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Anleger mit rosaroter Brille?
Anleger mit rosaroter Brille?
Die (geo-)politischen Risiken sind zuletzt etwas in den Hintergrund geraten. Die Anleger erfreuen sich lieber an den zweistelligen Kursgewinnen an den Aktienmärkten, die sie schon bald einbuchen können. In den verbleibenden Wochen wird aber nicht nur die Ernte eingefahren, es gilt auch sich aufs neue Jahr vorzubereiten.
Von (geo-)politischen Risiken haben die Investoren an den Finanzmärkten nach Dauerbeschallung durch die Medien das ganze Jahr hindurch seit Oktober offensichtlich genug. Seitdem läuft die Jahresendrally praktisch ohne Unterbruch. Dabei gibt es im Handelsstreit zwischen den USA und China bisher noch nicht einmal den angekündigten «Phase 1-Deal». Die Minimal-Einigung zwischen den zwei Streithähnen könnte sich unter Umständen sogar bis ins nächste Jahr hinziehen. Auch der «Brexit» befindet sich vorerst in der Warteschleife. Der erzwungenermassen sehr kurze Wahlkampf wird in Grossbritannien derzeit umso heftiger geführt und sowohl die Konservativen als auch die Labour-Partei versprechen den Wählern mitunter das Blaue vom Himmel. Einen schnellen EU-Austritt hat dabei allein Boris Johnson im Blick. Nach den Wahlen am 12. Dezember dürfte endgültig wieder Bewegung in das Thema kommen.
Auch 2020 eine politische Börse
Politische Börsen haben ja bekanntlich kurze Beine. Vielleicht haben sich die Finanzmärkte in jüngster Zeit auch deswegen von der (Geo-)Politik emanzipieren können. Ganz ausblenden kann man diese aber auch im nächsten Jahr nicht. Das Thema Handelskrieg birgt aus unserer Sicht erneut ein gewisses Enttäuschungspotential. Der «Brexit» dürfte in Europa schon bald wieder auf die Agenda kommen. Und über allem schwebt spätestens ab dem Frühjahr die US-Präsidentschaftswahl. Noch ist das Rennen um den demokratischen Herausforderer offen und eine Aufholjagd eines politisch gemässigten Kandidaten nicht auszuschliessen. Die zuletzt als Favoritin gehandelte Elizabeth Warren wäre aus Sicht der Aktienmärkte – vor allem mit Blick auf die Pharmawerte und die Technologiebranche – allerdings sicher nicht erste Wahl, sondern könnte ganz im Gegenteil für vereinzelte Bauchschmerzen und höhere Volatilität sorgen. Aus rein statistischer Sicht hat Donald Trump als Amtsinhaber von vornherein einen Vorteil – solange die US-Wirtschaft in den kommenden Monaten nicht grösser ins Stocken gerät. So oder so verspricht das nächste Jahr wieder eine Reihe von Tweets.
Geldpolitik bleibt locker
Anleger, die sich gedanklich schon einmal auf das Anlagejahr 2020 vorbereiten wollen, sollten sich angesichts der zu erwartenden politischen Börse schon einmal auf höhere Schwankungsbreiten einstellen. In die Überlegungen fürs nächste Jahr müssen daneben natürlich auch die Notenbanken einfliessen. Diese werden aus ihrer derzeitigen Winterstarre so schnell nicht erwachen. Die Leitzinsen dürften 2020 in den USA, im Euroraum und auch in der Schweiz auf dem aktuellen Niveau verharren. Die Hürde für höhere Kurzfristzinsen ist – auch über das kommende Jahr hinweg betrachtet – extrem hoch. Die globale Geldpolitik wird somit auf absehbare Zeit sehr locker bleiben. Ob dies allein erneut für zweistellige Kursgewinne bei Aktien ausreicht, ist aber fraglich. Denn auch wenn politische Störfeuer letztlich ausbleiben, braucht es für ein erfolgreiches Aktienjahr neben offenen Geldschleusen auch wieder steigende Unternehmensgewinne sowie eine festere Konjunktur. Dass die Investoren ein weiteres Jahr durch die rosarote Brille schauen werden, ist deshalb doch eher unwahrscheinlich.
Marcel Crameri
Leiter Anlageberatung Raiffeisenbank Siggenthal-Würenlingen