

Wohnen wir wirklich immer dichter?
Vor wenigen Wochen hat das Bundesamt für Statistik die neuesten Ergebnisse seiner Arealstatistik veröffentlicht. Aus diesen Zahlen lassen sich interessante Erkenntnisse zur herrschenden raumplanerischen Debatte ableiten. Erfahren Sie hier mehr dazu.
Flächenansprüche steigen pro Kopf
In den letzten zehn Jahren sind die Siedlungsflächen schweizweit um 181 Quadratkilometer gewachsen, was in etwa der Grösse des Zürichsees entspricht. Zwischen 2009 und 2018 wurden damit pro Tag rund acht Fussballfelder unseres Bodens zu Siedlungsflächen umgewandelt. Immerhin hat sich diese Entwicklung im Vergleich mit vergangenen Jahrzehnten etwas abgeschwächt. Am stärksten hat in der aktuellen Beobachtungsperiode das Wohnareal zugelegt. Dieses ist innerhalb von zehn Jahren um 11 % gewachsen und hat damit eine stärkere Dynamik als das Bevölkerungswachstum erlebt (+10 %). Als Erklärung für diese Entwicklung kann die Tatsache angeführt werden, dass in der Schweiz pro Kopf immer mehr Wohnfläche benötigt wird. Dies ist unter anderem die Folge einer Kombination aus gestiegenen Flächenansprüchen der Schweizerinnen und Schweizer sowie sinkenden Haushaltsgrössen. Immer kleinere Haushalte suchen sich immer grössere Wohnungen.
Ersatzneubau gilt als Treiber der Verdichtung
Die Verdichtungstendenzen nehmen weiterhin zu.
Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich natürlich die Frage, ob dies mit der eigentlich herrschenden Doktrin der stärkeren Verdichtung vereinbar ist. Die Antwort auf die im Titel gestellte Frage muss denn auch mit einem eindeutigen «Jein» beantwortet werden. Denn offensichtlich sind die Wohnbedürfnisse der Menschen und ihre modernen Lebensentwürfe nicht wirklich mit der Tatsache vereinbar, dass wir eigentlich sparsamer mit unserem Boden umgehen sollten. Allerdings zeigen die Fakten zur Wohnbautätigkeit in den letzten zwanzig Jahren klar, dass immer dichter gebaut und damit auch gewohnt wird. Am deutlichsten lässt sich dies an der Zahl der neu erstellten Einfamilienhäuser (EFH) aufzeigen:
- Im Jahr 2000 wurden in der Schweiz noch rund 14'000 neue EFH gebaut, was mehr als 40 % der neu erstellten Wohneinheiten entsprach.
- Letztes Jahr betrug der Anteil der rund 5'200 neu erstellten EFH nur noch etwa 10 % des Wohnungsneubaus. Anstatt der sehr bodenintensiven EFH werden also immer häufiger Mehrfamilienhäuser gebaut, die zudem immer höher und grösser werden.
- Zwischen 2005 und 2019 hat sich die durchschnittliche Anzahl der Wohnungen pro neu erstelltem Wohngebäude in der Schweiz von 2,2 auf 4,3 fast verdoppelt.
Die Verdichtungstendenzen zeigen sich aber nicht nur in den Gebäudetypen, sondern auch in der Art der Erstellung. Immer mehr Wohnungen werden durch Umbauten und Ersatzneubauten erstellt. Innerhalb der letzten zehn Jahre hat sich der Anteil der neuen Wohnungen, die durch Umbauten entstanden sind, von 7 % auf 13 % erhöht. Zudem kommen heute auf den Bau von 100 neuen Wohnungen etwa acht Altbauwohnungen, die abgerissen werden. Vor zwanzig Jahren waren es noch vier. Wo alte Wohnungen abgerissen werden, da entstehen heute deutlich dichtere Ersatzneubauten. Vor allem an guten Lagen ist Ersatzneubau ein starker Treiber der Verdichtung.
Klarer Trend in Richtung Verdichtung
Die Verdichtungstendenzen sind also mehr als deutlich. Pro Kopf brauchen wir zwar immer mehr Platz, dieser wird aber in immer dichterer Form zur Verfügung gestellt. In den letzten Jahren mehren sich allerdings die Anzeichen, dass diese Entwicklung mittlerweile an ihre Grenzen stösst. Bauliche Verdichtung ist bereits teuer und aufwändig. Bei anstehenden Umbau- und Ersatzneubauprojekten stehen dem Eigentümer zusätzliche hohe Hürden im Weg. Strenge, unflexible und uneinheitliche Bau- und Zonenordnungen sowie die herrschende, sehr liberale Einsprachepraxis können Verdichtungsprojekte deutlich verzögern und verteuern – oder gar verhindern. Wenn mit unserem Boden immer sparsamer umgegangen werden soll, muss gezwungenermassen immer mehr verdichtet werden. Damit dies auch geschieht, müssen aber die Anreize stimmen und die Hürden tief sein. Fragen zur Sinnhaftigkeit bestehender Grundsätze in den örtlichen Bau- und Zonenordnungen müssen daher unbedingt gestellt werden. Zudem muss bei uns allen ein Umdenken stattfinden. Obwohl der Konsens in der Schweizer Bevölkerung für einen haushälterischen Umgang mit unserem Boden eindeutig ist, herrscht leider viel zu oft die Devise: «Verdichtung ja, aber bitte nicht bei uns!» Damit werden eigentlich dringend notwendige Anpassungsprozesse deutlich ausgebremst. Wer zum Wohl des Landschafts- und Naturschutzes einen sparsamen Umgang mit dem Boden möchte, muss Verdichtung auch vor der eigenen Haustür akzeptieren.
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Über den Autor
Michel Fleury
Michel Fleury ist seit 2019 als Immobilienmarktanalyst im Economic Research von Raiffeisen Schweiz tätig. Dabei analysiert er täglich die Struktur und die Entwicklung des schweizerischen Immobilienmarktes. Michel Fleury hat an der Universität Zürich studiert und war vor seiner Tätigkeit bei Raiffeisen als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Swiss Real Estate Institut der Hochschule für Wirtschaft in Zürich beschäftigt.