Familienbetrieb übergeben – geht das ohne Streit?

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Zwei Firmeninhaber, die ihr Lebenswerk den Kindern übergeben wollen: ohne Emotionen ging das nicht. Doch Raiffeisen fand für beide Familienbetriebe die passende Lösung für die Nachfolgeregelung – mit Spezialisten des RUZ und des Erbschaftszentrums.

Nachfolge im Familienbetrieb ist mehr als eine juristische Herausforderung

Familienunternehmen sind im Todesfall besonders gefordert, wenn das Erbe nicht geregelt ist. Erben, die vom Pflichtteil profitieren, muss ein Teil des Unternehmensvermögens ausgezahlt werden. Das kann Unternehmen in Schieflage bringen, zur Zersplitterung führen. «Die anstehende Revision des Schweizer Erbrechts wird die erbrechtliche Unternehmensnachfolge erleichtern», erklärt Robert Guthauser, Experte Erbschaftsberatung Raiffeisen Schweiz, «insbesondere für kleinere und mittlere Familienunternehmen.»

Doch die Übergabe der Firma innerhalb der Familie war schon immer mehr als nur juristische Herausforderung. Die Bevorzugung - oder Benachteiligung - eines Kindes kann den Familienfrieden nachhaltig stören und dem neuen Inhaber Steine in den unternehmerischen Weg legen.  

 

Zwei Gründer, ein Ziel: familieninterne Übergabe

Röbi Stocker und Willi Eicher sind in unterschiedlichen Branchen und unterschiedlichen Landesteilen tätig. Eines haben sie gemeinsam: als über 60jährige planen sie den Lebensabend, indem sie ihre Nachfolger früh bestimmen. Die Familienkonstellationen der Autogarage und des Hoftechnikbetriebs stellen unterschiedliche Herausforderungen für die RUZ-Berater. Sie zeigten zwei unterschiedliche Lösungswege auf.

Am östlichen Rand von Basel liegt die Autogarage Stocker AG. Mit fünf Angestellten sorgen sie für den Verkauf von Neuwagen und Occasionen, Kauffinanzierung, Wartung und selbst die Restaurierung von Oldtimern. Röbi und Ruth Stocker haben vier Kinder. Doch nur die 26-jährige Tochter meldete Interesse an, in ihre Fusstapfen zu treten. Die Mutter äusserte Zweifel: «Ich fragte mich, ob sie in dieser Branche wirklich glücklich wird.»

Vom Fricktal in der Nordschweiz zum östlichen Rheintal: in Werdenberg hat Willi Eicher seinen Einmannbetrieb zum Spezialisten für Hoftechnik mit sieben Mitarbeitenden aufgebaut. Zwei seiner drei Söhne sind im Betrieb gross geworden. Beide zeigten den Enthusiasmus, den Vater zu beerben, doch «wir waren uns nicht einig, wer durch die Firmenübergabe wie viel bekommen sollte», gibt Cornel Eicher freimütig zu. «Als ich schon früh merkte, dass ich zwei potentielle Nachfolger hatte», so Willi Eicher, «war mir klar, dass ich die Nachfolgeregelung nicht erst auf meine Pensionierung einleiten musste.»

 

RUZ-Spezialisten begleiten die Familienunternehmen

Schon früh begleitete das Raiffeisen Unternehmenszentrum RUZ den Prozess, durch ausgewiesene Spezialisten im Gebiet der Firmenübergabe. Die Familie Stocker hat sich drei Jahre Zeit gelassen, die Nachfolgelösung unter Dach und Fach zu bringen – und das, obwohl die Jüngste als Nachfolgerin unbestritten war. Sie hat nicht nur die Lehre als Kauffrau im Automobilgewerbe absolviert, sondern sich als Kundendienstberaterin und Betriebswirtschafterin weitergebildet. «Ich wuchs ja praktisch in der Garage auf», lächelt sie. «Trotzdem war das nie eine abgemachte Sache.»

 

Firmenübergabe kann zu Neid führen

Für ihren Vater war aus persönlichen Gründen wichtig, dass die Übergabe innert der Familie nicht zu Friktionen führen durfte. «Meine Familie hat schon einmal eine Autogarage aufgebaut, doch deren Aufteilung verlief damals unglücklich.» Um eine Wiederholung solcher Streitigkeiten zu vermeiden, zog die Tochter selbst das RUZ bei. Der RUZ-Begleiter kennt «verkachelte Situationen» nur zu gut. «Es gibt den rationalen Prozess, und dann gibt es den nicht weniger wichtigen menschlichen Prozess.» 

