Für die Tonne? – Das schwarze Gold bleibt relevant, aber billig

Die «grüne Welle» hat im vergangenen Jahr höher geschlagen als je zuvor. Doch auch wenn die Sorgen um die Umwelt und die Bemühungen um ein «nachhaltiges» Handeln in der Bevölkerung und der Wirtschaft zunehmen, bleibt das Rohöl auch in den nächsten Jahren ein wichtiger Schmierstoff für die Weltwirtschaft.

Neue Nummer 1 – USA vor Russland und Saudi Arabien

2019 liegt erst wenige Wochen zurück und doch kann man dem vergangenen Jahr bereits zumindest einen Stempel aufdrücken: Es war das Jahr der «grünen Welle». Nicht umsonst stand die letzte November-Ausgabe des Anlageguide unter diesem Motto. Wir beobachteten nicht nur die Wahlerfolge der grünen Parteien. Wir wurden auch Zeugen von Gretas Reisen und ihren Wutausbrüchen sowie von Freitagsdemonstrationen für das Klima. In der Anlagewelt war «nachhaltiges Investieren» mehr denn je in aller Munde. Auch in breiteren Bevölkerungsschichten begann man sich vermehrt mit den UN-Klimazielen, welche bis zum Jahr 2050 eine Erwärmung der Erde von maximal 2 Grad Celsius vorsehen, zu beschäftigen. Doch daran, dass der Weg zu diesem Ziel sehr steinig werden wird, erinnerte nicht zuletzt die erfolglose Madrider Klimakonferenz letzten Dezember – man konnte sich lediglich darauf einigen, dass man sich auf nichts einigen kann. Fast zeitgleich ging mit Saudi Aramco der weltweit grösste Erdölkonzern an die Börse und wurde mit einer Marktkapitalisierung von annähernd zwei Milliarden US-Dollar auf einen Schlag das am höchsten bewertete Unternehmen der Welt.

Der schwergewichtige Börsengang war nicht zuletzt ein Symbol dafür, dass die Zeit des Rohöls trotz «grüner Welle» noch nicht abgelaufen ist. Es ist und bleibt auch in den nächsten Jahren ein wichtiger Schmierstoff für die Weltwirtschaft, ob für den (Waren-)Verkehr oder die Chemieindustrie. Was sich allerdings geändert hat, sind die Spielregeln am Weltölmarkt. Denn die Vereinigten Staaten sind heute der weltweit grösste Rohölproduzent.

Grafik: Rohölförderung in Millionen Fass pro Tag

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Wie es dazu kam? Dazu ein Zeitsprung zehn Jahre zurück: Als sich die Ölindustrie 2009 langsam von der Finanzkrise erholte, begannen US-Unternehmen das Potenzial von in Schiefergestein verborgenem Rohöl auszumachen. Solche unkonventionellen Energieressourcen waren an sich nichts Neues, wurden bis dahin aber vor allem in der Erdgasindustrie genutzt. Angesichts der Erwartung langfristig steigender Ölpreise sah Schieferöl zunächst «nur» nach einem vielversprechenden Konzept aus; mit seinen möglicherweise disruptiven Auswirkungen hatte damals aber wohl kaum jemand gerechnet. Doch nur fünf Jahre anhaltend hoher Ölpreise genügten, um eine wahre Schieferölrevolution hervorzurufen. Zwischen 2010 und 2015 verzehnfachte sich die Ölförderung aus Schiefergestein in den USA auf rund fünf Millionen Fass pro Tag. Ein neuer Spieler am globalen Rohölmarkt war geboren. Die Konkurrenz aus dem Westen im Blick beschloss die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC), ihre ohnehin brüchigen Förderquoten aufzugeben. Ihr Ziel war es fortan, so viel Öl wie nur möglich zu fördern, um die damals noch vergleichsweise teure Schieferölproduktion unrentabel zu machen.

