Starke Halbzeit-Bilanz – Eitler Sonnenschein?

Wir blicken auf ein sehr erfreuliches erstes Halbjahr zurück. Angetrieben von einer starken Konjunktur- und Gewinnerholung, eilen die Aktienmärkte von einem Höchst zum nächsten. Die Corona-Pandemie scheint abgehakt. Mittlerweile ist aber sehr viel Positives in den Kursen eingepreist. Entsprechend rechnen wir für die kommenden sechs Monate mit moderateren Renditen.

Konjunktur-Ampeln auf grün – Die Vorlaufindikatoren zeigen nach oben

Unser Jahresausblick 2021 stand unter dem Motto «Silberstreifen am Horizont». Aus den Silberstreifen ist mittlerweile eitler Sonnenschein geworden. Die Aktienmärkte befinden sich auf Rekordjagd. Ein Allzeithoch folgt aufs nächste. Die Anlegerstimmung ist ausgelassen. Corona dominiert zwar noch immer die Schlagzeilen – die Märkte haben das Thema aber scheinbar abgehakt. Die fortschreitenden Impfkampagnen führen weltweit zu Lockerungsmassnahmen und Stück für Stück kehrt die Normalität zurück. Dies spürt auch die Wirtschaft: Die Auftragsbücher der Unternehmen füllen sich und die Konsumenten öffnen ihr Portemonnaie. Dass sich die konjunkturellen Aussichten deutlich aufgehellt haben, zeigen die Vorlaufindikatoren. Die Einkaufsmanagerindizes (PMI) sind stark angestiegen, wobei Werte über 50 Punkte eine Expansion der Wirtschaftsaktivitäten signalisieren.

PMI Composites USA, Europa und Schweiz

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Für 2021 rechnen wir mit einem Wachstum der globalen Wirtschaft von 5.5%. Parallel zum konjunkturellen Aufschwung haben sich auch die Umsätze und Gewinne der Unternehmen wieder deutlich erholt. Im laufenden Jahr wird für die im Weltaktienindex MSCI World zusammengefassten Unternehmen mit einem Gewinnplus von rund 35% gegenüber dem Vorjahr gerechnet. Diese Entwicklungen befeuern die Aktienmärkte. Sämtliche Regionen konnten im ersten Halbjahr 2021 zulegen – zum Teil sogar deutlich im zweistelligen Bereich. Auch Schweizer Immobilienfonds verzeichneten einen Wertzuwachs. Die Nachfrage nach mehr Wohnraum und die weiterhin günstigen Finanzierungsmöglichkeiten stützen den Immobilienmarkt. Beim Gold hingegen, welches noch im vergangenen Jahr zu den Gewinnern gehörte, kam es zu Gewinnmitnahmen. Die Funktion als Krisenschutz war aufgrund der starken Konjunkturerholung weniger gefragt. Zudem bedeuten die leicht steigenden Kapitalmarktzinsen Gegenwind für das Edelmetall. Auch die Obligationenmärkte wurden durch den Zinsanstieg belastet.

Performance der Anlageklassen in Schweizer Franken

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Halbjahres-Bilanz – (Fast) alles ausser Gold glänzt

Boomende Aktienmärkte und eine brummende Konjunktur. Ist also alles im grünen Bereich? Wie immer gibt es eine Kehrseite der Medaille: Die Inflation schiesst durch die Decke. Die Konsumentenpreise in den USA sind im Mai um 5.0% angestiegen. Auch in Europa (+2.0%) und in der Schweiz (+0.6%) zieht die Inflation an. Lieferengpässe, deutlich gestiegene Transportkosten sowie explodierende Rohstoffpreise führen zu einem Teuerungsschub. Auch wenn ein Teil davon auf Basiseffekten beruht, welche sich spätestens ab 2022 wieder deutlich abschwächen werden, dürften die Inflationsraten in diesem Jahr über den «Zielgrössen» der Notenbanken zu liegen kommen. Das setzt die Währungshüter zunehmend unter Druck, ihre extrem expansive Geldpolitik schrittweise zurückzufahren. Wir gehen entsprechend davon aus, dass die US-Notenbank ihre Anleihekäufe ab dem kommenden Jahr reduzieren wird – die Europäische Zentralbank (EZB) dürfte in der zweiten Jahreshälfte 2022 folgen. In der Vergangenheit hat allein die Ankündigung einer restriktiveren Geldpolitik für erhöhte Volatilität und temporäre Rücksetzer an den Börsen gesorgt. Auch die aktuelle Hausse ist stark «liquiditätsgetrieben» und entsprechend ist auch diesmal mit einer gewissen Nervosität an den Aktienmärkten zu rechnen. Die globale Geldpolitik dürfte also bald ihren (vorläufigen) Höhepunkt erreicht haben. Dasselbe gilt für die Weltwirtschaft und das Gewinnwachstum: Ab dem zweiten Halbjahr wird sich das entsprechende Momentum schrittweise abschwächen. 