Der Berater soll dabei Empathie für alle Ansichten zeigen, jedoch nie seine Neutralität aufgeben. «Der grösste Stolperstein einer Firmenübergabe ist der Neid», weiss der RUZ-Nachfolgebegleiter. «Selbst Kinder, die das Geschäft gar nicht übernehmen wollen, können sich übergangen fühlen, wenn das Geschwister den Zuspruch erhält.» Wichtig ist darum nicht allein, eine Lösung herbeizuführen – sondern die Lösung, die jahrelange Ressentiments ausschliesst.

 

Wer soll den Familienbetrieb übernehmen?

In den Landwirtschaftsbetrieben des St.Galler Rheintals, im Toggenburg und Liechtenstein kennt man die Agrotech Eicher AG als Spezialisten für Melkanlagen, Entmistung und Kühlung. Die beiden Brüder Pascal und Cornel arbeiteten bereits Hand in Hand. Wer aber sollte nach der Übergabe die Führung übernehmen? Ein dritter Sohn war in dieser Frage neutral. Doch welchen Teil würde er erhalten? Kein leichter Entscheid für Willi Eicher. Dieser Prozess ist für die meisten gestandenen Unternehmer Neuland. Vorderhand beschloss er nur eines: unabhängige Begleiter beizuziehen. 

 

Erbschaft: Pflichtteil wird neu geregelt

Im neuen Erbschaftsrecht werden die Pflichtteile kleiner, was die Nachfolge innerhalb der Familie erleichtert. Erbschaftsexperte Robert Guthauser: «Mit der höheren freien Quote kann der Unternehmer dasjenige Kind, das den Betrieb übernimmt, stärker begünstigen.» Der Anspruch der Geschwister wird damit kleiner. « Betriebswirtschaftlich ist die neue Regelung sinnvoll. Denn oft kann ein Kind den Marktwert gar nicht finanzieren, um die Geschwister auszuzahlen.»

Neu hat der Unternehmer die Möglichkeit, dem Nachfolger die freie Quote zuzuweisen und ihn somit zu stärken. Sobald ein grosser Teil des Vermögens im Unternehmen gebunden ist, können umfangreiche Ausgleichszahlungen notwendig werden. Diese werden neu nicht sofort fällig, sondern dürfen bis zu fünf Jahre aufgeschoben werden. So kann der Nachfolger die übrigen Erben zum Beispiel über die laufenden Gewinnausschüttungen sukzessive auszahlen. Diese einseitige Begünstigung, falls man sie so auslegen will, birgt erhebliches Spannungspotential. «Es wird noch wichtiger sein», so Robert Guthauser weiter, «alle Familienmitglieder bei der Regelung der Unternehmensnachfolge einzubeziehen.»

 

Prozess der Nachfolge transparent machen

Sollten beide Söhne die Werdenberger Firma je zur Hälfte erhalten, «dann könnte nach der Firmenübergabe der eine den anderen blockieren», stellte Pascal Eicher fest. «Darum ist die Aussprache am runden Tisch so wichtig», erläutert der RUZ-Begleiter dieses Dilemma, «man muss zuerst einmal die Emotionen, Vorbehalte und Ängste aus dem Gespräch holen.»

Ob auch die Partner der Familienangehörigen in dieser Runde Platz nehmen, überlässt der RUZ-Berater den Familien. Manchmal sei es durchaus hilfreich, noch weitere Stimmen zu hören. Wichtig ist: alle Schritte im Entscheidungsprozess für alle transparent zu machen. Eine geglückte Nachfolgelösung fordert in der Regel einen mehrjährigen Umsetzungsplan – die Faustregel sagt fünf Jahre.

 

Family-Buy-Out: Nachfolgelösung innerhalb der Familie

Das Familienoberhaupt der grossen Stocker-Familie hatte «eigentlich keine Befürchtungen», dass man Tochter Larissa von ihrem Vorhaben abbringen könnte. Trotzdem zeigte die erste Familienzusammenkunft im RUZ auf, dass viele Fragen schwelten. Denn die Automobilbranche ist volatil, wodurch zu befürchten war, dass die Firma in wenigen Jahren weniger wert sein könnte, als wenn man jetzt verkaufen würde.

