Inflation am Horizont? – Die Notenbankpressen laufen auf Hochtouren

Zur Stützung der Wirtschaft überschwemmen die Notenbanken die Märkte mit Liquidität. Bei vielen Anlegern beschwört dies das Schreckgespenst Inflation herauf. Aktuell ist allerdings noch kein Anstieg des allgemeinen Preisniveaus absehbar. In Verbindung mit den tiefen Zinsen, der steigenden Staatsverschuldung und dem trüben Konjunkturumfeld dürfte sich daran kurzfristig auch nichts ändern.

Wohn- und Energiepreise beeinflussen Schweizer Inflation am stärksten

105'000'000'000 Reichsmark. So viel kostete 1923 ein Laib Brot in der Weimarer Republik. Bei solchen Preisen ersetzten Schubkarren und Wäschekörbe das Portemonnaie. Doch was war geschehen? Anfang der 1920er Jahre kämpfte die Weimarer Republik mit einem gewaltigen Schuldenproblem: Die Finanzierung des Ersten Weltkriegs hatte ein Loch in den Staatshaushalt gerissen, die folgenden Reparationszahlungen lasteten zusätzlich auf dem Land. Ein radikaler Sparkurs kam für die Regierung jedoch nicht in Frage. Der Ausweg? Leben auf Pump. Und so wurden die Notenpressen angeworfen, das Unheil nahm seinen Lauf: Die Geldmenge nahm zu, die Staatsschulden stiegen weiter und zuletzt trieb die Inflation die Preise ins Unermessliche.

Als Teuerung oder Inflation wird der stetige Preisanstieg in einer Volkswirtschaft über einen bestimmten Zeitraum bezeichnet. Sie kann auf zweierlei Weise gemessen werden: Zum einen mit Hilfe eines Index, der das allgemeine Preisniveau des Bruttoinlandsproduktes (BIP) abbildet, dem sogenannten BIP-Deflator. Zum anderen können aber auch die Preisänderungen von Gütern und Dienstleistungen eines bestimmten Warenkorbes herangezogen werden. Dieser sollte dabei möglichst repräsentativ für das Konsumverhalten der privaten Haushalte sein. In der Schweiz berechnet das Bundesamt für Statistik (BFS) die monatliche Preisentwicklung anhand des Landesindexes der Konsumentenpreise (LIK). Die Gewichtung des zugrundeliegenden Warenkorbs wird jährlich aktualisiert. Ein besonders hoher Stellenwert kommt derzeit den Bereichen Wohnen und Energie, Gesundheitspflege sowie Verkehr zu.

LIK-Warenkorb und Gewichte 2020, in %

Quellen: Bundesamt für Statistik (BFS), Raiffeisen Schweiz CIO Office

Schwankungen des allgemeinen Preisniveaus gehören zu den gewöhnlichen Marktmechanismen. Doch ist Inflation nun wirklich so schädlich für eine Volkswirtschaft, wie viele Leute denken?

Um es vorwegzunehmen: Eine zu hohe Teuerungsrate ist auf Dauer genauso schlecht wie ein steter Preisverfall (Deflation). Inflation entsteht gemäss Lehrbuch, wenn die Geldmenge in einem Land schneller wächst als sich Güter und Dienstleistungen vermehren. Dies passiert etwa, wenn die Zentralbanken ihre Notenpressen anwerfen, um so die Märkte schnell mit billiger Liquidität zu versorgen. Der Preis dafür ist die schleichende oder – im Fall einer Hyperinflation – rasende Entwertung des Geldes. Dennoch ist Inflation aus einer funktionierenden Volkswirtschaft nicht wegzudenken. So signalisiert sie beispielsweise, in ihrer moderaten Ausprägung, die Knappheit von Gütern oder Dienstleistungen. Unternehmen wissen dann, von welchen Waren sie mehr produzieren müssen und wovon weniger.

Seit den 90er Jahren ist die Teuerung in den meisten Industrieländern auf rund 2 bis 3% zurückgegangen – dies wird weitläufig als ein gesundes Niveau angesehen und gilt daher auch für viele Notenbanken als das anzustrebende Inflationsziel. Gründe hierfür waren die glaubwürdige Stabilitätspolitik der Währungshüter sowie der durch die zunehmende Globalisierung und den technischen Fortschritt wachsende Preiswettbewerb.

