Ausblick 2023 – ein Jahr der Opportunitäten

2023 wird erneut ein herausforderndes Börsenjahr. Nach den Inflationssorgen treten zunehmend Rezessionsängste in den Vordergrund. Im ersten Halbjahr rechnen wir entsprechend mit hohen Schwankungen und weiteren Kursrücksetzern an den Aktienmärkten. Solche dürften sich aber als Opportunitäten erweisen. Nach dem starken Zinsanstieg sehen wir zudem bei Obligationen attraktive Kaufgelegenheiten.

Die hohe Inflation drückt auf die Konsumentenstimmung

Das Börsenjahr 2023 dürfte ein Jahr der Chancen werden. Die langfristigen Renditeerwartungen haben sich verbessert. Allerdings gehen wir von anhaltend hohen Schwankungen aus. Und nachdem 2022 aufgrund der hohen Inflation, der stark steigenden Zinsen und des Krieges in der Ukraine ganz im Zeichen des Bären stand, dürfte dieser zumindest im ersten Halbjahr noch weiter regieren.

In puncto Wirtschaftsentwicklung sehen wir drei mögliche Szenarien: Stagflation, Rezession oder eine sanfte Landung. Letzteres ist das Wunschszenario der Anlegerinnen und Anleger. Dafür müsste sich die Inflation in den kommenden Monaten rasch abkühlen und in Richtung der Notenbankziele von 2% bewegen. So könnten diese ihre Zinserhöhungszyklen im ersten Halbjahr beenden und gegen Ende Jahr bereits wieder erste moderate Zinssenkungen implementieren. Gleichzeitig stabilisiert sich die Weltwirtschaft und verzeichnet ein positives Wachstum. Unterstützung könnte dieses Szenario von einem Ende der Kampfhandlungen in der Ukraine und einer erfolgreichen Beendigung der Null-Covid-Strategie in China erhalten. Auch für uns wäre dies das ideale Szenario – allerdings ist die Eintrittswahrscheinlichkeit zurzeit eher gering.

Auch wenn die Inflation ihren Höhepunkt erreicht hat, rechnen wir nicht mit einem raschen Rückgang in Richtung 2%. Dagegen sprechen Zweitrundeneffekte sowie deutliche Lohnerhöhungen. Für Europa rechnen wir in unserem Basisszenario mit einer Jahresinflation von 5.5%. In den USA dürfte diese bei rund 4% liegen. Vor diesem Hintergrund werden die Notenbanken an ihrer restriktiven Geldpolitik festhalten. Die deutlich gestiegenen Zinsen und die hohe Inflation hinterlassen bereits ihre Spuren: Das Konsumentenvertrauen ist angeschlagen und die Investitionstätigkeit der Unternehmen nimmt ab.

Konsumentenstimmung und Rezessionen in den USA

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Auch die konjunkturellen Vorlaufindikatoren deuten auf eine erhebliche Wachstumsverlangsamung hin. Europa dürfte sich aktuell in einer technischen Rezession befinden. Für die Schweiz und die USA rechnen wir für 2023 mit einem minimen Wachstumsplus. Eine Stagflation stellt aktuell unser Hauptszenario dar.

Stagflation oder Rezession? Das ist hier die Frage.

Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit einer Rezession hoch. Für dieses Szenario spricht vor allem die stark inverse Zinskurve. In der Vergangenheit war diese ein verlässlicher Vorbote einer Rezession. Das würde auch dem klassischen Konjunkturzyklus entsprechen.

Investitions-Uhr

Quellen: Bank of America Merrill Lynch, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Der Sprung von einer Stagflation direkt in den nächsten Aufschwung ist unwahrscheinlich, vor allem, weil den Notenbanken aufgrund der hohen Inflation die Hände gebunden sind. Allerdings hätte ein reinigendes Gewitter auch etwas Gutes: Es würde zu einer Bereinigung der vergangenen Exzesse führen und so den Weg für einen nachhaltigeren Aufschwung ebnen.