Schliesslich wurde die Rheinfelder Firma mit der Zustimmung aller in Form eines Family-Buy-Outs per Jahresabschluss 2020 in die neue Firma von Larissa Stocker überführt. Auch das Gesellschaftsrecht spielt eine Rolle. Verkauf oder Nachfolge einer Personen- oder Kollektivgesellschaft hat steuerliche Folgen, weil stille Reserven aufgelöst werden müssen. Die Raiffeisenbank Möhlin finanziert den Kauf; Larissa Stocker übernimmt mit einer neuen AG das operative Geschäft; die Immobilie bleibt im Besitz der Eltern, die Tochter wird somit Mieterin der Liegenschaft. Die Möglichkeit der Umstrukturierung des Unternehmens wurde hier benutzt, indem nicht betriebsnotwendige Teile der Firma ausgelagert werden. Es war dieser Nebenschauplatz der Immobilie, der geklärt sein wollte. «Anfangs gingen alle davon aus, dass deren Wert im Gesamtvolumen eingerechnet werden sollte», erklärt der RUZ-Begleiter. Doch dann zeigte die Vorsorgeanalyse des Ehepaars Stocker, dass es Besitzer der Immobilie bleiben sollte.

Rückblickend kann die frischgebackene Inhaberin bestätigen: «Die Aufteilung innerhalb der Familie ist schwieriger als der Verkauf an Dritte.» Zumal es in der Schweiz am Familientisch ein Tabuthema sei, übers Geschäft zu reden. «Ohne die Begleitung», so Firmenvater Röbi Stocker, «hätten wir uns leicht gegenseitig in Diskussionen aufreiben können.»

 

Zwei Familienmitglieder treten die Nachfolge an

Jede Form der Nachfolge hat eigene Gesetze, ebenso unterschiedlich sind die Finanzierungsmodelle. Die Bezahlung des vollen Werts ist – insbesondere für jüngere Nachfolger – eine Herausforderung. In den wenigsten Fällen kann der Kaufpreis vollständig aus eigenen Mitteln aufbracht werden. 

In Werdenberg konnte Ende 2019 die Lösung in der Frage der Firmennachfolge beschlossen werden. Cornel und Pascal, die beide Besitzer werden wollten, nahmen die «Ideen des RUZ auf, um den Stein ins Rollen zu bringen.» Die Söhne und daraufhin der Vater wurden einzeln befragt. «Die Berater führten dann alle Vorschläge zusammen.» Diese Begleitung sei zwar «nicht ganz billig gewesen», habe sich aber auf jeden Fall gelohnt, zieht der Gründervater Bilanz.

In dieser Family-Buyout-Lösung übernehmen zwei der Söhne zu gleichen Teilen, wobei Pascal das «kaufmännische Gewissen» darstellt; in seiner Hand liegt das innerbetriebliche Geschäft. Cornel trägt die ganze Aussenverantwortung. In allen wichtigen Fragen entscheiden sie gemeinsam. Und sollte die befürchtete Pattsituation eintreten? Dafür stattete das RUZ eine externe Person mit der Befugnis des Stichentscheids aus.

 

Nachfolgelösung muss langfristig funktionieren

«Ein Abbruch der Verhandlungen kann vorkommen», sagt der RUZ-Berater, «jedoch niemals durch uns.» Der Coach setzt alles daran, dass niemand den Verhandlungstisch verlässt. Ein Jahr nach Vertragsabschluss zeigt sich, dass die neu aufgesetzte Governance in der Praxis funktioniert. «So weit sind wir alle zufrieden», lacht Pascal Eicher, «sonst würden sie's sagen.»

Zufrieden zeigt sich auch der Gründervater, der den Söhnen nun als Mitarbeiter unter die Arme greift. Er gibt es zu: Loslassen ist nicht einfach, «wenn man selbst 35 Jahre der Chef war».

Auch Röbi und Ruth Stocker sind weiterhin in der Garage anzutreffen. Erleichtert seien sie, ihre Pläne für die Pensionierung nun unbelastet angehen zu dürfen. Dass die Tochter bereits Neuerungen einführt, kann der Gründervater nur begrüssen. «Finde ich gut, wenn alles effizienter wird!»