Halbzeit-Bilanz – Starke erste Hälfte

Praktisch alle Anlageklassen notierten im ersten Halbjahr (zum Teil deutlich) im Plus. Die Angst vor einem Liquiditätsentzug ist der Hoffnung auf weitere Geldspritzen durch die Notenbanken gewichen. Das zweite Halbjahr steht weiter im Spannungsfeld zwischen globaler Wachstumsverlangsamung sowie anhaltend expansiver Geldpolitik und dürfte durch eine erhöhte Volatilität geprägt sein.

Die «Normalisierung» hat stattgefunden

Das erste Halbjahr 2019 ist bereits vorüber und damit ist auch ein guter Zeitpunkt für eine erste Zwischenbilanz gekommen. Anfang Jahr haben wir drei Szenarien für die Wirtschaftsentwicklung 2019 vorgestellt. In unserem Hauptszenario der «kontinuierlichen Normalisierung» sind wir von einem global schwächeren, aber immer noch positiven Wirtschaftswachstum ausgegangen und dies bei moderaten Inflationsraten. In der Tat hat sich die globale Konjunktur im Jahresverlauf merklich abgekühlt und diverse Vorlaufindikatoren deuten darauf hin, dass sich diese Tendenz im zweiten Halbjahr fortsetzen wird. Vor allem in Europa wurden die Wachstumsprognosen deutlich nach unten revidiert. Zudem hat sich der Handelskonflikt zwischen den USA und China nochmals verschärft und belastet zunehmend die Weltwirtschaft. Betrachten wir die aktuellen Konsensprognosen für 2019 zeigt sich, dass sich diese mittlerweile zwischen unserem Hauptszenario und dem vorsichtigen Szenario der «fortschreitenden Deglobalisierung» eingependelt haben.

Wachstum und Inflation in den drei Szenarien für 2019 von Anfang Jahr sowie aktuelle Konsensprognosen

Hauptszenario mit Abwärtsrisiken – Wachstum und Inflation in den drei Szenarien für 2019 von Anfang Jahr sowie aktuelle Konsensprognosen

Quelle: Raiffeisen Schweiz CIO Office

Starke Halbjahresbilanz – Sämtliche Anlageklassen im Plus

Die Kapitalmärkte haben sich in den ersten sechs Monaten überraschend stark entwickelt. Trotz schwächerer Konjunkturdaten verzeichneten (mit Ausnahme des Geldmarktes) sämtliche Anlageklassen, in Schweizer Franken gerechnet, eine positive Performance. Die Aktienmärkte notieren sogar zweistellig im Plus – angeführt vom Schweizer Aktienmarkt mit einem Plus von 21.8 %. Auch alternative Anlagen wie Rohstoffe, Gold und Immobilienfonds brachten positive Renditen. Zu guter Letzt konnten die Anleger – dank einem erneuten Zinsrückgang auf breiter Front – selbst mit Obligationen nochmals Geld verdienen. Und genau bei der Zinsentwicklung liegt die Hauptursache für diese positive Halbzeit-Bilanz.

Bei den Zinsen hat nämlich entgegen den Erwartungen keine Normalisierung stattgefunden. Im Gegenteil: Nach dem Einbruch der Aktienmärkte im Dezember 2018 haben die Notenbanken in den vergangenen Monaten eine veritable 180-Grad-Kehrtwende vollzogen. US-Notenbankchef Jerome Powell, welcher im Dezember 2018 mit der Ankündigung von weiteren Zinserhöhungen die Marktstimmung abrupt kippen liess, stellt nun aufgrund der konjunkturellen und geopolitischen Unsicherheiten bereits wieder Zinssenkungen in Aussicht. Und auch die Europäische Zentralbank (EZB) und die Schweizerische Nationalbank (SNB) diskutieren öffentlich über zusätzliche geldpolitische Stimuli sowie eine weitere Verschärfung der Negativzinsen. Somit ist die Angst der Anleger vor einem Liquiditätsentzug durch die Notenbanken bereits der Hoffnung auf neue Geldspritzen gewichen. Damit dreht sich auch das geldpolitische Karussell nochmals eine Runde weiter – und die Flut hebt ja bekanntlich alle Boote.

