«An einer rentablen privaten Vorsorge führt kein Weg vorbei»

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Immer mehr Schweizerinnen und Schweizer nutzen die Chancen von Wertschriften in der Vorsorge. Trotzdem gibt es noch immer Vorbehalte gegenüber Vorsorgefonds. Wo die Bedenken liegen und wie man sie aus der Welt schaffen kann, erklärt Raiffeisen-Vorsorgeexperte Tashi Gumbatshang.

 

Die Studie «Vorsorgebarometer 2021» zeigt: Wertschriftensparen ist in der 3. Säule so populär wie noch nie. Warum?

Es gibt drei Gründe: Erstens die rekordtiefen Zinsen auf den Sparkonten. Viele haben erkannt, dass sie damit nicht vorankommen. Zweitens erleben wir seit 10 Jahren einen Boom an den Aktienmärkten. Und drittens fördert die starke Präsenz der Altersvorsorge in den Medien die Einsicht, dass die staatlichen Leistungen begrenzt sind und man selber handeln muss.

 

Hat die Corona-Krise diese verstärkte Auseinandersetzung mit dem Thema begünstigt?

Ich denke schon. Eine Gesundheitskrise führt einem die eigene Verletzlichkeit vor Augen. Die Menschen hatten wegen Lockdown, Kurzarbeit oder Homeoffice teils auch mehr Zeit, sich mit Vorsorge-Themen auseinanderzusetzen.

 

Corona hat andererseits auch die Börsen ziemlich durcheinandergewirbelt. Hatte das auch abschreckende Wirkung?

Eher nicht. Die Erholung nach dem Schock kam aussergewöhnlich schnell. Das deckt sich mit dem Eindruck, den die meisten Leute vom Markt haben: Sie nehmen ihn einerseits als krisenanfällig war, denn sie erinnern sich noch gut an die Dotcom-Blase, die Immobilienkrise oder die Finanz- und Eurokrise. Im Zuge dessen haben sie andererseits aber auch erkannt, dass sich die Börsen jeweils wieder erholen und der langfristige Trend positiv ist.

 

Trotz dem Boom beim Vorsorgen mit Wertschriften: Die Mehrheit der Schweizer setzt immer noch auf ein 3a-Konto, das kaum mehr etwas abwirft. Wie erklären Sie sich das?

Das 3a-Konto ist halt der Klassiker, weit verbreitet und bestens bekannt. Weil der Haupttreiber für die dritte Säule bei vielen nicht die Vorsorge an sich ist, sondern das Sparen von Steuern, steht die Rendite nicht im Zentrum. Viele sind sich dabei aber nicht bewusst, welchen grossen Unterschied auf das Altersguthaben der Verzicht auf Wertschriften hat. Wer über 30 Jahre jeweils den Maximalbetrag in die Säule 3a einzahlt, hat mit einem Vorsorgefonds mit mittlerem Risiko und mittleren Renditeerwartungen über 120'000 Franken mehr zur Verfügung als mit dem Vorsorgekonto.

«Bei vielen werden AHV und Pensionskasse zusammen kaum 60 Prozent des letzten Lohns ausmachen.»

Was sind die Folgen?

Das hat ganz konkrete Auswirkungen auf die finanziellen Möglichkeiten im Alter. Denn Vorsorgelücken nach der Pensionierung sind real: Bei vielen werden AHV und Pensionskasse zusammen kaum 60 Prozent des letzten Lohns ausmachen. Damit verhungert man natürlich nicht, aber ohne gute und rentable private Vorsorge kann man seinen gewohnten Lebensstandard nicht mehr halten. Hinzu kommt: Wir werden immer älter und bleiben dabei länger gesund und aktiv. Das angesparte Geld muss also auch noch länger reichen.

 

Wissen das die Schweizerinnen und Schweizer denn nicht?

Doch, ich denke schon. Sie wissen, dass es ein Problem gibt, aber sie unternehmen wenig dagegen – oder zumindest nicht rechtzeitig. Die Pensionierung liegt noch in weiter Ferne, Gedanken an Alter und Krankheit werden verdrängt. Entsprechend kümmern sie sich erst um die Rentabilität der eigenen Vorsorge, wenn der Ruhestand schon fast erreicht ist.

«An der Börse braucht es keinen Verlierer, damit ein anderer gewinnen kann.»

Wie lässt sich das ändern?

