Verwöhnt statt verpönt

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Ausgabe 20.11.2019 – Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen

Martin Neff - Chefökonom Raiffeisen Genossenschaft
Martin Neff – Chefökonom Raiffeisen Genossenschaft

Bundeskanzlerin Angela Merkel und VW-Chef Herbert Diess sehen aus wie allerbeste Freunde. Auf den jüngsten Bildern wirken die beiden wie ein glückliches und harmonisches Paar. Anfang des Monats war Merkel zu Gast beim Produktionsstart des Volkswagens ID.3 in Zwickau.

Und das klang dann aus ihrem Munde so: «Die Bundesregierung ist auf dem Weg in eine neue automobile Zukunft bereit, grosse Anstrengungen zu unternehmen. Uns ist es wichtig, dass sich sehr bald möglichst viele Menschen, für die ein Auto unverzichtbar und auch Teil ihrer Lebensfreiheit ist, ein Elektroauto leisten können und das Elektroauto somit also – wie früher Käfer und dann der Golf – im wahrsten Sinne des Wortes zum Volks-Wagen wird». Aha, so sieht's aus.

Die Bundesregierung ist also auf dem Weg in eine neue automobile Zukunft und nicht die Industrie selbst. Ist das ein Wink mit den Zaunpfahl, der da heissen könnte, die Branche allein hätte diesen Weg nicht eingeschlagen? Dazu ist das Auto, bekanntlich noch immer des deutschen liebstes Kind, für die Kanzlerin eine heilige Kuh, denn schliesslich ist es Teil der Lebensfreiheit der Menschen in Deutschland. Mit solchen Aussagen wird die motorisierte Individualmobilität zum Grundrecht hochstilisiert. Und wer in Deutschland an den Käfer denkt, kriegt ja fast schon feuchte Augen und der Golf ist der Weltmeister aller Autos, was die Stückzahlen betrifft. Denkmäler der deutschen Industriegeschichte sozusagen. Die dürfen einfach nicht umstürzen. Kaum eine Industrie in Deutschland wird dermassen gehegt und gepflegt. Denn an ihr hängen Millionen von Arbeitsplätzen. Selbst die Dieselaffäre hat daran grundsätzlich nichts geändert. Denn ist der Ruf erst einmal ruiniert, lebt es sich bekanntlich ungeniert. Die deutsche Automobilindustrie ist zu ihrem Glück nun mal too big to fail. Und wohl auch im Wissen um dies strahlen die Gesichter wieder wie einst. 

Eine kleine, volkswirtschaftlich nicht ins Gewicht fallende Branche hätte einen solchen Betrug an seinen Aufsehern und Kunden kaum überlebt. 

 

Verbandelt

Vor gut zwei Jahren konnten sich die deutschen Automobilkonzerne am ersten Dieselgipfel mehr oder weniger schadlos halten, trotz offensichtlichem Kartell und eindeutigem Betrug. Dank Merkels Machtinstinkt, mit dem sie verhindern wollte, dass der politische Gegner irgendwie Kapital aus dem Dieselgipfel schlagen würde, weil der Gipfel eigentlich nichts brachte ausser einer Behandlung der Schuldigen mit Samtpfoten. Die gipfelte darin, dass das Hardware-Update der manipulierten Autos vom Tisch fiel. Damit die SPD und Martin Schulz das nicht ausschlachten würden, sprach sich Merkel auch gleich deutlich gegen den Verbrennungsmotor aus. Wahlkampf pur, denn zwei Wochen später hiess es dann aus ihrem Munde, den Diesel würde es noch viele, viele Jahre geben, genauso wie den Verbrennungsmotor. Sie kam inzwischen wohl zum Schluss, dass potenzielle Wähler auch Autofahrer sind und wollte diese nicht verunsichern, denn Veränderungen mögen die Deutschen nicht besonders. Zudem hatte CSU-Chef Seehofer deutlich gemacht, dass seine Partei sich nur an der Regierung beteilige, wenn man am Verbrennungsmotor festhalte. Aus welchen Gründen er dies tat, ist offensichtlich. Bayern ist eine Hochburg der deutschen Autobauer in München, Landshut, Dingolfing oder Regensburg (BMW) bzw. Ingolstadt (Audi). Die Verbandelung von Politik und Automobilindustrie in Deutschland war schon immer ein offenes Geheimnis, doch seit die niedersächsische Staatskanzlei das Manuskript einer umstrittenen Rede von Ministerpräsident Stephan Weil veröffentlicht hatte, die so nicht gehalten wurde, ist jedem in Deutschland klar geworden, wie intensiv diese Verbandelung tatsächlich ist. Natürlich ist Stephan Weil auch Aufsichtsrat bei VW, aber ein Aufsichtsrat sollte ein Unternehmen kontrollieren, anstatt ein Plazet für Ausführungen in seiner Regierungserklärung einzuholen oder verstehe ich da etwas falsch?