Nach der sehr starken Halbjahresperformance dürften die Brötchen in der zweiten Jahreshälfte etwas kleiner gebacken werden. Vor allem die Tapering-Diskussionen werden kaum spurlos an den Aktienmärkten vorbeigehen. Entsprechend haben wir in den vergangenen Wochen bei den Aktien erste Gewinne realisiert und starten anlagetaktisch mit einer leicht defensiven Positionierung ins zweite Semester. Auch bei den Sektoren dürfte es verstärkt zu Umschichtungen kommen. Nach der starken Performance vieler zyklischer Aktien wird in den entsprechenden Sektoren die Luft zunehmend dünner, da ein Grossteil der Erholung mittlerweile in den Kursen «eskomptiert» ist. Die Gewinnmargen haben sich stark erholt, was den Spielraum für weitere Gewinnsteigerungen in den kommenden Jahren limitiert.

Gewinnmargen S&P 500 Index, in %

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Den Fokus legen wir auf Qualitätsaktien und favorisieren Unternehmen mit soliden Bilanzen und einer starken Marktstellung. Dazu gehören Firmen, welche die steigenden Inputkosten via Preiserhöhungen an die Endkunden weitergeben und so ihre Gewinnmargen verteidigen können. Aufgrund dieser Ausrichtung favorisieren wir aktuell den Schweizer Aktienmarkt gegenüber den übrigen Regionen. Auf der Obligationenseite bleiben wir unverändert vorsichtig positioniert, da sich die Zinsen weiter moderat nach oben bewegen dürften. Übergewichtet bleiben wir dafür bei Schweizer Immobilienfonds und Gold. Zudem halten wir in den Portfolios taktisch eine erhöhte Liquiditätsreserve. So oder so ist unverändert eine breite Diversifikation angezeigt.

Der CIO erklärt: Was heisst das für Sie als Anleger?

Viele Aktienindizes haben zuletzt Allzeithöchststände erreicht und dabei die aktuell starke Konjunktur- und Gewinnerholung antizipiert. Einmal mehr zeigt sich, dass die Aktienmärkte die fundamentalen Entwicklungen in der Regel um rund sechs Monate vorwegnehmen. Die Tatsache, dass die Weltwirtschaft in diesem Jahr um rund 5.5% wächst und die Unternehmensgewinne weltweit gegenüber dem Vorjahr um über einen Drittel steigen werden, ist mittlerweile in den Kursen reflektiert. Die Frage ist also, was die Aktienmärkte im zweiten Halbjahr beeinflusst und wie es konjunkturell mittelfristig weitergehen wird. Aus unserer Sicht stehen dabei die Zeichen auf «Normalisierung». 

Die ultraexpansive Geldpolitik dürfte den Zenit bald erreicht haben und eine schrittweise Reduktion der Anleihekäufe ist absehbar. Auch die Wirtschaftsdynamik wird sich ab dem zweiten Halbjahr abschwächen. Entsprechend dürften sich auch die zukünftigen Aktienrenditen «normalisieren». Nach der sehr starken Performance in den letzten Monaten rechnen wir mit einer Konsolidierung und deutlich moderateren Renditen im zweiten Halbjahr. Jetzt selektiv im Sinne eines Rebalancing einen Teil der Gewinne mitzunehmen, ist deshalb sicherlich nicht falsch. Grundsätzlich sollten Anleger aber an ihrer bewährten Anlagestrategie festhalten.

Matthias Geissbühler, CIO Raiffeisen Schweiz