Ich glaube, das Wissen um Alternativen zum 3a-Konto muss gestärkt werden. Wir müssen aufzeigen, dass Wertschriften in der Vorsorge Sinn machen. Viele nehmen die Aktienmärkte als Casino wahr, wo am Schluss ja doch immer nur die Bank und die Profianleger gewinnen. Diese Vorstellung vom Nullsummenspiel ist aber grundfalsch: An der Börse braucht es keinen Verlierer, damit ein anderer gewinnen kann. Vielmehr bilden die Märkte unsere Schaffens- und Innovationskraft ab. Und die zeigt seit über 100 Jahren aufwärts. Davon profitieren die allermeisten Anleger.

 

Glühbirne

 

 

 

Wie viel Rendite kann Vorsorgen mit Wertschriften bringen? Unser Vorsorge-Rechner zeigt in zwei Klicks, wie Sie Ihre Ertragschancen optimieren können, wenn Sie in einen Vorsorgefonds investieren.

 

Jetzt rechnen

 

Sie sagen es: die allermeisten. Es kann zu Verlusten kommen. Sind diese Ängste gerechtfertigt?

Nur zum Teil. Wir haben kulturell bedingt ein sehr starkes Sicherheitsbedürfnis – gerade in der Vorsorge. Unser Hirn tendiert dazu, Verlustrisiken doppelt so stark zu gewichten wie Gewinnchancen. Dass wir jeden Abend in der Tagesschau mit aktuellen Börsenkursen und Wirtschaftsnews bombardiert werden, hilft dabei sicher nicht. Die Kursschwankungen an den Märkten gibt es, aber sie sind kurzfristig. Je länger man sein Geld anlegt, desto weniger fällt dieser Unsicherheitsfaktor ins Gewicht.

«Genauso, wie man seine Vorsorge nach und nach aufbaut, sollte man sie auch gestaffelt beziehen.»

Aber was, wenn ich zwar über Jahre hinweg angelegt habe, nun aber mitten in einer Krise pensioniert werde und mein Geld beziehen möchte?
Wenn man das Geld genau dann haben müsste, wenn ein Crash eintritt, dann wäre das natürlich der Worst Case. In der Realität tritt dieser Worst Case aber kaum je ein. Denn die Menschen beziehen ja nicht an ihrem 64. oder 65. Geburtstag das ganze Vorsorgevermögen auf einmal. Genauso, wie man seine Vorsorge nach und nach aufbaut, sollte man sie auch gestaffelt beziehen. Das spart nicht nur Steuern, sondern verteilt auch das potenzielle Verlustrisiko über eine längere Zeit.

 

Was raten Sie jenen, die trotzdem noch zögern, beispielsweise in einen Vorsorgefonds zu investieren?

Am besten wendet sie sich an ihren Bankberater und besprechen die brennendsten Fragen. Daneben rate ich Zögerlichen, sich an drei Faustregeln zu halten. Erstens: breit diversifizieren und nicht auf einzelne Länder oder Titel setzen. Sonst besteht ein Klumpenrisiko. Bei einem Vorsorgefonds ist diese Diversifizierung meist ohnehin gegeben. Zweitens: die Investitionen staffeln. Also besser fünfmal pro Jahr 200 Franken investieren als einmal 1000 Franken. Das gleicht die kurzfristigen Schwankungen an der Börse aus.

 

Und drittens?

Bei der einmal gewählten Strategie bleiben, um vom langfristigen Wachstum zu profitieren. Und wer bei der Strategiewahl auf Nachhaltigkeit setzt, kann mit seinem Geld nicht nur Gutes bewirken, sondern erhöht zusätzlich die Sicherheit seiner Altersvorsorge.

 

Warum bringt Nachhaltigkeit auch mehr Sicherheit?

Nachhaltig operierende Unternehmen fördern grüne Technologien, soziales Handeln und verantwortungsvolle Geschäftsführung. Sie steigern damit ihre Wettbewerbsfähigkeit und Widerstandskraft gegen Krisen und sind so in der Regel besser für die Zukunft gerüstet. Das verspricht im Vorsorgefonds zusätzliche Stabilität und Sicherheit. 

    

Vorsorge-Experte Tashi Gumbatshang

Zur Person

Tashi Gumbatshang ist Leiter des Kompetenz-Center Vermögens- und Vorsorgeberatung bei Raiffeisen Schweiz und kennt sich als Wirtschaftspsychologe nicht nur mit den Zahlen sondern auch den Emotionen dahinter bestens aus.