Der Ausbruch des Coronavirus zu Beginn dieses Jahres hat die Welt in eine gesundheitspolitische Krise gestürzt. Dies hat auch an den Finanzmärkten Spuren hinterlassen: Zwischen Ende Februar und Mitte März brachen die Aktienkurse ein. Panik machte sich breit, viele Anleger zogen ihr Kapital aus risikoreicheren Anlagen ab. Die Nachfrage nach sicheren Kapitalhäfen wie etwa Gold wuchs, genauso die Cash-Bestände in den Portfolios. In Folge dessen drohte die Liquidität am Kreditmarkt zu versiegen. Um dies zu verhindern, pumpen die Notenbanken nochmals Unsummen an Geld in den Markt. So bringt allein die Europäische Zentralbank (EZB) bis Sommer 2021 mehr als 1.35 Billionen Euro in Umlauf – dies entspricht grob dem derzeitigen Neuwagenwert von 67 Millionen VW Golf. 

Schwache Inflation heute macht stärkere Inflation morgen notwendig

Gemäss Theorie müsste die von den Notenbanken eingeleitete Geldschwemme zu Inflation führen. Vorderhand ist jedoch in vielen Ländern das Gegenteil der Fall: So verzeichnete die Schweiz im September mit -0.8% einen deutlichen Preisrückgang. Und auch in der Eurozone (-0.3%) und den USA (1.4%) lässt die Inflation auf sich warten. Hauptgründe hierfür sind die Vorsicht der Konsumenten bei den Ausgaben und die Erhöhung der Sparquoten. Beides drückt das Preisniveau. Daher hat die US-Notenbank Fed eine Flexibilisierung ihres Inflationszieles eingeführt. Dies eröffnet ihr die Möglichkeit, selbst im Fall von Inflationsraten über 2% noch expansiv zu agieren, sollte sie es für nötig halten. 

Inflationsguthaben der US-Notenbank

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Genauso kann sie Teuerungsraten von unter 2% tolerieren und durch eine höhere Preissteigerung zu einem späteren Zeitpunkt ausgleichen. Um über 10 Jahre eine durchschnittliche Inflation von 2% zu erreichen, müsste die US-Fed die Teuerung in den kommenden 5 Jahren auf 2.5% halten. Langfristig könnte dies allerdings sehr risikohaft sein, da bei einem etwaigen Überschiessen der Teuerung wohl zu spät reagiert würde. Dennoch denken auch andere Zentralbanken über eine derartige Anpassung ihrer Geldpolitik nach.

Kurzfristig erwarten wir aber weiterhin keinen starken Inflationsanstieg. Auch am Tiefzinsregime dürfte sich auf absehbare Zeit deshalb nichts ändern und die Konjunktur wird wohl frühestens Ende 2021 ihr Vorkrisenniveau erreichen. Dennoch sollte die Möglichkeit von höheren zukünftigen Inflationsraten nicht gänzlich ausgeschlossen werden. 

Der CIO erklärt: Was heisst das für Sie als Anleger?

Es ist paradox: Die Notenbanken pumpen seit Jahren Unsummen an Geld ins Finanzsystem doch von Inflation ist weit und breit keine Spur. Natürlich gibt es verschiedene Erklärungen für den deflationären Druck: Demographie, Globalisierung und technologischer Fortschritt sind die meistgenannten. Zudem stellt sich die Frage, ob die Konsumentenpreise auch wirklich repräsentativ für die tatsächliche Inflation sind. Werfen wir beispielsweise einen Blick auf die Vermögenswerte, sieht die Sache etwas anders aus. Alleine die Preise von Wohneigentum in der Schweiz sind in den letzten 10 Jahren um durchschnittlich 3.2% pro Jahr angestiegen. Ein Wert weit über dem 2%-Inflationsziel vieler Notenbanken. Dass diese jetzt damit beginnen ihre eigenen Inflationsziele zu «flexibilisieren» zeigt, dass auch die Währungshüter am Ende ihres Lateins angelangt sind. 

Kurzfristig drückt die durch die Corona-Pandemie ausgelöste globale Rezession die Inflationsraten abermals nach unten. Ironischerweise könnte sie aber der Auslöser für einen zukünftigen Inflationsschub sein. Sollten die Unternehmen im Nachgang zur Pandemie nämlich damit beginnen, ihre Wertschöpfungsketten wieder «nach Hause» zu holen, könnte die Globalisierung einen nachhaltigen Dämpfer erhalten. Steigende Preise wären eine Folge davon. Das Thema Inflation sollte also trotz allem auf dem Radar der Anlegerinnen und Anleger bleiben und der beste Schutz davor sind reale Assets wie Immobilien, Gold und Aktien. Nur weil Inflation in den letzten Jahren praktisch inexistent war, bedeutet dies nicht, dass sie tot ist.

Matthias Geissbühler, CIO Raiffeisen Schweiz