Mobilität der Zukunft – Die Autokonzerne sind gefordert

Die Automobilindustrie muss sich neu erfinden. Die Entwicklung weg von Verbrennungsmotoren hin zu alternativen, CO2-armen Antrieben ist bereits in vollem Gange. Hinzu kommen Trends wie autonomes Fahren sowie «Shared Mobility». Für Anleger ergeben sich aus diesem Wandel sowohl Chancen als auch Risiken.

Die Jagd auf Tesla ist eröffnet

Tesla erhält Konkurrenz. Aus dem eigenen Land. Der kalifornische Elektroautohersteller Lucid Motors will in den kommenden Wochen sein erstes E-Luxusauto unter dem Namen Lucid Air auf den Markt bringen. Auch der Börsengang ist vorbereitet. Über einen sogenannten «Special Purpose Acquisition Company»-Mantel (SPAC) will sich die Firma dem Publikum öffnen. Die Bewertung: fast 12 Milliarden US-Dollar. Viele Vorschusslorbeeren könnte man meinen. Der Trend in Richtung E-Mobilität hat sich allerdings in den vergangenen Jahren weiter beschleunigt und viele etablierte Autohersteller haben eine E-Offensive angekündigt. 

So hat etwa der Volkswagen-Konzern, nach Fahrzeugabsatz der zweitgrösste Autohersteller der Welt, angekündigt, dass bis 2025 rund ein Viertel aller verkauften Fahrzeuge batteriebetrieben sein sollen. Mit dem Ausrollen des VW ID.3 im September 2020 hat der Konzern aus Wolfsburg den Strategiewechsel eingeläutet. Im vergangenen Jahr wurden 231'600 Elektroautos sowie 190'500 Plug-in-Hybride verkauft. Der Anteil dieser Modelle am Gesamtabsatz von 9.31 Millionen Fahrzeugen beträgt dennoch gerade einmal 4.5%. Trotzdem hat VW zur Aufholjagd gegen den Branchenprimus Tesla geblasen – mit der Absicht, den Leader-Thron bis 2025 zu übernehmen. 

Anzahl verkaufter Elektroautos 2020 (inkl. Plug-in- Hybride)

Quellen: EV-Volumes.com, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Rasantes Wachstum der Elektrofahrzeuge

Auch andere Autohersteller wie Volvo oder General Motors setzen sich ambitionierte Ziele und wollen in Zukunft komplett auf Verbrennungsmotoren verzichten. Hinzu kommen chinesische Produzenten, welche mit massiven Fördergeldern der Regierung die E-Mobilität weiterentwickeln. Gemäss Schätzungen des Beratungsunternehmens Deloitte wird der Anteil der elektrifizierten Antriebe weiter stark wachsen und bis 2030 auf rund 30% ansteigen.

Unterstützt wird dieses Wachstum von staatlichen Subventionen, aber auch einer zunehmend strengeren Regulierung. Kein Wunder also, dass die 29 grössten Automobilhersteller in den nächsten zehn Jahren insgesamt rund 300 Milliarden US-Dollar in diesen Technologiewandel investieren. Ein mögliches Nadelöhr liegt derzeit in der Batterieherstellung. Die Lithium-Preise sind nach dem Corona-bedingten Einbruch zuletzt wieder stark angestiegen. Kostete ein Kilogramm des Leichtmetalls im September 2020 gerade mal 8.85 US-Dollar, so ist der Preis seither um 27% gestiegen. Engpässe sind zudem vorprogrammiert. Weltweit wird deshalb an neuen Batterietechnologien geforscht, mit dem Ziel, diese billiger und mit einer grösseren Energiedichte herzustellen. Letzteres erhöht die Reichweite. 

Marktanteilsentwicklung der E-Fahrzeuge

Quellen: Deloitte, EV-Volumes.com, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Neben der schlechten CO2-Bilanz bei der Batterieproduktion bleibt auch die Entsorgung beziehungsweise das Recycling eine Herausforderung für die Zukunft. Als Alternative werden deshalb vermehrt auch Wasserstoff- beziehungsweise Brennstoffzellenantriebe angepriesen. Die Technologie wird bereits heute in verschiedenen Automodellen eingesetzt. Der Vorteil ist, dass die Abgase einer Brennstoffzelle einzig und allein aus Wasserdampf bestehen. Was fast (zu) perfekt tönt, hat leider einen Haken: Wasserstoff ist keine Primärenergie und muss zuerst (unter hohem Energieverbrauch) hergestellt werden. Die Wasserstoff-Technologie ist also erst dann wirklich nachhaltig, wenn die zur Herstellung benötigte Energie aus erneuerbaren Energieträgern gewonnen werden kann. Welche Antriebstechnologie sich letztendlich durchsetzen wird bleibt offen. Klar ist aber, dass die Tage der Verbrennungsmotoren gezählt sind. 