Ausserordentlich hohe Korrelation von Aktien und Obligationen

Was bedeutet dies für die einzelnen Anlageklassen? Bei den Obligationen sehen wir aufgrund des Zinsanstiegs der vergangenen Monate zunehmend Anlagechancen. Die Anlageklasse, welche aufgrund der Negativzinsen in den letzten Jahren immer unattraktiver wurde, bietet mittlerweile wieder ansehnliche Renditen. Da wir uns zudem dem Ende des Zinserhöhungszyklus nähern, dürfte die Korrektur bei den Anleihen weitgehend hinter uns liegen. Vor allem im Falle einer Rezession bieten sichere Staatsanleihen einen guten Schutz. Die Korrelation mit Aktien dürfte wieder sinken und damit treten die Diversifikationseigenschaften von Anleihen erneut in den Fokus.

90-Tage-Korrelation Swiss Performance Index (SPI) und Swiss Bond Index (SBI)

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Innerhalb des Segments empfehlen wir Staats- und Unternehmensanleihen von hoher Qualität. Bei Hochzinsanleihen sind wir hingegen zurückhaltend. Für hochverschuldete Unternehmen ist die Kombination aus höheren Zinsen und einer schwachen Wirtschaftsdynamik toxisch.

Für die Aktienmärkte rechnen wir mit anhaltend hohen Schwankungen. Die Bewertungskorrektur aufgrund der deutlich gestiegenen Zinsen ist aus unserer Sicht zwar mittlerweile weitgehend abgeschlossen. Aufgrund der konjunkturellen sowie geopolitischen Unsicherheiten und den immer noch sehr optimistischen Gewinnerwartungen ist im ersten Halbjahr jedoch mit weiteren temporären Rücksetzern an den Aktienmärkten zu rechnen. Die Gewinnschätzungen sind noch immer zu hoch. Sobald diese Anpassungsprozesse stattgefunden haben, dürften sich bei Aktien interessante Kaufgelegenheiten eröffnen. Bis dahin präferieren wir Titel aus defensiven Sektoren wie Nahrungsmittel, Gesundheit und Konsumgüter für den täglichen Gebrauch. Für Zykliker ist die Zeit noch nicht reif.

Bei den Schweizer Immobilienfonds sind die hohen Agios im vergangenen Jahr deutlich geschmolzen. Da wir von einem anhaltend robusten Immobilienmarkt ausgehen, bleibt diese Anlageklasse attraktiv. Als Beimischung und zur Diversifikation empfehlen wir zudem Gold. Das gelbe Edelmetall konnte relativ betrachtet bereits 2022 überzeugen und bleibt als Inflations- und Krisenschutz gefragt. Zudem wird der Gegenwind, bestehend aus einem starken US-Dollar sowie steigenden Realzinsen, im Jahresverlauf abnehmen. Dass die Notenbanken aktuell mit Rekordkäufen aufwarten, zeigt, dass die Nachfrage nach Gold hoch bleibt.

Auf der Währungsseite rechnen wir mit einem anhaltend starken Schweizer Franken. Die heimische Währung profitiert von ihrem Status als sicherer Hafen und dürfte aufgrund der Inflationsdifferenzen gefragt bleiben.

Es steht uns ein weiteres anspruchsvolles Anlagejahr bevor. Gefragt sind gute Nerven, Geduld und eine Portion Mut. Wer die Opportunitäten entschlossen nutzt, dürfte 2023 belohnt werden. 

Der CIO erklärt: Was heisst das für Anleger?

2022 war ein schwaches Börsenjahr. Wird 2023 besser? Entscheidend wird sein, ob es zu einer Rezession kommt oder ein Soft Landing gelingt. Die Geschichte lehrt, dass aggressive Zinserhöhungen fast immer in einer Rezession münden – die inverse Zinskurve ist ein zuverlässiger Vorbote. Das ist per se nicht dramatisch und könnte im Jahresverlauf interessante Opportunitäten eröffnen.

Solche sehen wir schon heute bei den Obligationen. Zum ersten Mal seit 2015 lassen sich mit Franken-Anleihen wieder positive Renditen erzielen, ohne grosse Risiken in Bezug auf die Schuldnerqualität oder Laufzeiten einzugehen. Auf der Aktienseite fokussieren wir uns vorerst auf die defensiven Sektoren. Titel wie Roche, Novartis, Barry Callebaut oder Swiss Life sind kaufenswert. Für Zykliker ist es noch zu früh – ihre Zeit dürfte erst in der zweiten Jahreshälfte kommen.

Matthias Geissbühler, CIO Raiffeisen Schweiz