Das Bargeld kommt mit dem Mofa, das Ersatzteil mit der Drohne und das Nachtessen gibt's als Komplettpaket mit Zutaten. Dies ist keine Zukunftsmusik, sondern bereits Realität. Die E-Commerce-Spezialistin Manuela Karam sagt, welche Möglichkeiten sich im E-Commerce auftun und wie Schweizer KMU davon profitieren können.
Frau Karam, werden künftig Drohnen unseren Wocheneinkauf nach Hause fliegen?
Manuela Karam: In den USA arbeitet Amazon mit Hochdruck an einer Vertriebslösung via Drohne. Sobald sie die Bewilligung erhalten, soll es dort möglich sein, Einkäufe innert 30 bis 60 Minuten zu empfangen. In der Schweiz wird es noch dauern, bis die gesetzliche Grundlage für Drohnenlieferungen geschaffen ist. Aber auch ohne eine liefernde Drohne gibt es in Europa bereits heute das Same-Day-Delivery-Versprechen und mit etwas Glück (und entsprechender Nähe zum Logistikzentrum) kann man auch jetzt schon die bestellte Ware innerhalb von wenigen Stunden am selben Tag erhalten.
Das klingt futuristisch! Wird bald niemand mehr im Laden einkaufen?
M. K.: Das Online-Shoppen ist klar auf dem Vormarsch. Es gibt neue Geschäftsmodelle, die den Gang in den Supermarkt überflüssig machen. In den USA gibt es «Instacart», in Südamerika «Rappi». Über das App kann man unkompliziert und fast zum Nulltarif Essen, Lebensmittel, Medikamente und sogar Bargeld bestellen. Ausgeliefert wird das Gewünschte per Mofa-Kurier innert 30 bis 60 Minuten.
Stirbt der Laden aus?
M. K.: Diese Tendenz ist in den Städten und Dörfern leider sichtbar. Viele Konsumenten möchten den Verkäufer aber trotz aller Technologie immer noch «spüren». Online-Händler wie Digitec.ch oder Exlibris haben deshalb auch stationäre Shops, um ein emotionales Einkaufserlebnis zu schaffen.
Haben Schweizer KMU überhaupt eine Chance?
M. K.: Neben ausländischen Anbietern wie Amazon und Zalando gibt es Schweizer Unternehmen wie Leshop.ch (Migros), Coop@home, Digitec/Galaxus oder Brack, die ein funktionierendes Geschäftsmodell entwickelt haben. Aber ich sehe auch viele erfolgreiche Newcomer wie Farmy, HelloFresh oder Luma Delikatessen auf dem Markt.
Wie müssen sich KMU im Online-Handel positionieren?
M. K.: Der Konsument der Zukunft sucht nicht nur nach dem günstigsten Preis, sondern auch nach Qualität und Individualität. Eine Strategie kann es sein, ein kleines, aber feines Angebot zu präsentieren, das auf den Lifestyle der Konsumenten zugeschnitten ist. Clomes.ch beispielsweise bietet Kleider von Schweizer Jungdesignern an, die in kleinen Manufakturen von Hand hergestellt werden. Einsteigen kann heute eigentlich jedes KMU, das bereit ist, neu zu denken: Ein Laden kann beispielsweise ein komplettes Nachtessen mit Zutaten und Rezept an die Haustür liefern. Ein Elektriker kann Online-Termine anbieten.
Wie weit sind Schweizer KMU?
M. K.: Noch vor fünf Jahren musste man den Webshop selber bauen. Die Architektur, das Design und die Prozesse waren alle auf die Bedürfnisse des Unternehmens zugeschnitten und teuer. Heute kann man eine Standardlösung kostenlos im Internet downloaden und sich mit wenig Geld einen tollen Webshop bauen. Über den Erfolg entscheidet – wie im traditionellen Laden – der Mensch.
Was sind Modelle der Zukunft?
M. K.: Handelsriesen wie Amazon oder Walmart werden wohl bald einen intelligenten Kühlschrank anbieten, der automatisch Lebensmittel nachbestellt. Händler werden dann darum kämpfen, vom Kühlschrank mit der Lieferung beauftragt zu werden. Vielleicht wird Amazon den Kühlschrank sogar verschenken, um im Gegenzug alle Bestellungen exklusiv abzuwickeln. Bei der Worldline arbeiten wir an einer Plattform, die zwischen das intelligente Gerät und die Händler geschaltet wird und die Abwicklung der Transaktionen übernimmt.
Gibt es auch Gegentrends?
M. K.: Ja, Amazon eröffnet stationäre Läden in den USA. Auch sehen wir, dass viele Brands «Showrooms» oder «Flagship-Stores» haben, wo man die Produkte anschauen, probieren und dann online bestellen kann. Ein anderes Modell sind Pop-up-Shops, die für kurze Zeit aufgebaut werden.
Ist das Erfolgsmodell ein Mix aus Online und Offline?
M. K.: Das Rennen werden Anbieter machen, welche die Kundenerfahrung so gestalten, dass man Online- und Offline-Kanäle geschickt kombinieren kann. Ein gutes Beispiel ist VIU. Der Schweizer Brillenhersteller hat mit einem kleinen, ausgesuchten Angebot an erschwinglichen Brillen den Markt revolutioniert. Man kann die Modelle entweder übers Internet zur Anprobe bestellen oder sie in den Flagship-Stores testen. Der gesamte Bestell-, Liefer- und Aftersales-Prozess wird durchgängig elektronisch unterstützt.
Was werden die nächsten Trends sein?
M. K.: Die neuste Technologie ist «Seamless Payment», das Einkaufen ohne Bezahlvorgang. Wer die App «FAIRTIQ» auf dem Smartphone hat, kann in den Bus einsteigen und das App bucht den Fahrtarif ab. Diese Technologie wenden auch der ZVV und die Mobile-App go! von Taxi Suisse erfolgreich an. Schweizer Unternehmen beginnen auch, mit künstlicher Intelligenz zu experimentieren. Bei Worldline haben wir beispielsweise einen Chatbot namens «Nina» im Einsatz, um dem Kunden Self-Service-Hilfe für die Go-Card! Produkte zu bieten.
Raiffeisen bietet in Kooperation mit Worldline zwei Bezahllösungen für Online-Shops an – je nach Bedürfnis und Vertriebsstrategie des Unternehmens. Beide Bezahllösungen lassen sich einfach in die gängigen Webshop-Lösungen integrieren.