«Eine klar definierte Anlagestrategie ist für den Erfolg entscheidend»

Auch im Jahr 2021 kann es immer wieder zu Rückschlägen an den Finanzmärkten kommen. Deshalb empfiehlt Matthias Geissbühler, Chief Investment Officer (CIO) von Raiffeisen Schweiz, den Anlegern mehr denn je eine breite Diversifikation und eine konsequente Umsetzung der Anlagestrategie.

Interview mit Matthias Geissbühler, CIO von Raiffeisen Schweiz

Herr Geissbühler, das Coronavirus und seine Folgen haben im Jahr 2020 tiefe Spuren in der Gesellschaft und der Wirtschaft hinterlassen. Nur die Börse scheint immun. Worauf führen Sie dies zurück?

Matthias Geissbühler: Dafür sind drei Faktoren verantwortlich: Im Vordergrund steht die Zins- und Geldpolitik der Notenbanken. So hat die US-Notenbank Fed im März beispielsweise die Leitzinsen von 1,75 auf 0,25 Prozent gesenkt. Gleichzeitig pumpen die Zentralbanken viel Geld ins System, um die Wirtschaften zu stützen. Die Bilanz der Fed hat sich 2020 um 3 Billionen Dollar ausgeweitet, jene der Europäischen Zentralbank um 2,3 Billionen Euro. Weiter haben die Staaten zur Unterstützung der Wirtschaft Rettungspakete und Fiskalstimulusprogramme geschnürt. Denken Sie nur an die Kurzarbeit, welche die Firmen massiv entlastet. Für einen zusätzlichen Schub an den Börsen sorgt seit einigen Wochen auch die Aussicht auf einen wirksamen Impfstoff. Diese Hoffnungen haben bereits zu entsprechenden Kursgewinnen geführt.

Die Folgen der Krise dürften sich in den Jahresabschlüssen der Unternehmen widerspiegeln. Welche Resultate erwarten Sie?

Die Ergebnisse werden insgesamt kaum Freude bereiten. Zum Teil erwarten wir deutliche Gewinneinbrüche. Dies ist nicht überraschend und hat sich bereits im Laufe des Jahres abgezeichnet. Je nach Branche werden die Resultate allerdings sehr unterschiedlich ausfallen: Im Tourismus, in der Aviatik, beim zyklischen Konsum und zum Teil auch in der Industrie dürfte ein markanter Gewinnrückgang bis hin zu hohen Verlusten resultieren. Auf der anderen Seite gibt es Corona-Gewinner: Hierzu zählen unter anderem Technologiefirmen, Onlineplattformen wie Amazon oder Firmen, die vom Homeoffice-Boom profitieren. Weiter dürfte der Gesundheitssektor oder die Nahrungsmittelindustrie unbeschadet, wenn nicht gar gestärkt durch die Krise gekommen sein.

Wie sollen sich die Anleger im Hinblick auf das Jahr 2021 verhalten? 

Aus unserer Sicht hat 2020 exempla­risch gezeigt, dass ein Festhalten an der Anlagestrategie für den Erfolg entschei­dend ist: Nach dem Absturz im März ist es an der Börse zu einer schnellen Gegenbe­wegung gekommen. Wer damals aus Pa­nik ausgestiegen ist, muss hohe Verluste verschmerzen. Man darf sich von Schwankungen an den Aktienmärkten nicht beunruhigen lassen. Dies gilt auch in Zukunft. Darüber hinaus hat 2020 ge­zeigt, wie wichtig eine breite Diversifika­tion ist. 

Welche Alternativen haben Anleger, die ih­re Schäfchen ins Trockene bringen wollen? 

Das sollte man sich gut überlegen. Fakt ist, dass man auf dem Sparkonto oder auch bei Staatsanleihen nichts verdienen wird. Es gibt derzeit kaum Alternativen zu den Aktienmärkten. Zumal wir 2021 wie­der eine leichte Inflation erwarten. Da­durch dürfte das Geld real an Wert verlie­ren. Es lohnt sich deshalb, an einer lang­fristigen Anlagestrategie festzuhalten. Al­lenfalls könnte man ein Rebalancing vor­nehmen, sprich bei Anlagen, die sich sehr positiv entwickelt haben, die Gewinne teilweise realisieren und diese in andere aussichtsreiche Werte investieren. 

Was halten Sie von Gold? 

Gold eignet sich gut zur Diversifikati­on. Das hat man 2020 eindrücklich gese­hen. In den letzten zwölf Monaten ist der Preis für eine Unze Gold um gut 20 Pro­zent auf über 1850 Dollar gestiegen. Zu­dem ist die Korrelation zu den Aktien­märkten tief. Und auch die Aussichten sind intakt: Sollten die Impfstoffhoff­nungen nämlich enttäuscht werden und es zu Rückschlägen kommen, wird das Edelmetall gefragt sein. Dasselbe gilt, wenn wir die Pandemie in den Griff be­kommen. Dann ist Gold ein guter Inflati­onsschutz. Wir empfehlen in unserer Vermögensallokation deshalb einen Goldanteil von 6 Prozent, mit einem Ziel­preis von 2000 Dollar pro Unze.

In welchen Anlageklassen sehen Sie an­sonsten noch Chancen? 

Mit Obligationen wird man kaum Geld verdienen können, das Renditepotenzial ist gering. Wir erwarten zwar keine Zins­wende. Am langen Ende könnten die Zin­sen aber leicht ansteigen, wenn sich die Konjunktur wie erwartet erholt. Anlei­hen haben wir deshalb untergewichtet. Zur Diversifikation und Stabilisierung im Portfoliokontext verzichten wir aber nicht gänzlich auf die Anlageklasse. Wir setzen dabei auf Unternehmensanleihen mit Investmentgrade, also qualitativ hochwertige Obligationen. Bei den Hoch­zinsanleihen erscheinen uns die wieder deutlich gesunkenen Kreditaufschläge zu tief. Anleger werden damit nur noch ungenügend für die höheren Ausfallrisi­ken entschädigt. 

