Aufhören, wenn es am schönsten ist

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Kaum ein Unternehmer übergibt bereits mit 50. Yvan Jeanneret hat es getan. Der Chef von Jeanneret Hydro Mécanique musste erst seine Familie überzeugen, doch dann ging alles sehr schnell. Nun ist der Betrieb bei seinem ehemaligen Stellvertreter in besten Händen.
 

Vom Mechaniker zum Jungunternehmer

Yvan Jeanneret langweilt sich schnell. Der 50-jährige Neuenburger hat einen unstillbaren Schaffensdrang und bezeichnet sich selbst als «hyperaktiv». Als der umtriebige Unternehmer seiner Frau vor rund zwei Jahren eröffnete, dass er seine Firma abgeben möchte, wollte sie ihm dies erst ausreden: «Meine Frau befürchtete, ich würde in ein Loch fallen», sagt er.

Dabei stand seine Entscheidung schon lange fest: «Bereits mit 25 fasste ich den Entschluss, das Geschäft mit 50 abzugeben», erzählt Jeanneret. Er habe früh realisiert, dass Mechaniker nicht sein Traumberuf sei. Nach seiner Lehre entdeckte er sein Faible für den Verkauf und das Unternehmertum. Bald schon übernahm er die Firma Jeanneret Hydro Mécanique und beschloss, es seinem Vorgänger gleichzutun. Auch der Firmengründer trat bereits mit 50 ab.

Das Kerngeschäft des KMU ist der Verkauf von Landwirtschaftsmaschinen. Daneben verrichtet das 10-köpfige Team aber auch Reparaturen und Sanitärarbeiten. Für die Bauern im Val de Travers ist der Allrounder ein Glücksfall: Jeanneret Hydro Mécanique hat für fast alles eine Lösung.
 

Ein Mittagessen mit Folgen

2017 begann sich Yvan Jeanneret Gedanken über die Zukunft seines Geschäfts zu machen. Zunächst schien ein interner Nachfolger ausgeschlossen. Also fasste er einen Lieferanten ins Auge, zu dem er über die Jahre ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hatte. Doch dieser schob die Entscheidung auf die lange Bank. Ein glücklicher Zufall brachte eine unverhoffte Wendung: Jeanneret ging mit einem langjährigen Mitarbeiter essen – und die beiden stellten fest, wie stark sich ihre Biografien glichen.

Mickaël Morganti hatte sich ursprünglich als Mechaniker bei Jeanneret beworben. Da in der Werkstatt keine Stelle frei war, begann er als Lagerist. Schon nach wenigen Jahren wurde er zur rechten Hand des Patrons. Wie gross die Ambitionen seines Stellvertreters waren, realisierte Jeanneret aber erst beim gemeinsamen Mittagessen: «Er wollte einen Schritt weiterkommen und ich aufhören. Das passte gut zusammen.»

 

Dank Vertrauensbasis vereinfachter Nachfolgeprozess

Insgeheim träumte Morganti schon lange vom eigenen Unternehmen. «Ich packte die Gelegenheit beim Schopf, denn ich kannte das Geschäft, die Produkte und die Kunden», sagt der 42-jährige Franzose. Entsprechend kurz war die Übergabephase.
 

«Der Prozess war unkomplizierter und kürzer»

Das gute Verhältnis zwischen Inhaber und Nachfolger vereinfachte vieles: «Die beiden verstehen sich blind», sagt Raiffeisen-Firmenkundenberater Jean-Philippe Raymondaz. Der Verkauf der Firma habe sich eher wie eine Übergabe vom Vater zum Sohn angefühlt als wie ein Verkauf ans Management. «Das hat es für uns einfacher gemacht. Der Prozess war unkomplizierter und kürzer als bei anderen Nachfolgelösungen mit dem Firmenmanagement.» Das Vertrauen der Bank in das Projekt sei zudem durch die spürbare Motivation des Käufers gestärkt worden.
 

Die transparente Bewertung überzeugte den Käufer

Die Preisvorstellung von Jeanneret basierte auf dem Substanzwert, den er anhand einer Inventur ermittelt hatte. Dieser Wert deckte sich mit der Einschätzung von Raiffeisen, die bei der Unternehmensbewertung die Ertragswertmethode angewendet hatte. Oft würden Substanz- und Ertragswert deutlich voneinander abweichen, erläutert Raymondaz. Doch da die materiellen Vermögenswerte in diesem Fall eine zentrale Rolle spielten, seien die beiden Werte ausnahmsweise fast identisch gewesen. Die transparente Bewertung überzeugte den Käufer, der mit dem Verkaufspreis auf Anhieb einverstanden war.
 

