
Anknüpfungspunkte
Anbau-Projekte vergrössern nicht nur die Wohnfläche, sie können auch das gesamte Raumerlebnis verändern. Die Möglichkeiten sind beinahe unerschöpflich – ein allgemeingültiges Rezept gibt es nicht. Die Architekten Adrian Kast und Thomas Kaeppeli erläutern im Interview, worauf bei Anbauten zu achten ist und wie sie dies beim denkmalgeschützten Fachwerkhaus umgesetzt haben.
Wie bei jeder Umbau-Aufgabe gibt es auch bei Anbauten kein Patentrezept. Jedes Gebäude hat seine architektonischen Eigenarten, jedes Grundstück seine topografischen Gegebenheiten, jeder Kanton, jede Gemeinde ihre Gesetze und Verordnungen. Und schliesslich ist auch entscheidend, was durch den Anbau erreicht werden soll. Mehr Wohnfläche – sicher. Aber ist auch ein anderes Raumerlebnis gewünscht? Inwiefern darf oder soll diese Atmosphäre Einfluss auf das Wohnen im Altbau haben? Wann macht ein Anbau Sinn? Und welche Faktoren entscheiden, ob und wo ein Haus erweitert werden darf? Kast Kaeppeli kennen die Antworten und erläutern, wie sie vorgehen, um Bestehendes respektvoll zu ergänzen.
Das Fachwerkhaus von 1877
Kast Kaeppeli Architekten haben ein Fachwerkhaus von 1877 saniert und um einen Anbau aus Holz erweitert. Aus zwei kleinen Wohnungen konnten so eine 3,5- und eine 4,5-Zimmer-Wohnung entstehen und die aussenliegende Erschliessung über eine Laubentreppe bis ins Obergeschoss erhalten werden. Die Fläche des kleinen Wohnhauses wurde beinahe verdoppelt – und trotzdem tritt der Anbau vornehm hinter den historisch wertvollen Bestand zurück.
Autorin |
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Katharina Köppen |
Fotografie |
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Rolf Siegenthaler |
Interview mit den Architekten
Um zusätzliche Wohnfläche zu gewinnen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Wann empfiehlt sich ein Anbau, wann ein Dachausbau oder eine Aufstockung?
Adrian Kast (AK): Das kommt auf die Situation an. Aufstocken kann man nur dort, wo es Reserven bei der Gebäudehöhe gibt. Der Ausbau eines bestehenden Daches ist eine einfache Möglichkeit um eine Mehrausnützung zu erzielen. Es ist meistens auch die kostengünstigste Variante. Für einen Anbau ist Voraussetzung, dass es noch Platz auf der Parzelle gibt. Das hängt von der Ausnützungsreserve – also wie viel Land man noch überbauen darf – sowie von den Grenzabständen ab, dem Mindestabstand vom Gebäude zur Grundstücksgrenze.
Thomas Kaeppeli (TK): Der Vorteil eines Dachausbaus ist, dass man innerhalb vom Volumen erweitern kann und von aussen nichts wahrnimmt. Wenn es ein denkmalpflegerisch schützenswertes Objekt ist, das man nicht anbauen oder aufstocken möchte beispielsweise. Manchmal ist allerdings die Belichtung des Dachraums schwierig. Meistens braucht man Lukarnen oder Dachflächenfenster, was je nach Schutzobjekt auch problematisch sein kann.
Welchen Einfluss hat die Nutzung auf den Entscheid, ob man anbaut, aufstockt oder ausbaut?
TK: Sie kann einen Einfluss haben. Um etwa das Wohnzimmer zu erweitern, würde man keine Aufstockung machen – ausser vielleicht, man hätte dort eine super Aussicht. Aber sonst würde man versuchen, das Wohnzimmer zu vergrössern. Einen Schlafraum legt man vielleicht nicht gerade nach Süden an die beste Lage, die eignet sich eher für das Wohnzimmer. Die Erschliessung im bestehenden Haus hat auch einen Einfluss, falls man an ein Foyer bzw. einen Korridor anschliessen muss oder es später, wenn die Kinder ausziehen möchten, wieder unterteilen möchte.
AK: Und auch, ob man viele Geschosse überwinden muss, wenn man aufstockt. Schafft man das noch, wenn man betagt ist? Es sind immer auch Überlegungen, wie man das Haus langfristig nutzen kann. Das spricht eher für Anbauten. Der Bezug zum Garten ist auch relevant.
Darf man überall am Haus anbauen, sofern genug Platz ist?
AK: Das ist eine Frage des Grundstücks und von den Grenzabständen. Es kommt auch darauf an, was es strukturell für ein Gebäude ist. Wie ist der Zugang? Baut man auf der Zugangsseite an? Wenn man den Zugang nicht verändern will, baut man eher auf der Gartenseite an und hat dort einen neuen Bezug zum Garten. Es ist sehr spezifisch, je nach Situation, Parzellengrösse und bestehendem Haus. In unserem Fall war es auch eine denkmalpflegerische Frage: Wie kann man anbauen, ohne dem Gebäude die Präsenz zu nehmen, die es vorher hatte? Bei einem denkmalgeschützten Haus baut man nicht auf der Haupt- oder Frontseite an.
