Immer weniger Dampf im Kessel – Wann kommt die nächste Rezession?

Der Wirtschaftsaufschwung in den USA ist inzwischen der längste aller Zeiten. Unweigerlich stellt sich da die Frage wie lange dieser noch anhalten kann. Makroökonomische Ungleichgewichte wie eine hohe Inflation, Schuldenexzesse oder Spekulationsblasen sind derzeit nicht in grösserem Ausmass zu beobachten. Doch die Wachstumsdynamik lässt nach, nicht zuletzt aufgrund der aggressiven Aussenpolitik des US-Präsidenten und dem Zollkrieg mit China.

Längster US-Wirtschaftsaufschwung aller Zeiten

Der Sommer 2019 dürfte aufgrund (schon wieder) extrem heisser Temperaturen in die Geschichtsbücher eingehen. Statistikfreunde können nach dem Ende der Sommerferien aber noch einen anderen Rekord verbuchen: Der anhaltende Wirtschaftsaufschwung in den USA ist inzwischen der längste seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1854. Inzwischen fährt die Wachstumslokomotive schon seit mehr als zehn Jahren ohne Unterbrechung. «Wenn Amerika niest, bekommt der Rest der Welt einen Schnupfen».

Dauer der Wachstumszyklen in den USA

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Getreu dieser alten Börsenweisheit ist die weltgrösste Volkswirtschaft nach wie vor das wichtigste Zugpferd der globalen Konjunktur. Nicht nur aufgrund der Rekordlänge der wirtschaftlichen Expansion, sondern vor allem auch aufgrund des tweetenden US-Präsidenten stellt sich heute aber mehr denn je die Frage, wie viel Dampf denn da wohl noch im Kessel ist?

In der volkswirtschaftlichen Theorie gibt es eigentlichen keinen Grund, warum ein Wirtschaftsaufschwung allein an «Altersschwäche» sterben sollte. Beispiele wie Australien und Polen zeigen denn auch, dass Volkswirtschaften durchaus mehr als 25 Jahre ohne Unterbruch wachsen können. Und tatsächlich sind auch die Wirtschaftszyklen in den USA in den letzten Jahrzehnten immer länger geworden. Technologischer Fortschritt, Globalisierung, freier Handel und freie Wechselkurse sowie weniger Abhängigkeit von zyklischen Sektoren – die Liste an Erklärungen für das Phänomen immer längerer Aufschwungsphasen ist lang.

Mehr als nur ein Taucher? US-Zinskurve ist seit Wochen invers

Dennoch hat die Angst vor einer Rezession – gemäss Lehrbuch ein (kräftiger) Konjunkturabschwung mit negativem Wachstum in mindestens zwei aufeinanderfolgenden Quartalen – in den letzten Monaten stetig zugenommen. Die Ursache dafür findet sich nicht zuletzt am US-Zinsmarkt, wo die Rendite für 10-Jährige Staatsanleihen nun schon seit längerem unter den kurzfristigen 3-Monats Zinsen notiert und die Zinskurve somit «invers» ist. In der Vergangenheit war dies oft ein guter Vorwarnindikator für eine bevorstehende wirtschaftliche Kontraktion.

Ein Modell der Federal Reserve Bank of New York errechnet basierend auf der Zinskurve aktuell gar eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 30% dafür, dass sich die USA in zwölf Monaten in einer Rezession befinden werden. Entsprechend gross war jüngst der Medienhype um dieses «Phänomen». Wie wir bereits in der Mai-Ausgabe des Anlageguides beschrieben haben, hat dieser berüchtigte Rezessionsindikator im derzeitigen makroökonomischen Umfeld aber seine Tücken.

Kurz- und Langfristzinsen in den USA

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Berüchtigter Rezessionsindikator – US-Zinskurve schlägt Alarm

Die Zinsstrukturkurve ist heutzutage in nie dagewesenem Ausmass durch die Geldpolitik der Notenbanken verzerrt. Und auch wenn sie in den meisten Industrieländern immer flacher wird und teils auf dem Kopf steht, zeigt sie damit keine restriktiven monetären Verhältnisse an, die einen Wirtschaftsaufschwung früher oft abgewürgt haben. Der Vergleich mit früheren «Boom-Bust-Zyklen» ist es denn auch, welcher zumindest die Optimisten noch auf eine Fortsetzung des Aufschwunges hoffen lässt. Rezessionen kommen typischerweise nämlich nicht aus dem Nichts, sondern sind Folge von einem oder mehreren wirtschaftlichen Ungleichgewichten. So war es in den 1970er Jahren beispielsweise stets die zu hohe Inflation, welche starke Zinserhöhungen der US-Notenbank erforderte und die Wirtschaft letztlich zu stark abbremste.

