Das Ende der Geldschwemme – erste Kollateralschäden

Die stark gestiegenen Zinsen gehen nicht wirkungslos an der Realwirtschaft vorbei. Die Kredit- und Refinanzierungskosten steigen, die Investitionstätigkeit sowie der Konsum sinken. Erste Kollateralschäden zeigen sich im Bankensektor.

Mit Zinserhöhungen gegen die Inflation – Die Medizin beginnt zu wirken

Es gibt keine Medikamente ohne Nebenwirkungen. Blutdrucksenker können zu Schwindel, Allergien oder Magen-Darm-Beschwerden führen. Ähnliches gilt für die Wirtschaft. Deren Blutdruck – die Inflation – ist seit einigen Monaten historisch hoch. Und das von den Notenbanken in Form von starken Zinserhöhungen verabreichte Medikament beginnt allmählich zu wirken. Allerdings machen sich auch die Nebenwirkungen der Therapie zunehmend bemerkbar.

Inflation in den USA und in Europa sowie entsprechende Leitzinsentwicklung

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Erste Kollateralschäden der Zinswende zeigten sich Mitte März im US-Bankensystem. Die kalifornische Silicon Valley Bank (SVB) sowie die Signature Bank mussten Insolvenz anmelden und wurden unter behördliche Aufsicht gestellt. Das Problem bei diesen Banken war, dass sie ihre Zinsänderungsrisiken ungenügend abgesichert hatten. Aufgrund des starken Zinsanstiegs verloren ihre Obligationenanlagen deutlich an Wert. Um das Loch zu stopfen, beabsichtigte die SVB eine Kapitalerhöhung, was die Anlegerinnen und Anleger aufschreckte und zu massiven Abflüssen von Geldern führte. Die Insolvenz der Bank wurde unausweichlich. In der Folge machte die Angst vor einem Bankensturm die Runde und erfasste auch die europäischen Finanzinstitute.

In der Schweizer Bankenwelt kam es am 19. März zu einem Erdbeben. Aufgrund massiver Abflüsse von Kundengeldern wurde die Situation bei der Grossbank Credit Suisse (CS) trotz Liquiditätsspritze durch die Schweizerische Nationalbank (SNB) ausweglos. Die Übernahme durch die Konkurrentin UBS schien aufgrund der Umstände und des Zeitdrucks letztlich die einzige Lösung. Damit endete die Geschichte der 167 Jahre alten Escher-Bank abrupt.   

Stark steigende Zinsen führten oft zu einer Rezession

Dass die rasch und stark gestiegenen Zinsen nicht wirkungslos an den Finanzmärkten und der Wirtschaft vorbeigehen, überrascht nicht. Höhere Zinsen wirken über verschiedene Ebenen konjunkturdämpfend. So erhöhen sich etwa die Kredit- und Refinanzierungskosten der Unternehmen. Diese müssen ihre Investitionspläne überdenken und gegebenenfalls Sparmassnahmen einleiten. Die Investitionen sinken. Auch die Konsumentinnen und Konsumenten sind betroffen – beispielsweise in Form von höheren Hypothekarzinsen oder Kreditkosten. Schnallen diese den Gürtel enger, fallen die Konsumausgaben. All diese Faktoren wirken allerdings nicht unmittelbar, weil die meisten Kredite und Hypotheken nicht kurzfristig finanziert sind, sondern im Durchschnitt eine Laufzeit von 3 bis 5 Jahren haben. In der Vergangenheit wirkten sich Zinserhöhungen erst mit einer Verzögerung von 12 bis 18 Monaten spürbar auf die Konjunktur aus – und führten nicht selten zu einer Rezession.

Leitzinsentwicklung in den USA und Rezessionsphasen

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Aktien oder Anleihen? Die Risikoprämien sind gesunken

Im Anlagekontext haben Zinserhöhungen zwei weitere Effekte. Erstens führen sie zu einer Bewertungskorrektur bei sämtlichen Anlageklassen. Zweitens verändern sie die relativen Attraktivitäten. So stehen bei der Allokation von Anlagegeldern in der Regel die beiden Hauptanlageklassen Aktien und Obligationen im Fokus. Im Negativzins-Umfeld waren Anleihen unattraktiv und Anleger begannen, ihr Kapital in Aktien umzuschichten. Zudem erhöht sich bei tieferen Zinsen der Gegenwartswert von Realwerten, was höhere Bewertungen rechtfertigt. Mit der Zinswende hat sich das Bild nun gedreht. In den USA ist die Risikoprämie von Aktien auf ein historisch tiefes Niveau gefallen. Die Gewinnrendite im US-Aktienmarkt beträgt aktuell knapp über 5% und liegt damit nur noch minim über den Renditen von kurzfristigen Geldanlagen. Dadurch verlieren Aktien gegenüber Obligationen an Attraktivität und werden zunehmend in kurzlaufende Anleihen umgeschichtet. Auch wir haben in unserer Anlagetaktik Ende Februar die Obligationenquote erhöht. 

Gewinnrendite von US-Aktien und Rendite von 2-jährigen US-Staatsanleihen

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Die Zinswende ist für Anlegerinnen und Anleger somit ein zweischneidiges Schwert. Einerseits ist das Ende der Negativ- und Nullzinsen begrüssenswert und eröffnet insbesondere bei Obligationen wieder attraktivere Renditechancen. Auf der anderen Seite führen die höheren Zinsen zu Bewertungskorrekturen. Ein Grossteil dieser Korrekturen erfolgte bereits 2022. Allerdings dürften sich die Auswirkungen der Zinswende auf die Konjunktur erst noch voll entfalten. Die Turbulenzen im Bankensektor waren ein erster Warnschuss. Die Unsicherheiten bleiben hoch. Vor diesem Hintergrund rechnen wir mit einer anhaltend hohen Volatilität an den Finanzmärkten und empfehlen unverändert eine taktisch defensive Positionierung.

Seit dem Ende der Finanz- und Bankenkrise 2008/2009 hingen die Kapitalmärkte, aufgrund der Liquiditätsschwemme, permanent am Tropf der Notenbanken. Nun folgt der harte Entzug. Es sind Geduld und starke Nerven gefragt. 

Der CIO erklärt: Was heisst das für Anleger?

Dass die abrupte Zinswende nicht spurlos an den Finanzmärkten vorbeigehen würde, war absehbar. Der Untergang der Credit Suisse war dann aber doch eine böse Überraschung. Anlegerinnen und Anleger sollten daraus drei Schlüsse ziehen. Erstens: «Don’t fight the central banks» ist eine Aussage, die in beide Richtungen gilt. Die restriktive Geldpolitik ist der Hauptgrund dafür, dass wir anlagetaktisch seit einiger Zeit defensiv aufgestellt sind. Zweitens: Langfristig investieren und spekulieren sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Einige Anleger haben in den Tagen vor dem Untergang der CS deren Aktien gekauft, obwohl die Bank angeschlagen war und im vergangenen Jahr einen Milliardenverlust auswies. 

Es war eine spekulative Wette auf einen möglichen Turnaround. Aufgrund unserer strikten Selektionskriterien war die Aktie nicht investierbar und deshalb auch nicht Bestandteil der Vermögensverwaltungsmandate. Drittens: Die Wichtigkeit einer breiten Diversifikation. Seit der Ankündigung der Übernahme der CS durch die UBS ist die CS-Aktie um fast 60% gefallen, während der breite Swiss Performance Index (SPI) um 3% zulegen konnte. Und dies, obwohl die Bankaktie auch Teil des Index ist.

Matthias Geissbühler, CIO Raiffeisen Schweiz