TK: Der Aussenraum ist auch wichtig. Einen schönen Garten baut man nicht zu, sondern wählt eine Stelle, an der der Aussenraum weniger wertvoll ist. So war es auch in der Jurastrasse: Wir haben hinten, wo es immer feucht, dunkel und nicht nutzbar war, den Anbau erstellt, sodass man vorne, zur Aare, weiterhin den Garten hat.
Welche Vorgaben müssen im Allgemeinen eingehalten werden?
TK: Ausnützungsziffer, Geschosszahl, Grenzabstände, Nutzungsvorgabe – für Nutzungsänderungen braucht es eine Zonenplanänderung. Wenn die Grenzabstände zu sehr einschränken, kann man mit den Nachbarn ein gegenseitiges Näherbaurecht vereinbaren und bis auf die Grenze bauen. Je nach Grösse des Projekts kann das Stadtplanungsamt eine Rolle spielen, um zu beurteilen, wie sich das Projekt in den Kontext einbindet.
AK: Und die Denkmalpflege im Fall eines geschützten oder erhaltenswerten Hauses. Wir nehmen immer sehr früh Kontakt mit allen Stellen auf. Die Vorgaben sind kantonal und je nach Ort unterschiedlich geregelt.
Muss bei Erweiterungen immer eine Baubewilligung eingeholt werden, auch wenn man z. B. eine Veranda zum Innenraum umbaut?
AK: Ja. Sobald man das Volumen oder eine Nutzung ändert.
TK: Wenn man aussen etwas verändert am Haus – Fenster, Balkon, Dachform, auch Farben in gewissen Gebieten – braucht es eine Bewilligung. Wenn man innen eine Wand entfernt, spielt es keine Rolle, ausser man verändert die Anzahl der Sanitärapparate. Dies hat Einfluss auf die zukünftigen Gebühren.
Anbauten sind Neubauten. Müssen sie auch energetisch so gebaut werden?
TK: Ja, es gelten die gleichen Anforderungen.
Muss man den Altbau gleichzeitig energetisch verbessern?
TK: Wenn man am Altbau baulich nichts verändert, muss man dort auch energetisch nichts machen. Aber sobald man umbaut, muss man ihn den Normen anpassen.
Auch, wenn man nur Fenster erneuert?
AK: Wenn man die Fenster saniert, müssen diese dem aktuellen Energiegesetz entsprechen. So ist es mit jedem Bauteil. Wenn man eine Aussenwand anpasst, muss man dort nach Energiegesetz dämmen.
TK: Bund und Kantone fördern das sehr stark. Es gibt beispielsweise das Gebäudeprogramm: Für energetische Verbesserungen bekommt man Geld, auch für einzelne Massnahmen. Das kann für private Bauherren durchaus interessant sein.
Welche Regeln gelten für Gebäude im Inventar der Denkmalpflege?
TK: Wenn die Substanz wertvoll ist, kann man Ausnahme-Gesuche stellen, um energetisch weniger machen zu müssen. Uns ist es grundsätzlich wichtig, den Charakter des Hauses zu behalten. Deswegen verzichten wir manchmal auf eine Wandverbesserung, um die alte Fassade oder ein schönes Täfer zu bewahren. Mit guten Fenstern und der Dämmung von Kellerdecke und Dach sowie einer nachhaltigen Wärmeerzeugung kann man die Normen trotzdem erfüllen.
Könnte ein Anbau ein wenig attraktives Haus aufwerten?
AK: Ja, man könnte etwas Neues daraus machen. Dort hat man vielleicht auch weniger Respekt, die ganze Gebäudehülle zu isolieren und neu zu verkleiden. Und mit einem Anbau zusammen könnte dann ein neuer Charakter entstehen. Aber bei den Häusern, deren Charakter und Architektur wir erhalten möchten, gehen wir rücksichtsvoll vor und probieren, es integrativ zu lösen. Es ist uns wichtig, dass der Anbau nicht einfach als unabhängiger Neubau neben dem Altbau steht.
TK: Der Anbau muss sich in den Kontext einfügen; sei es der Kontext vom Ort oder der Kontext vom Haus. Aus dem, was wir vorfinden, entwickeln wir das Projekt. Und natürlich anhand der Bedürfnisse der Bauherrschaft.
AK: Das ist das Tolle an der Architektur, dass man einen Anknüpfungspunkt hat – einen Ort, eine interessante Struktur, einen Charakter –, und dass man darauf aufbauen kann, Bestehendes verstärken oder weiterführen. Das ist spannend.
Kast Kaeppeli
Thomas Kaeppeli (links im Bild) und Adrian Kast gründeten 2008 ihr gemeinsames Büro Kast Kaeppeli mit Standorten in Bern und in Basel. Heute beschäftigen sie 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ihr Werk umfasst vor allem Sanierungen und Umbauten historischer Gebäude sowie zahlreiche Schul- und Kindergartenbauten.
Der Umbau wurde zum Architekturpreis Der beste Umbau 2020 eingereicht, der vom Archithema Verlag ausgeschrieben wird.
Ein Beitrag von metermagazin.com für RaiffeisenCasa