 

Neuer Treibstoff: Steuergelder

Dass die Symbiose von Politik und Automobilwirtschaft weitergeht und wie, wissen wir inzwischen auch. Steuergelder sollen es richten. Aus rein machtpolitischen Überlegungen möchte man die Bürger nicht zwingen, auf das mit fossilem Brennstoff betriebene, tonnenschwere Vehikel zu verzichten, geschweige denn auf der Autobahn den Fuss vom Gaspedal nehmen zu müssen, auch das Tempolimit bleibt bekanntlich ein Tabu. Dafür setzt man auf milliardenschwere Anreize. Eben erst hat das Bundeskabinett eine noch stärkere staatliche Förderung der E-Mobilität aufgegleist. Die Kaufprämie bei E-Fahrzeugen bis zu einem Nettolistenpreis von 40'000 Euro soll von 4'000 auf 6'000 Euro erhöht werden. Bis 65'000 Euro sollen ebenso Steuergelder fliessen, konkret 5'000 Euro. Die Automobilindustrie wäre natürlich angetan gewesen, selbst für teurere Elektrofahrzeuge Kaufprämien zu gewähren, aber dazu liess sich Merkel nicht breitschlagen. Tesla und Co. hingegen dürften sich dennoch freuen. Sie kommen quasi über Nacht zu einem Verkaufsförderungsprogramm. Die Hälfte der Prämien wird die Automobilindustrie selbst tragen. Immerhin ist man geneigt zu sagen, aber Marktwirtschaft funktioniert anders. Rechtfertigen kann die Politik diese unheilige Allianz natürlich damit, dass die Klimaziele der Europäischen Union nur zu erfüllen sind, wenn die Automobilbranche mitzieht. Dumm nur, dass die Deutschen lieber Geländewagen mit grossen Verbrennungsmotoren fahren anstatt kleine Elektrofahrzeuge. Und dass der Diesel sich noch immer hoher Beliebtheit erfreut.

 

Angst vor Bonus-Malus

Es gibt also ein Bonussystem. Das umfasst neben den Kaufprämien auch die Förderung von Ladepunkten. Von denen gibt es heute 21'000 in Deutschland. In zwei Jahren soll diese Zahl um 50'000 wachsen, 15'000 davon soll die Automobilindustrie rund um ihre Standorte selbst schaffen. Von Malus will die deutsche Exekutive nichts wissen. Obwohl die Nachfrage nach SUVs stärker anzieht als diejenige der Fahrzeuge mit Elektro- oder Hybridantrieb, lässt man die überflüssigen und verbrauchsintensiven SUVs ungeschoren davonkommen. Auch Dieseltreibstoff bleibt weiterhin steuerlich privilegiert, was ökologisch wie ökonomisch völlig paradox ist. Ebenso ist die Förderung der Plug-In-Hybriden nicht klimakonsistent. Diese können bekanntlich rein fossil getrieben fortbewegt werden und bringen dank zwei Motoren erst noch mächtig Pferdestärken auf die Strasse, die entsprechend bewegt werden (wollen). Stumpf wird die Politik, wenn es um Auflagen oder Verbote geht. In einem Land, in dem intensiv darüber diskutiert wird, ob Hartz IV-Bezieher ein Auto brauchen oder haben dürfen, ist das eigentlich kein Wunder. Erst recht nicht, wenn dort die individuelle Mobilität schon fast zum Grundrecht erklärt wird. Alle werden verwöhnt, nur: so wird das nie was mit den Klimazielen.

 

Die nächste Nummer dieser Publikation erscheint am 4. Dezember 2019.