Die RUZ-Begleiterin Ibi Bertschi hat viel Erfahrung mit KMU aus dem Detail- und Fachhandel, die den Schritt in den E-Commerce wagen. Sie schaffen sich damit einen zusätzlichen Verkaufskanal. Im Interview erklärt sie, wie sich ein KMU fit für den Online-Handel macht und welche Fehler man vermeiden kann.
Ibi Bertschi ist seit anfangs Februar 2016 Begleiterin im RUZ Gossau. Die Thurgauerin wuchs im elterlichen Garagenbetrieb auf und kennt das Unternehmertum von klein auf.
Frau Bertschi, braucht ein KMU heute zwingend einen Online-Shop?
Ibi Bertschi: Aus dem Bauch heraus einen Webshop zu gründen, weil «alle einen haben», ist die falsche Strategie. Ein Unternehmer muss sich schon überlegen, ob dieser Vertriebskanal zu seinem Geschäft passt. Ich beobachte leider häufig, dass man einfach mal «macht» und dann scheitert.
In welchen Branchen geht es schon fast nicht mehr ohne?
I. B.: Im Detailhandel, denn das Einkaufen übers Internet wird vom Konsumenten erwartet. Ärzte, Friseure oder Anwälte sind hingegen häufig noch sehr analog unterwegs, obwohl potentielle Kunden gerade auch lokal nach entsprechenden Dienstleistungen suchen.
Und welche Branchen sind «digitalisierungsresistent»?
I. B.: Heute kann es sich keine Branche mehr leisten, den Kopf in den Sand zu stecken. Alles, was digitalisiert werden kann, wird früher oder später digitalisiert – oder zumindest digital unterstützt. So wie wir es schon seit Jahrzehnten bei vielen anderen Themen wie beispielsweise der Telefonie erleben: Das gedruckte Telefonbuch kennt heute keiner mehr. Der Handel tut gut daran, sich auf allen Ebenen fit zu machen. Denn die internationalen Wettbewerber drängen durch die neuen Kanäle immer mehr auf den Schweizer Markt.
Wie zahlt sich die Investition in einen Online-Shop aus?
I. B.: Ein KMU wagt mit dem eigenen Online-Shop oft den ersten Schritt in die Digitalisierung und erhofft sich davon Wachstum und Wettbewerbsvorteile. Und es gibt eine neue Garde an findigen Unternehmerinnen und Unternehmern, die neue digitale Geschäftsmodelle entwickeln. Viele davon sind Dienstleister. Man kann plötzlich übers Internet den Umzug buchen, Geld für seine Projekte sammeln, sich online coachen lassen oder über eine Zeit-Tauschplattform jemanden finden, der mir die Wohnung streicht. Die Investition in einen Online-Shop bringt zusätzliche neue Reichweite und damit Neukunden, die man auf dem klassischen Wege möglicherweise nicht akquiriert hätte.
Wie sieht es im B2B-Bereich aus?
I. B.: Der Online-Handel funktioniert auch für KMU im B2B-Bereich. Besonders gut eignen sich standardisierte Produkte und Dienstleistungen, beispielsweise Büro- und Verbrauchsmaterialien oder Lebensmittel für die Gastronomie. Schwierig wird es dort, wo das Geschäftsmodell eine hohe Spezialisierung erfordert und das Produkt auf den Kunden zugeschnitten ist, beispielsweise im Maschinenbau.
Lohnt sich ein Online-Shop auch für einen Kleinbetrieb?
I. B.: Je nach Spezialisierung und Verfügbarkeit der Produkte kann ein Online-Shop als zusätzlicher Verkaufskanal den Absatz unterstützen und die Bekanntheit des Betriebs steigern. Viele Kleinbetriebe nutzen diese Multi-Channel-Strategie bereits. Ausserdem gibt es Plattformen wie farmy.ch, wo sich Hofläden oder Metzgereien anschliessen können. Der Konsument kauft online und wird direkt vom Produzenten beliefert – schweizweit! Der einzelne Betrieb muss sich somit weniger ums Marketing kümmern und kann sich seinem Kerngeschäft widmen: der Produktion und dem direkten Vertrieb der Produkte.
Welchen Tipp geben Sie KMU?
I. B.: Auf «Weniger ist mehr» fokussieren: Mit einer messerscharfen Positionierung und einem kleinen, aber feinen Sortiment an qualitativ hochwertigen Produkten und Dienstleistungen starten.
Ich kann also mein Sortiment nicht 1:1 im Online-Shop abbilden?
I. B.: Nur, wenn die Produkte verfügbar sind und der Kunde einen Nutzen daraus zieht. Als Unternehmer muss ich mir aber Gedanken machen, ob mein Sortiment auch «online» funktioniert. Ich empfehle, dass man ganz neu denkt, sich das Kundenverhalten in Zukunft vorstellt und sich dann überlegt, wie man den Kunden anspricht. Das bisherige Modell auf einen Online-Shop zu stülpen ist in den wenigsten Fällen zielführend. Gerade wenn das Sortiment breit ist, stösst man mit der Pflege der Seite schnell an seine Grenzen.
Welche Fehler machen die KMU?
I. B.: Die Unternehmer machen wie so oft alles alleine, am Feierabend und am Wochenende. Sie holen sich keine Hilfe von Profis und unterschätzen den Aufwand. Kundenerlebnis und Logistik müssen durchgängig funktionieren, die Produkte ansprechend präsentiert und der Shop vom Konsumenten gefunden und bevorzugt werden. Wenn der Mehrwert für den Konsumenten nicht ersichtlich ist oder der Kauf übers Internet keinen Sinn macht, nützt die tollste Seite wenig.
Wie fängt man am besten an?
I. B.: Zuerst sein Geschäftsmodell analysieren und dann eine Auslegeordnung der Möglichkeiten machen. Vielen KMU hilft es, sich mit anderen auszutauschen, um ihre Idee zu überprüfen und den Fokus nicht zu verlieren. Im Raiffeisen Unternehmerzentrum bieten wir Digitalisierungsworkshops an. Es geht uns nicht darum, eine pfannenfertige Lösung zu liefern, sondern um die Begleitung des Unternehmers im Entscheidungsprozess. Weshalb in die gleiche Falle tappen, wenn andere den Fehler schon einmal gemacht haben?
Was, wenn ich mich gegen den Online-Handel entscheide?
I. B.: Je nach Unternehmen ist der stationäre Handel die richtige Wahl. Man sollte auf seinen unternehmerischen Instinkt hören. Viele Kunden schätzen auch einen spezialisierten, verlässlichen und stationären Partner. Wer keinen eigenen Shop hat, aber trotzdem vom E-Commerce profitieren will, kann seine Produkte auch über etablierte Branchen-Plattformen wie galaxus.ch oder farmy.ch vertreiben.
Digitalisierungsberatung im RUZ
Ibi Bertschi ist seit anfangs Februar 2016 Begleiterin im RUZ Gossau. Die Thurgauerin wuchs im elterlichen Garagenbetrieb auf und kennt das Unternehmertum von klein auf. Seit über 18 Jahren führt sie ihr eigenes Unternehmen und berät KMU auf dem Weg zu mehr Effektivität und Effizienz im Markt. Das RUZ begleitet und unterstützt Sie dabei neue Herausforderungen anzupacken und sich Schritt für Schritt digital zu transformieren.