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05.05.2023

Zwischen Hoffnung und Angst

Finanz Ecke

Die Anleger hoffen auf sinkende Zinsen. Das ist angesichts der hartnäckigen Inflation aber unwahrscheinlich. Die Rezessionsrisiken bleiben somit – trotz mehrheitlich über den Erwartungen liegenden Quartalsabschlüssen – erhöht. Zudem ist die Gefahr einer neuen Bankenkrise noch nicht vom Tisch.

Die Anleger sind hin- und hergerissen. Einerseits hoffen sie auf eine baldige Kehrtwende der Geldpolitik und damit ein Nachlassen der konjunkturellen Bremseffekte. Andererseits fürchten sie angesichts der hartnäckigen Teuerung weitere Zinserhöhungen der Notenbanken. Darüber hinaus schwingt immer noch die Angst vor einer neuen Bankenkrise mit. Dass diese nicht unbegründet ist, unterstrich jüngst die Notübernahme der US-Regionalbank First Republic durch die Konkurrentin JPMorgan Chase. Von der labilen Börsenlage profitierte der Swiss Market Index (SMI), der im April über 3 Prozent kletterte. Geholfen haben ihm dabei seine defensive Ausrichtung, gute Quartalsergebnisse und die stabile Entwicklung der Index-Schwergewichte Novartis und Roche. Beide schnitten deutlich besser ab als der Gesamtmarkt. Aus diesen Gründen gehörte der Schweizer Markt im vergangenen Monat einmal mehr weltweit zu den Stärksten.

Der Ruf des Schweizer Frankens als sicherer Hafen hat durch den Fall Credit Suisse keinen Schaden genommen. Die helvetische Währung neigte im vergangenen Monat gegenüber Euro und US-Dollar zur Stärke. Letzterer markierte mit 0.8852 Franken zeitweise den tiefsten Stand seit Anfang 2021. Ebenfalls in der Gunst der Anleger standen Schweizer Bundesanleihen und Gold: Die Rendite für 10-jährige Eidgenossen pendelte zwischen 0,98 und 1,27 Prozent, der Preis für das gelbe Edelmetall bewegte sich um 2'000 Dollar pro Unze.

Hartnäckige Inflation
Das Gute vorweg: Dank Basiseffekten ist bei den Inflationsraten in vielen Ländern ein rückläufiger Trend erkennbar. Für eine Entwarnung ist es dennoch zu früh. Das zeigt sich in der Eurozone, wo der Preisdruck auf Konsumentenebene im April (7,0 Prozent) gegenüber dem Vormonat (6,9 Prozent) wieder leicht zugenommen hat. Darüber hinaus erweisen sich vielerorts die Kernraten, bei denen die schwankungsanfälligen Preise für Energie und Lebensmittel herausgerechnet werden, als äusserst hartnäckig. In den USA etwa ist diese im März von 5,5 auf 5,6 Prozent gestiegen. Damit liegt sie nun über der sogenannten Headline-Inflation (5,0 Prozent), was eine breite Verankerung der Teuerung in der Wirtschaft signalisiert. Wir halten daher eine baldige Abkehr der Notenbanken von ihrem restriktiven Kurs für äusserst unwahrscheinlich. Vielmehr dürften diese zwar das Ende ihres Zinserhöhungszyklus erreicht haben (US-Fed) respektive in Bälde erreichen (EZB, SNB). Nichtsdestotrotz werden die Zinsen wohl noch einige Zeit hoch bleiben. 

Erste Bremsspuren
Die Berichtssaison zum ersten Quartal läuft auf beiden Seiten des Atlantiks auf Hochtouren. Vielfach liegen die Ergebnisse über den Erwartungen der Analysten, etwa im Fall der US-Tech-Riesen Alphabet, Meta und Microsoft oder des Pharmariesen Novartis. Dennoch machen sich erste Spuren der restriktiven Geldpolitik bemerkbar. Zahlreiche Unternehmen profitieren zwar noch von einem satten Auftragspolster. Das Auftragsmomentum lässt jedoch mancherorts nach, wie die Zahlenkränze der beiden Industriekonzerne Bucher und OC Oerlikon oder jener des Liftbauers Schindler zeigen. Zudem wächst der Margendruck. Nur Unternehmen mit einer starken Preissetzungsmacht wie der Nahrungsmittelmulti Nestlé können die höheren Produktionskosten auf ihre Kunden noch überwälzen.  

Zu viel Optimismus
Seit Jahresanfang notieren sämtliche Anlageklassen im Plus. Die Volatilität an den Aktienmärkten ist niedrig. Unserer Meinung nach ist aber zu viel Hoffnung eingepreist. Die Gefahr einer Bankenkrise ist noch nicht gebannt. Zudem belasten die hartnäckige Inflation, die höheren Finanzierungskosten aufgrund des starken Zinsanstieges sowie die Straffung der Kreditvergabepolitik der Banken die Konjunktur. Die Wahrscheinlichkeit für eine (technische) Rezession im zweiten Halbjahr steigt an. Zu guter Letzt stehen mit den Sommermonaten statistisch eher magere Börsenmonate bevor. Anlegern raten wir daher weiterhin zu einer defensiven Positionierung, einem Fokus auf Qualität sowie einer breiten Diversifikation des Portfolios. Wir haben unsererseits die jüngsten Kursanstiege bei europäischen Aktien und Schweizer Immobilienfonds genutzt, um Gewinne mitzunehmen und bei beiden Anlageklassen unsere taktischen Quoten zugunsten Liquidität leicht zu reduzieren. 

Marcel Crameri
Leiter Vermögensberatung Raiffeisenbank Siggenthal-Würenlingen