«Neben einer konsequenten Umsetzung der Anlagestrategie sind eine breite Diversifikation und ein Fokus auf Qualität zentral.»

Eine erfreuliche Entwicklung zeigten auch Immobilienanlagen. Wird der Trend an­halten? 

Schweizer Immobilienfonds haben sich 2020 sehr erfreulich entwickelt und gut 9 Prozent zugelegt. Für die Zukunft sehen wir weiteres Potenzial. Mit einer Ausschüttungsrendite von 2,3 Prozent weisen sie einen Aufschlag von rund 3 Prozent gegenüber Staatsanleihen auf. Wir empfehlen deshalb ein Übergewicht in Immobilienfonds zulasten der Staats­anleihen. Innerhalb der Anlageklasse be­vorzugen wir Wohn- gegenüber Bürolie­genschaften: Mit dem Homeoffice-Trend sind grössere Wohnliegenschaften ge­sucht, auch ausserhalb der Städte. Die Leute brauchen nicht mehr ins Zentrum zu fahren und können ein Objekt auf dem Land suchen. Bezüglich der Finan­zierungsmöglichkeiten erwarten wir kei­ne Verschlechterung der Lage. 

Lohnt es sich für Anleger, gezielt auf die Corona-Pandemie und deren Bekämpfung zu setzen?

Das Thema ist wohl zu eng gefasst. Si­cherlich gibt es Firmen, beispielsweise in der Pharmaindustrie, die wegen Coro­na einen Kurssprung machten. Noch ist aber offen, zu welchen Preisen sie die Impfstoffe verkaufen können und wie hoch die Kosten für die Entwicklung ausfallen. Zudem waren nur sehr weni­ge Impfstoffhersteller überhaupt erfolg­reich. Anders sieht es aus, wenn man sich fragt, welche gesellschaftlichen Entwicklungen mit der Pandemie ver­bunden sind. Hier gibt es sicher span­nende Themen wie beispielsweise die verstärkte Digitalisierung. Allerdings sind auch hier bereits hohe Erwartun­gen in den Kursen der entsprechenden Firmen abgebildet.

Immer mehr Vermögen fliesst in nachhal­tige Anlagen. Sollte man solche Invest­ments bevorzugen? 

Dieser Trend ist nicht neu: Bereits 2001 hat Raiffeisen ihren ersten Futura Fonds zusammen mit Inrate lanciert. Mittlerweile hat sich der Trend be­schleunigt und wird anhalten. Doch es braucht globale Standards und eine er­höhte Transparenz, damit ein seriöser Vergleich der Anlagen möglich ist. Klar scheint uns, dass nachhaltige Unterneh­men langfristig erfolgreicher sein wer­den als ihre Konkurrenten.

Erwarten Sie im Jahr 2021, angesichts der Corona-bedingten Unsicherheiten, an der Börse erneut eine hohe Volatilität? 

Tatsächlich wird sie kaum auf das Ni­veau von vor der Krise zurückgehen. Da­für sind noch zu viele Fragen offen. Wie wirken die Impfstoffe? Gibt es Nebenwir­kungen? Wie stabil sind die Lieferketten? Es kann immer wieder zu Rückschlägen kommen. Somit ist eine breite Diversifi­kation entscheidend. Gleichzeitig lohnt sich für Anleger ein Rückblick auf 2020. Sie sollten sich die Frage stellen, wie sie auf die Verluste im März reagiert haben, und auf dieser Grundlage allenfalls ihre effektive Risikobereitschaft hinterfragen und gegebenenfalls anpassen.

Wie unterstützt Raiffeisen ihre Kunden dabei? 

Wir haben eine breite Produktpalette im Angebot – von digitalen Lösungen über die Anlageberatung oder eine Ver­mögensverwaltung. Im Jahresendge­spräch analysieren die Kundenberater das Risikoprofil und die strategische Vermögensallokation der Kunden. Häu­fig lohnt sich ein sogenannter Vermö­gens-Check, in dem wir die gesamte Ver­mögenssituation analysieren, inklusive Immobilien, Finanzierungen, Liquidi­tätsplanung und Vorsorge. Diese ganz­heitliche Vermögensanalyse bieten wir unseren Kunden, aber auch externen Privatkunden an.

 

Interview: Roberto Stefano, NZZ am Sonntag, erschienen am Sonntag, 27. Januar 2020

Gut zu wissen: Vermögens-Check

Wir legen Wert darauf, dass das Vermögen unserer Kundinnen und Kunden für die Zukunft vielver­sprechend aufgestellt ist. Unsere Experten empfehlen daher, jeweils zum Jahres­auftakt einen individuellen Vermö­gens-Check mit dem Kundenberater durchzuführen. So können Enttäu­schungen vermieden werden. Gemeinsam wird geprüft, ob das Vermögen immer noch auf die Kun­denbedürfnisse abgestimmt ist und die Anlagen weiterhin mit der per­sönlichen Anlage- und Vorsorgestra­tegie übereinstimmen. Der Rück- und Ausblick auf die persönliche Vermö­genssituation soll Anlegerinnen und Anlegern zudem das gute Gefühl verschaffen, das eigene Geld für die nächsten Monate bestmöglich allo­kiert zu wissen. Zusammen mit dem Raiffeisen-Experten werden im Ver­mögens-Check Optimierungsmög­lichkeiten identifiziert, Chancen the­matisiert und die Portfoliostruktur auf das Marktumfeld abgestimmt.