Finanzierungsmix als Lösung

Viele MBOs scheitern an der Finanzierung. Auch in diesem Fall war es für den Käufer eine Herausforderung, die nötigen Mittel aufzubringen. 60 Prozent finanzierte Morganti mit einem Kredit der Raiffeisenbank. Weitere 20 Prozent stammen aus einem Darlehen von Jeanneret an Morganti, was laut Raymondaz vom grossen Vertrauen des Verkäufers in den Käufer zeugt. Um die restlichen 20 Prozent durch Eigenmittel finanzieren zu können, verkaufte Morganti sein Haus in Frankreich. Jeanneret hingegen hat die geschäftlichen Immobilien in sein Privatvermögen überführt und verfügt dank den Mieteinnahmen weiterhin über ein regelmässiges Einkommen. Gleichzeitig konnte dadurch das Unternehmen «leichter» gemacht und so der Verkaufspreis signifikant reduziert werden.

Emotionale Zitterpartie

Trotz der raschen Nachfolgelösung hat Jeanneret einige schwierige Monate hinter sich. Zum einen musste er seine Familie von seiner Idee überzeugen. Zum anderen war es nicht einfach, den bevorstehenden Verkauf unter Verschluss zu halten. In einem 800-Seelendorf wie Môtiers verbreiten sich Gerüchte wie Lauffeuer – und Jeanneret wollte weder seine Mitarbeitenden noch seine Kunden verunsichern.

«Ich habe die Situation unterschätzt», gibt Jeanneret rückblickend zu. «Das Schwierigste für mich war, mit niemandem über die laufenden Verhandlungen zu sprechen», sagt er. Auch habe er immer wieder befürchtet, der Käufer würde abspringen oder der Kauf liesse sich nicht finanzieren. Das Wichtigste in einer solchen Situation seien Bestimmtheit und Vertrauen: «Der Wille muss da sein. Nur wenn man entschieden vorwärts geht und allen Involvierten Vertrauen schenkt, gelingt es.»

Die Sorgen seiner Frau waren unangebracht: Yvan Jeanneret wird es auch ohne sein Geschäft nicht langweilig. Einmischen in den Betrieb möchte er sich nicht mehr. Mittlerweile hat er eine Teilzeitstelle als Lehrer in einer Berufsschule übernommen. «Ich hätte niemals gedacht, dass ich je so etwas machen würde», sagt er. «Ich habe mich einfach vom Schicksal leiten lassen.»

 

Yvan Jeanneret gibt Einblick

Was würde ich anders machen, wenn ich den Prozess nochmals durchlaufen würde?

«Ich habe unterschätzt, wie schwierig es ist, mit niemandem über die laufenden Verhandlungen zu sprechen. Man sollte sich bewusst sein, dass es nicht einfach ist, dieses Geheimnis gegenüber Kunden und Mitarbeitenden zu hüten.»
 

Was war meine grösste Angst und hat sich diese bewahrheitet?

«Ich habe immer wieder befürchtet, der Käufer würde abspringen oder der Kauf liesse sich nicht finanzieren. Zum Glück war das nicht der Fall.»
 

Welchen Tipp würde ich Unternehmern geben, die ebenfalls vor diesem Prozess stehen?

«Der Wille muss da sein. Nur wenn man entschieden vorwärts geht und allen Involvierten Vertrauen schenkt, gelingt es.»

 

Zur Jeanneret Hydro Mécanique

Traktor der Jeanneret Hydro Mécanique
Jeanneret Hydro Mécanique

Das Unternehmen

Jeanneret Hydro Mécanique wurde 1972 in Môtiers (NE) gegründet. Das Unternehmen verkauft und repariert Traktoren und Landwirtschaftsmaschinen aller Art. Zudem verrichtet der Betrieb Schlosserarbeiten und installiert Garagentore, Feuerschutztüren und hydraulische Anlagen. Jeanneret Hydro Mécanique beschäftigt zehn Mitarbeitende und erwirtschaftet einen Jahresumsatz von 4,4 Millionen Franken.

Der Übergeber: Yvan Jeanneret

Yvan Jeanneret stiess nach seiner Lehre als Mechaniker zu Jeanneret Hydro Mécanique. Er machte sich rasch unersetzlich und übernahm das Unternehmen 1998 vom Firmengründer. Anfang 2019 verkaufte er die Firma an seinen Stellvertreter Mickaël Morganti. Heute ist Jeanneret mit einem 50-Prozent-Pensum in der Berufsbildung tätig. Der Vater von zwei Kindern lebt mit seiner Frau in La Brévine im Kanton Neuenburg.
 

Der Übernehmer: Mickaël Morganti

Mickaël Morganti machte in Frankreich eine Lehre als Mechaniker und stieg 2009 als Lagerist bei Jeanneret Hydro Mécanique ein. In der Folge wurde er zum Stellvertreter von Yvan Jeanneret. Seit Ende 2018 ist er Inhaber und Geschäftsführer.