Interview: So gelingt der Einstieg an die Börse

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Vorurteile und Ängste halten viele Sparerinnen und Sparer vom Anlegen ab. Der Wirtschaftspsychologe Tashi Gumbatshang erklärt im Interview, wie sich die Einstiegshürden überwinden lassen und worauf es bei den ersten Schritten an der Börse ankommt.

 

Die meisten wissen es: Sparen lohnt sich aufgrund der tiefen Zinsen nicht mehr. Und doch lassen viele ihr Geld auf dem Sparkonto liegen. Warum?

T.G.: Verschiedenste Hemmnisse halten Sparerinnen und Sparer vom Anlegen ab. Dazu gehören Vorurteile gegenüber der Börse ebenso wie urmenschliche Ängste, zum Beispiel die Scheu vor Verlusten oder auch vor neuen Dingen, mit denen man sich nicht so gut auskennt.

 

Sind diese Ängste berechtigt?

Sie sind aus psychologischer und verhaltensökonomischer Sicht verständlich und nachvollziehbar. Objektiv gesehen gibt es jedoch wenig Grund für solche Ängste, denn jeder kann anlegen und die langfristigen Erfolgschancen sind erwiesenermassen gross.

 

Dann ist der Einstieg also eigentlich gar nicht so schwer?

Nein. Anlegen ist keine Hexerei und es gibt verschiedenste Anlagelösungen, die weder ein grosses Wissen voraussetzen, noch einen grossen Aufwand verlangen. Dennoch haben viele Sparerinnen und Sparer grossen Respekt vor dem ersten Schritt. Doch es lohnt sich, die mentalen Barrieren zu überwinden und den eigenen Hemmnissen und Emotionen ein Schnippchen zu schlagen.

 

Und wie gelingt das konkret?

Gleich wie beim Sport oder beim Abnehmen: Indem man sich einen langfristigen Plan mit einfachen und klaren Regeln zurechtlegt und sich anschliessend so organisiert, dass man die Regeln möglichst nicht brechen kann.

 

Können Sie ein Beispiel geben?

Fondssparpläne mit regelmässigen Einzahlungen sind eine gute Einstiegsmöglichkeit. Die Wahl des Fonds und die Einzahlungsbeträge definieren dabei den «Trainingsplan»: So wird das Anlegen schnell zur Routine, und rasch stellen sich erste Erfolge ein. Dafür braucht es weder grosse Geldbeträge noch vertieftes Vorwissen, und man muss sich auch nicht ständig mit den Finanzmärkten beschäftigen.

 

Einsteiger sollten also keine Einzeltitel kaufen?

Nein. Wer glaubt, er werde mit Anlegen über Nacht reich, täuscht sich, denn anlegen heisst nicht spekulieren. Einsteiger sollten gar nicht erst versuchen, einzelne Aktien günstig zu kaufen und teuer zu verkaufen. Vielmehr sollten sie auf eine langfristige, regelbasierte Strategie und einen ausgewogenen Anlagemix setzen. Das erhöht die Erfolgschancen und hält die Emotionen tief.

 

Wann beginnen sich die Anlagen auszuzahlen?

Je länger der Anlagehorizont, desto mehr lohnen sich Investitionen in Wertschriften. Dafür verantwortlich ist der Zinseszinseffekt. Seine Wirkung verstärkt sich mit zunehmender Dauer um ein Vielfaches. Zudem werden über einen langen Zeitraum auch Kursrückschläge ausgebügelt, da der langfristige Trend erfahrungsgemäss immer nach oben zeigt. Wer diese Mechanismen kennt, merkt sofort, dass man möglichst früh mit anlegen beginnen sollte.

 

Wie findet man den optimalen Einstiegszeitpunkt? Lohnt es sich, auf eine Kurskorrektur zu warten, um dann besonders günstig einzusteigen?

Nein, abwarten lohnt sich nicht. Die Erfahrung zeigt, dass es unmöglich ist, den optimalen Zeitpunkt für den Einstieg zu erwischen, denn die kurzfristige Marktentwicklung lässt sich nicht voraussagen. Viel wichtiger als der konkrete Einstiegszeitpunkt ist die Zeit im Markt. Wer trotzdem unsicher ist, investiert nicht sein ganzes Kapital auf einmal, sondern legt über einen bestimmten Zeitraum regelmässig – zum Beispiel monatlich – gleichbleibende Beträge an. Dieser sogenannte Durchschnittspreiseffekt glättet Kurschwankungen. Mit regelmässigen und automatisch stattfindenden Investitionen schonen Anleger zudem ihre Nerven und schlagen den Emotionen ein weiteres Schippchen.

 

Und wie findet man die passende Strategie und das optimale Anlageprodukt?

Ein Beratungsgespräch hilft, eine klare Strategie zu entwickeln, welche den eigenen Bedürfnissen Rechnung trägt. Eine professionelle Anlagestrategie bezieht sowohl geplante Anschaffungen als auch das Geld, das mittel- bis langfristig benötigt wird, in die Planung mit ein. Darauf abgestimmt werden anschliessend zusammen mit den Experten die passenden Anlageprodukte ausgewählt.

Tashi Gumbatshang leitet das Kompetenzzentrum für Vermögens- und Vorsorgeberatung bei Raiffeisen Schweiz und ist als Dozent für Finanz- und Wirtschaftspsychologie an der Kalaidos Fachhochschule tätig. Er studierte Betriebswirtschaft an der Hochschule für angewandte Wissenschaften ZHAW sowie Arbeits- und Organisationspsychologie an der Bergischen Universität in Wuppertal (DE). Tashi Gumbatshang ist Absolvent der Swiss Banking School und eidg. dipl. Finanz- und Anlageexperte.