Wahrscheinlichkeit für eine Rezession in den nächsten zwölf Monaten (basierend auf der US-Zinskurve)

Quellen: Federal Reserve Bank of New York, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Paradebeispiel für ein Ungleichgewicht war auch der irrationale Überschwang des Dotcom- Booms um die Jahrtausendwende, der in Tränen und mit Verzögerung auch in einer Rezession endete. Schliesslich führte auch die US-Immobilienblase in den 2000er Jahren in ein nicht nachhaltiges Ungleichgewicht – und letztlich in die grosse Finanzkrise 2008.

Gibt es heute auch solche Ungleichgewichte? Auf den ersten Blick nicht. Die Inflation muss man mit der Lupe suchen, Konsum- oder Investitionsexzesse gibt es ebenfalls nicht und gemessen an klassischen Bewertungsmassstäben finden sich – mit Ausnahme des von den Notenbanken beeinflussten Obligationenmarktes – auch keine massiven Anlageblasen. Als problematisch bezeichnet wird häufig die stark gestiegene Verschuldung der US-Unternehmen. Im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung sind die Unternehmensschulden aktuell so hoch wie nie zuvor. Und der Anteil an Firmen, deren Anleihen von den Ratingagenturen eine schlechte Note verpasst bekommen, steigt stetig. Wer genau hinschaut sieht aber auch, dass es um die Finanzen der Unternehmen im Schnitt recht gut bestellt ist. Ihre Gewinne übersteigen die Zinskosten um ein Vielfaches und nach den Ausgaben für das operative Geschäft sowie Investitionen bleibt ihnen noch etwas in der Kasse. Auch dieses «Problem» relativiert sich somit wieder.

Ansteckungsgefahr? US-Konsument zeigt sich (noch) robust

Unverwundbar ist der amerikanische Wachstumsmotor aber dennoch nicht. Ganz im Gegenteil. Mit zuverlässiger Regelmässigkeit wirft Donald Trump Sand ins Getriebe. Nach kurzem Waffenstillstand hat er Anfang August – entgegen der Empfehlung fast all seiner Berater – eine weitere Eskalation im Handelsstreit mit China provoziert. Sollten die angedrohten Zölle auf die bisher noch verschonten chinesische Importe demnächst vollständig in Kraft treten, würde dies vor allem Konsumgüter wie iPhones, Laptops und Turnschuhe treffen. Dies könnte den Konsum – die wichtigste Stütze der US-Wirtschaft – empfindlich dämpfen. Im Negativszenario würde das im verarbeitenden Gewerbe schon seit Monaten negative Sentiment auch auf den Dienstleistungssektor überschwappen. Der Weg in die – erste vom US-Präsidenten hausgemachte – Rezession wäre dann nicht mehr weit.

US-Einkaufsmanagerindizes

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Der CIO erklärt: Was heisst das für die Schweiz?

Die Tatsache, dass die Wirtschaft in Deutschland im zweiten Quartal geschrumpft ist und sich auf dem Weg in eine «technische» Rezession befindet, hat hierzulande für Beunruhigung gesorgt. Denn immerhin ist der nördliche Nachbar der wichtigste Handelspartner für die Schweiz. Beide Länder gelten zudem als «Export-Weltmeister» und sind daher vom Handelskonflikt und den Deglobalisierungstendenzen besonders stark betroffen. Ein wesentlicher Unterschied besteht aber hinsichtlich der branchenmässigen Zusammensetzung der Exporte: Während in Deutschland Automobile (17.5% aller Ausfuhren) der Exportschlager sind, ist in der Schweiz die chemisch-pharmazeutische Industrie mit einem Exportanteil von 34.3% dominierend. Hier liegt auch einer der Hauptgründe für die stabilere Entwicklung der hiesigen Konjunktur. Auch wenn sich das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr auf rund 1.2% deutlich abschwächen wird, sehen wir für die Schweiz aktuell eine geringe Rezessionswahrscheinlichkeit.

Matthias Geissbühler, CIO Raiffeisen Schweiz