Starke Halbjahresbilanz – Performance der Anlageklassen in Schweizer Franken

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Die Kehrtwende der Notenbanken hat entsprechend auch zu einer Anpassung unserer Zinsprognosen geführt. Im Anlageguide vom April (PDF, 781.6KB) haben wir das Thema unter dem Titel «Nullzinsen für die Ewigkeit?» detailliert beleuchtet. In den USA rechnen wir mittlerweile sogar mit einer ersten Zinssenkung in der zweiten Jahreshälfte. Auf Seiten von EZB und SNB erwarten wir in den kommenden zwölf Monaten hingegen keine Zinsschritte – weder nach unten noch nach oben. Dafür dürften die Notenbankbilanzen weiter anwachsen: Bei der EZB aufgrund erneuter Anleihekäufe und bei der SNB wegen absehbarer Interventionen am Devisenmarkt. Wir gehen nämlich weiterhin von einer starken Heimwährung aus. Klar ist damit, dass das Tiefzinsumfeld noch lange anhalten wird und ein Japan-Szenario immer wahrscheinlicher wird. Was die weitere Konjunkturentwicklung anbelangt, halten wir hingegen an unserem «Normalisierungsszenario» fest. Sollte der Handelskrieg allerdings fortgeführt werden oder gar weiter eskalieren, bestehen nicht unbeträchtliche Abwärtsrisiken für die Wirtschaft. Jedoch gehen wir selbst in diesem Fall (noch) nicht von einer Rezession in diesem Jahr aus.

Wie geht es weiter an den Finanzmärkten im zweiten Halbjahr?

Was bedeutet dies alles nun für die weitere Entwicklung an den Finanzmärkten im zweiten Halbjahr? Aus unserer Sicht werden sich die Märkte im Spannungsfeld zwischen nachlassender Konjunkturdynamik und unterstützender Geldpolitik sehr volatil entwickeln. 

Obligationen bleiben aufgrund der tiefen absoluten Zinsniveaus grundsätzlich unattraktiv. Andererseits sind die Verlustrisiken bei qualitativ guten Schuldnern limitiert und zwar sowohl von der Kreditrisiko- als auch der Zinsänderungsrisikoseite her. Unter dem Strich sind wir zwar bei dieser Anlageklasse weiterhin «untergewichtet», billigen den Obligationen aber eine stabilisierende Funktion im Portfoliokontext zu. Vor allem auf der Aktienseite rechnen wir mit erhöhten Schwankungen in den kommenden Monaten und nach dem starken Kursanstieg seit Jahresanfang wird die Luft für weitere Avancen dünner. Der Grossteil der Jahresrendite dürfte somit bereits «eingefahren» sein und wer auf eine lineare Fortsetzung der bisherigen Entwicklung setzt, wird enttäuscht werden. Unterstützung gibt es aber durch die Geldpolitik, welche nun global betrachtet wieder expansiver wird. Unter dem Strich sind wir bei Aktien taktisch zwar «neutral», aber innerhalb der Länder- und Sektorenallokation weiterhin leicht defensiv positioniert. Positiv beurteilen wir die Segmente Schweizer Immobilienfonds sowie Gold, welche wir unter anderem auch aufgrund der guten Diversifikationseigenschaften weiterhin als interessante Beimischung erachten. Beide Anlageklassen profitieren zudem stark von tiefen (Real-)Zinsen. Und von dieser Seite her erwarten wir – wie gesagt – in den kommenden Monaten wenig Gegenwind. Grundsätzlich sind eine breite Diversifikation sowie ein klarer Fokus auf gute Qualität der Einzelanlagen angezeigt.

Der CIO erklärt: Was heisst das für Sie als Anleger?

Nach dem äusserst erfreulichen ersten Halbjahr stellt sich natürlich die Frage wie es nun weitergeht. «Für uns ist klar, dass sich die Entwicklung der ersten sechs Monate nicht linear fortschreiben lässt», ist sich Matthias Geissbühler, CIO Raiffeisen Schweiz sicher. «Ebenfalls klar ist, dass die Zinsen bis auf weiteres tief bleiben und allenfalls sogar noch weiter sinken werden. Vor diesem Hintergrund sollten sich Anleger an diejenigen Anlageklassen halten, welche von dieser (Zins-)Entwicklung besonders stark profitieren. Dazu gehören Gold sowie Immobilienfonds – beide Segmente erachten wir mittelfristig weiterhin als attraktiv. Auf der Aktienseite bevorzugen wir defensive Sektoren wie Gesundheit, Konsumgüter und Telekommunikation.» Ein Fokus sollte zudem auf dividendenstarken Aktien liegen. Letztlich gehören auch Obligationen von qualitativ soliden Schuldnern weiterhin in ein ausgewogenes Depot. Generell sind eine breite Diversifikation sowie der Fokus auf eine hohe Qualität der Einzelanlagen angezeigt.

  

Matthias Geissbühler, CIO Raiffeisen Schweiz