Zweite Säule oder zweite AHV? – Debatte zur BVG-Reform

2. Juni 2021. Fällt die Reform der zweiten Säule überproportional zu Lasten der berufstätigen Bevölkerung aus? Welche Alternativen zum Vorschlag des Bundesrates stehen im Raum und müssen berücksichtigt werden, um eine mehrheitsfähige und ausgeglichene Reform zu schaffen? Welchen Einfluss wird die parallel laufende AHV-Revision in der parlamentarischen Debatte ausüben? Diese und weitere Fragen diskutierten Ständerätin Maya Graf (Grüne), Nationalrätin Ruth Humbel (Die Mitte), Dr. Balz Stückelberger (Geschäftsführer Arbeitgeber Banken) und Tashi Gumbatshang (Leiter Vermögens- und Vorsorgeberatung Raiffeisen Schweiz) am 2. Juni im Raiffeisen Forum.

Ungenügende Anlagerenditen und die steigende Lebenserwartung setzen Bundesrat und Parlament unter Druck, eine mehrheitsfähige Lösung zur langfristigen Sicherung der zweiten Säule zu finden. Um das Leistungsniveau zu halten und für tiefere Einkommen und Teilzeitbeschäftigte sogar zu verbessern, will der Bundesrat eine Kombination von höheren Lohnabgaben und systemfremden Kompensationszahlungen einführen.

«Die Reform muss gelingen»

Dr. Balz Stückelberger eröffnet die Veranstaltung mit einer Einführung der zwei vorgeschlagenen Modelle. Zur Diskussion stehen das Modell des Bundesrates, welches von den Sozialpartnern erarbeitet wurde, und das Modell der «Allianz für einen vernünftigen Mittelweg», welches von einer Vielzahl von Branchenverbänden sowie den Pensionskassen unterstützt wird. Die Kritik am Modell des Bundesrates fokussiert sich auf die Auszahlung von zeitlich unbefristeten Rentenzuschlägen für die Übergangsgeneration sowie die Ausschüttung dieser Zuschläge nach dem Giesskannenprinzip.

 

Während sich die Podiumsteilnehmenden einig sind, dass die Reform der beruflichen Vorsorge unbedingt zustande kommen muss, bestehen bei der Haltung zur Mehrheitsfähigkeit deutliche Unterschiede. Die Rentenzuschläge würden die roten Linien des Drei-Säulen-Modells überschreiten, so Balz Stückelberger. «Das Modell des Bundesrates ist nicht mehrheitsfähig», pflichtet ihm Nationalrätin Ruth Humbel bei und appelliert an die Ratslinke, die Ziele der Reform im Auge zu behalten: «Die Reform muss gelingen!».

 

Ständerätin Maya Graf weist darauf hin, dass die Senkung des Umwandlungssatzes zu Rentenverlusten führt, welche über diese Rentenzuschläge kompensiert werden müssen. Schlussendlich würde die Stimmbevölkerung über die Reform entscheiden, zudem fände eine Umverteilung von den aktiv Versicherten zu den Rentnern bereits heute statt. Maya Graf erinnert auch an die Wichtigkeit der Vorlage und die Bedeutung eines funktionierendes Vorsorgesystems für die junge Generation: «Es gibt uns die Freiheit, mit unserem Geld tun und lassen was wir wollen, ohne für die finanzielle Vorsorge unserer Eltern und Grosseltern verantwortlich sein zu müssen».

Frauen und Teilzeitbeschäftige besserstellen

Sowohl das Modell des Bundesrates als auch das Modell der «Allianz für einen vernünftigen Mittelweg» verfolgen das Ziel, nebst der langfristigen Sicherung der Vorsorgewerke auch die Renten für Teilzeitbeschäftigte und Tieflohnbezüger zu verbessern, wovon vor allem die Frauen betroffen wären. «Frauen haben im Vergleich zu den Männern im Durchschnitt eine 37 % tiefere Altersrente» fasst Maya Graf das Problem zusammen. Der Systemfehler liege beim Koordinationsabzug. Darüber sind sich die Podiumsteilnehmer alle einig, die Lösungsansätze gehen aber auseinander: Balz Stückelberger schlägt eine Senkung des Koordinationsabzugs auf 60 % des AHV-Lohnes mit Begrenzung auf CHF 21'330 vor, Maya Graf wünscht entweder eine komplette Abschaffung oder eine lineare Abstufung des Koordinationsabzugs. Für Ruth Humbel wäre es die beste Lösung, die Stellen von Teilzeitbeschäftigten zusammenzuzählen und den Abzug nur einmal vorzunehmen.

 

Gleiches Ziel, andere Lösungen – bei der Reform der beruflichen Vorsorge wird weiterhin nach Kompromissen gesucht, um eine mehrheitsfähige Vorlage zu schaffen.