Der Weg zum autonomen Fahren ist nicht mehr weit

Neben der Antriebsfrage wird weltweit auch an weiteren Mobilitätstrends geforscht. Ein grosses Thema ist das «autonome Fahren». Im Dezember 2011 hat der Technologiekonzern Google in den USA ein Patent für den Betrieb von autonomen Fahrzeugen erhalten. Seither wird mit Hochdruck an selbstfahrenden Autos getüftelt. Dabei wird der Grad der Autonomie in sechs Stufen eingeteilt. Stufe 0 sind die sogenannten «Selbstfahrer» – hier gibt es keinerlei technische Unterstützung. Auf der anderen Seite der Skala (Stufe 5) wird der Fahrer überflüssig und ein entsprechendes Fahrzeug verfügt weder über ein Lenkrad, noch über Pedalen. Die neusten zugelassenen Modelle befinden sich auf Stufe 3. Hier kann der Computer autonom die Fahrspur halten und Fahrspurwechsel eigenständig vornehmen. 

Die sechs Stufen des automatisierten Fahrens

Quellen: VDA, Raiffeisen Schweiz CIO Office

In Zukunft sollen die Fahrzeuge zudem noch intelligenter vernetzt werden und sowohl untereinander als auch mit der Verkehrsinfrastruktur kommunizieren und kooperieren können. Das autonome Auto soll letztlich über Ampelphasen, vorausliegende Baustellen, Staus oder Unfälle rechtzeitig informiert werden und entsprechend reagieren können. Das Automobil der Zukunft gleicht somit einem hochentwickelten fahrenden Computer. Kein Wunder also, dass zunehmend auch Technologiekonzerne wie Google und Apple mitmischen und wohl bald eigene Fahrzeuge produzieren (lassen) werden. Aber auch im Bereich des autonomen Fahrens bleiben einige Fragen offen. Besonders haftungsrechtliche sowie ethische Fragen müssen beantwortet und in einen entsprechenden regulatorischen Rahmen gegossen werden.  

In Zukunft dürften Autos also selbstfahrend und mit alternativen Antrieben versehen sein. Aber selbst in diesem Szenario bleibt ein Problem ungelöst: Nämlich dass ein Auto wenig genutzt wird. Im Durchschnitt steht ein Fahrzeug 23 Stunden am Tag auf einem Parkplatz oder in einer Garage herum. Hier kommt das Thema der «Shared Mobility» (ein Teil der «Shared Economy») ins Spiel. Die Idee dahinter ist, dass man ein Fahrzeug nicht mehr besitzt, sondern «ausleiht» und zwar nur, wenn man es braucht. Geteilte Mobilität könnte den Verkehr und die Luftverschmutzung in den Städten spürbar reduzieren. Gemäss dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) würden in Singapur 30% der Fahrzeuge ausreichen, um die Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerung zu bedienen. Gerade in den grossen Städten wäre dies eine spürbare Entlastung. 

Vieles ist in Bewegung. Sicher ist: In 20 Jahren dürfte die Automobilindustrie deutlich anders aussehen als heute. Neue Anbieter werden auf den Markt drängen. Die traditionellen Hersteller sind gefordert und müssen sich neu erfinden. Wie immer bietet ein solcher Wandel für Anleger sowohl Chancen als auch Risiken. 

Der CIO erklärt: Was heisst das für Sie als Anleger?

Die Aktien der traditionellen Autokonzerne haben eine lange Durststrecke hinter sich. Seit dem «Dieselgate 2015» konnte man mit den entsprechenden Valoren unter dem Strich kein Geld verdienen – während die breiten Aktienindizes zuletzt neue Allzeithöchst verzeichneten. Neben den hohen Bussen belasten auch die immensen Investitionen in neue Technologien die ohnehin tiefe Profitabilität der Autobauer. Und auch die Zukunft bleibt ungewiss. 

Welche der grossen Autokonzerne den Wandel zu ihren Gunsten nutzen und zu den Gewinnern gehören werden, bleibt offen. Denkbar ist auch, dass neue Anbieter wie beispielsweise Google oder Apple in den Markt drängen werden. Als Anleger sollte man deshalb primär auf die sich abzeichnenden Trends setzen. Batteriehersteller werden vom E-Mobilitätsboom profitieren und diverse Technologieunternehmen von Entwicklungen wie dem autonomen Fahren. In diesen Bereichen herrscht Goldgräberstimmung – für die etablierten Autokonzerne hingegen geht es ums nackte Überleben. 

Matthias Geissbühler, CIO Raiffeisen Schweiz