Günstiger als auch schon – Schieferöl setzt Preisgrenzen

Die neue Strategie des Ölkartells schien zunächst ein Erfolg. Die globale Ölproduktion stieg erstmals auf über 100 Millionen Fass pro Tag und die Öllager füllten sich immer weiter. Da der Ölpreis infolge des hohen Ölangebots fiel, begannen die Schieferölproduzenten in den USA unrentabel gewordene Bohrstellen zu schliessen. Viele Unternehmen rutschten in die Verlustzone und Dutzende mussten Konkurs anmelden.

Was zu Beginn wie ein klarer Erfolg für die OPEC aussah, war tatsächlich nur ein Pyrrhussieg. Denn der deutlich gesunkene Rohölpreis schmälerte die Erträge aus dem Export und setzte die Staatshaushalte der Ölförderländer unter Druck. Dies gerade in einer Zeit, in der sowohl die geo- als auch die innenpolitische Situation im Nahen Osten höchst angespannt war – und immer noch ist. Die Notwendigkeit eines höheren Verteidigungsbudgets, die zunehmenden Ansprüche der Bevölkerung und der Zwang die Wirtschaft auf das Zeitalter nach dem Rohöl vorzubereiten waren es dann auch, welche Saudi-Arabien – insgeheim Anführer des Ölkartells – im Herbst 2016 zum Umdenken zwang. Seitdem begrenzt die OPEC in Absprache mit zehn Partnerländern, darunter auch das Schwergewicht Russland, seine Produktion – und hält sich daran. Mehrmals wurden die Kürzungen bereits verlängert und im Dezember 2019 sogar nochmals ausgeweitet.

Grafik:Brent-Rohölpreis mit Raiffeisen Prognose

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Die Zeiten, in denen die OPEC die Ölpreise diktieren konnte, sind offensichtlich endgültig vorbei. In der Schieferölindustrie aus den USA hat sie einen ebenbürtigen Gegner gefunden. Aus Verbrauchersicht sind dies positive Nachrichten. Denn obwohl es weiterhin diverse geopolitische Brennpunkte in oder nahe von wichtigen Ölförderländern gibt, blieb der Ölpreis in den letzten Quartalen in einer vergleichsweise engen Bandbreite.

Dies sollte aus unserer Sicht auch 2020 mehr oder weniger so bleiben. Selbst wenn sich die Weltkonjunktur im laufenden Jahr besser entwickeln sollte als von uns erwartet, dürften die Bäume beim Rohöl aufgrund der neuen Rahmenbedingungen nicht in den Himmel wachsen. Bei 75 USDollar für ein Fass der Ölsorte Brent sehen wir den Deckel – nicht nur fundamental, sondern auch aus charttechnischer Perspektive. Unsere Basisprognose ist für Autofahrer, welche noch ohne Elektroabtrieb unterwegs sind gar erfreulicher: Auf Sicht von 3 Monaten sehen wir das Öl bei 62 US-Dollar, in einem Jahr nur noch bei 58 US-Dollar.

Der CIO erklärt: Was heisst das für Sie als Anleger?

Das neue Jahr begann mit einem geopolitischen Paukenschlag. Nach der Belagerung der amerikanischen Botschaft durch pro-iranische Demonstranten in Bagdad reagierten die amerikanischen Streitkräfte am 3. Januar mit der gezielten Tötung von General Qassem Soleimani, dem Anführer der gefürchteten Kuds-Brigaden. 

Die Situation drohte zu eskalieren und einmal mehr wurden die hohe Fragilität und latenten Spannungen im Mittleren Osten deutlich aufgezeigt. Der Ölpreis reagierte mit einem (kurzfristigen) Kurssprung von 66 auf fast 72 US-Dollar pro Barrel. Seither hat sich die Lage glücklicherweise wieder etwas entspannt. Trotzdem dürften die Anleger einen ersten Vorgeschmack dafür erhalten haben, was wir in unserem Anlageausblick 2020 bereits skizziert und in Aussicht gestellt hatten: Die Rückkehr der Volatilität. Wir gehen weiterhin davon aus, dass die Schwankungen an den Finanzmärkten zunehmen werden und empfehlen deshalb eine breite Diversifikation sowie eine aktive Anlagetaktik.

Matthias Geissbühler, CIO Raiffeisen Schweiz