Sorglose Anleger

01.12.2023

Sorglose Anleger

Finanz Ecke Dez 23

Viele Börsianer haben die gegenwärtigen Unsicherheiten im November weitgehend ausgeblendet. Zudem sind die Kapitalmarktzinsen stark gesunken. Entsprechend ging es für die Aktienmärkte steil nach oben. Das birgt Korrekturpotenzial.

Im Volksmund verleiht Hoffnung bekanntlich Flügel. Das traf im November auch auf die Aktienmärkte zu. Viele Anleger hofften darauf, dass die Leitzinsen im nächsten Jahr sinken werden. Zudem blendeten sie die aktuellen konjunkturellen und geopolitischen Risiken über weite Strecken aus. Infolgedessen legte der Swiss Market Index (SMI) im Monatsverlauf um über 4 Prozent zu. Auf den Kaufzetteln der Investoren standen insbesondere zyklische Werte, allen voran die Valoren des Finanzdienstleisters Partners Group, des Hörgeräteherstellers Sonova sowie des Sanitärspezialisten Geberit. Wenig gefragt waren dafür die defensiven Schwergewichte. Noch deutlicher fiel das Plus beim EURO STOXX 50 Index (+7,9%) und dem amerikanischen S&P 500 Index (+8,9%) aus. Bei Letzterem war im Gegensatz zur Gesamtjahresentwicklung die jüngste Aufwärtsbewegung für einmal nicht von den Technologiewerten getrieben, sondern breit abgestützt.

Dank der Zinswende ebenfalls gesucht waren sichere Staatsanleihen. Die Renditen für 10-jährige Eidgenossen sanken im November von 1,17 Prozent auf 0.83%, den tiefsten Stand seit diesem Sommer. Ein ähnliches Bild ergab sich bei ihren europäischen und amerikanischen Pendants. Von den tieferen Kapitalmarktzinsen profitierte derweil der Goldpreis. Dieser kletterte in der zweiten Monatshälfte bis auf 2'050 US-Dollar pro Unze und notierte damit auf Sicht zu seinem Allzeithoch.

Geldpolitik bleibt restriktiv
Die Inflation erweist sich weiterhin als hartnäckig. Wegen der Erhöhung des hypothekarischen Referenzzinssatzes Anfang Dezember von 1,5 Prozent auf 1,75 Prozent werden die Mieten ab April 2024 weiter steigen und dadurch die Inflation temporär wieder über die 2 Prozent-Marke klettern. In der Eurozone sowie den USA nahm der Preisdruck zuletzt weiter ab. Die Kernteuerung verharrt nichtsdestotrotz immer noch deutlich über dem Zielband der Europäischen Zentralbank (EZB) respektive der US-Notenbank Fed. Wir gehen davon aus, dass auf beiden Seiten des Atlantiks der Leitzinsgipfel erreicht ist. Die jüngsten Äusserungen der Notenbankvertreter lassen aber darauf schliessen, dass entgegen der Hoffnung vieler Marktteilnehmer vor Sommer 2024 keine Zinssenkungen auf der Traktandenliste stehen. Die Geldpolitik wird somit insgesamt restriktiv bleiben.

Erste Risse im Arbeitsmarkt
Die Einkaufsmanagerindizes (PMI) für die Industrie bewegen sich in Europa und den USA unverändert unter der Wachstumsschwelle von 50 Punkten. Präsentierte sich der Arbeitsmarkt bislang bemerkenswert robust, so wurden zuletzt auch hier Bremsspuren sichtbar: Die Zahl der offenen Stellen ging stark zurück und erste Unternehmen haben mit einem Stellenabbau begonnen. Die wirtschaftliche Abschwächung spiegelt sich auch in der abgelaufenen Berichtssaison. Im ersten und zweiten Quartal konnte das Gros der heimischen Firmen die Erwartungen schlagen, in der abgelaufenen Berichtssaison war es nur noch die Hälfte der SMI-Vertreter. Vielen Unternehmen macht darüber hinaus der starke Schweizer Franken zu schaffen.

Vorsichtig bleiben
Die Erholung an den Aktienmärkten ging mit einem deutlichen Stimmungsumschwung einher. Das Verhältnis aus «Bullen» und «Bären» bewegte sich im November zeitweise gar auf einem leicht euphorischen Niveau. Der Volatilitätsindex VIX notierte so tief wie letztmals Mitte September. Fundamental hat sich aber wenig geändert. Die Chancen auf eine sanfte Landung der Konjunktur sind unserer Meinung nach gering, die Gewinnschätzungen für 2024 immer noch zu ambitioniert. Vor diesem Hintergrund wird die Luft nach der jüngsten Börsenrally dünner. Wir raten Anlegern trotz günstiger Saisonalität zur Vorsicht. Bei Aktien bleiben wir untergewichtet. Innerhalb der Anlageklasse präferieren wir wegen seines defensiven Charakters den Schweizer Heimmarkt. 

Marcel Crameri
Leiter Vermögensberatung Raiffeisenbank Siggenthal-Würenlingen