspotenzial auf. So gehen diverse Studien davon aus, dass wir auf noch nicht überbauten Bauzonen – wenn sie denn mit der gleichen Dichte wie aktuell bebaut werden – für über eine Million Menschen zusätzlich Raum schaffen könnten. Eine Neukonzeptionierung der Liegenschaft anzudenken, bietet sich natürlich vor allem bei Eigentümerwechseln an. Wenn nun also nur ein Bruchteil dieser neuen Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer sich der Möglichkeiten einer Verdichtung bewusst wird, und diese dann auch umsetzt, ist das freigesetzte transformatorische Potenzial enorm.
Was kann dieser Potenzialrechner und welche ersten Erkenntnisse gewinnt ein Anwender?
Der RAUMPIONIERE Potenzialrechner ermittelt innert 20 Sekunden das Optimierungspotenzial jeder Liegenschaft. Das heisst, er klärt die Frage, wie viele zusätzliche Quadratmeter an Nutzfläche man zusätzlich – beziehungsweise insgesamt auf einer Liegenschaft realisieren kann. Die Eigentümerin oder der Eigentümer erfährt so den wahren Wert der eigenen Liegenschaft. Prädestiniert ist unser Tool vor allem zur Analyse von Gebäuden mit einer Wohnnutzung; sprich: Ein- und Mehrfamilienhäuser.
Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Klar! Gehen wir davon aus, dass Sie heute ein klassisches Einfamilienhaus besitzen; Baujahr 1970, gelegen auf einer 1'100 m2 grossen Parzelle mit einer Nutzfläche von rund 190 m2. In dieser Liegenschaft leben zwei Erwachsene und zwei vor ihrer Volljährigkeit stehende Jugendliche. Die Liegenschaft liegt in der Wohnzone W2 mit zwei Vollgeschossen plus einem Attikageschoss. Nehmen wir an, dass sich die vorliegende Parzelle laut Baurecht mit einer für W2 typischen Dichte bebauen lässt. Dann könnte man bei der vorliegenden Grundstücksgrösse ungefähr 350m2 Nutzfläche realisieren. Das bedeutet, dass ich an diesem Ort statt eines 6-Zimmer-Einfamilienhauses vier 3.5-Zimmer-Wohnungen realisieren könnte. Eine dieser Wohnungen könnte ich dabei selber nutzen, während ich die restlichen vermieten, oder aber im Stockwerkeigentum veräussern könnte.
Welche Zielgruppe haben Sie im Visier?
Das sind in allererster Linie Eigentümerinnen und Eigentümer von selbst genutztem Wohneigentum. Mit Hilfe unseres Tools beabsichtigen wir, in erster Linie versteckte Mehrfamilienhäuser zu identifizieren. Das heisst, wir möchten Eigentümerinnen und Eigentümer dabei helfen, sie als solche zu erkennen und umzusetzen.
Welche erste Bilanz ziehen Sie?
Unsere Zahlen sprechen für sich selbst: Bis heute konnten wir rund 11’500 automatisierte Analysen durchführen und bereits mehr als 10 Mio. m2 Verdichtungspotenzial aufdecken. Das führte zu unzähligen Gesprächen mit interessierten Eigentümerinnen und Eigentümern. Schlussendlich konnten wir insgesamt 9 Projekte initiieren.
Welche weiteren Abklärungen muss ein Hausbesitzer nach dem Einsatz des Potenzialrechners zusätzlich treffen?
In unserem Tool findet sich eine Checkliste für Eigentümerinnen und Eigentümer. Nach einer Erstindikation – so nennen wir unsere digitale Potenzialanalyse – empfehlen wir auf jeden Fall, das Gespräch mit erfahrenen Immobilien-Experten zu suchen. Darauf sollte man vor einer gewichtigen Entscheidung nicht verzichten. Denn gerade zu Beginn einer Immobilienentwicklung verfügt man noch über eine grössere Manövrierfähigkeit – und auch die Kosten sind relativ gesehen noch gering. Konkret sehen wir, falls denn ein Interesse gegeben ist, als nächsten Schritt die Erstellung einer Volumenstudie inklusive eines ökonomischen Konzepts – das ist schnell gemacht und eine kleine Investition, die wichtige Grunderkenntnisse bringt.
Was bringt Ihnen als Architekten das Tool?
Erst einmal differenzieren wir uns natürlich von allen klassischen Architekten. Und dann bieten wir Eigentümerinnen und Eigentümern mit unserer Potenzialanalyse, aber auch unseren cleveren Checklisten und relevanten Inhalten einen klaren Mehrwert. Im Zentrum unserer Arbeit steht aber nicht unbedingt unser Tool. Die Entwicklung oder der Verkauf von Liegenschaften ist und bleibt ein «People’s Business». Entsprechend wichtig ist es uns, Eigentümerinnen und Eigentümern schon früh an der Hand zu nehmen, ihnen einen Weg aufzuzeigen und Sicherheit zu vermitteln. Zuguterletzt können wir mit dem RAUMPIONIERE Potenzialrechner aber auch unsere Mission vorantreiben und einen wesentlichen Beitrag zur werthaltigen Optimierung und Sanierung des Gebäudeparks Schweiz leisten. Dafür stellen wir unsere Technologie übrigens auch gerne ausgewählten Partnern zur Verfügung.
Welche Rolle spielen Kreditgeber wie Banken bei einer Weiterentwicklung einer Immobilie?
Jede Bank ist doch daran interessiert und auch bemüht, sicherzustellen, dass der Wert einer Liegenschaft mindestens erhalten bleibt – oder eben ausgebaut und entwickelt werden kann. Alles andere wäre auf die Dauer ja eine Wertvernichtung. Es braucht also entwicklungsaffine Banken, die den Wert der Potenziale ebenfalls erkennen. Sie spielen als Kreditgeber bei der Weiterentwicklung einer Liegenschaft eine zentrale Rolle und sind auf verlässliche Partner in der Planung und Umsetzung angewiesen.
Ihr Analysetool ist also ein Beitrag pro Verdichtung und contra Zersiedelung?
So ist es!