«Preiserhöhungen verhandeln und offen kommunizieren»

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Stand vor wenigen Monaten für Schweizer KMU noch die Sicherung der Lieferketten im Vordergrund, sind es heute vorwiegend die gestiegenen Einkaufspreise. Wie Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Lieferanten und Kunden ihre Margen schützen, erklären Marco Meier und Spiros Doukas im Interview.

 

Mit Lieferketten beschäftigen sich Schweizer KMU schon seit längerem. Doch der Fokus hat sich über die vergangenen Jahre stark verändert.

Marco Meier: Das ist richtig. Vor Corona ging es bei der Beschaffung für die meisten Unternehmen vor allem um die Kosten. Im Vordergrund standen Themen wie Outsourcing, Just-in-time-Produktion oder Verlagerung in kostengünstigere Regionen. Mit Ausbruch der Pandemie änderte sich das. Plötzlich lautete die Frage: Erhalte ich die benötigten Güter überhaupt noch? Verlässlichkeit beziehungsweise Abhängigkeiten rückten vermehrt in den Fokus.

 

Wie haben sich die Schweizer KMU an diese neuen Realitäten angepasst?

Spiros Doukas: Zahlreiche Unternehmerinnen und Unternehmer haben rasch und proaktiv reagiert und sich flexibel an die neuen Gegebenheiten angepasst. So haben einige KMU ihre Lieferanten diversifiziert und die Lagerbestände aufgestockt, um Schwankungen in den Lieferketten besser abzufedern. Ausgelagerte Aufgaben wurden in die Betriebe zurückgeholt und kritische Prozesse digitalisiert. Das alles stärkt die Kontrolle über die gesamten Lieferketten, erhöht die Flexibilität und verbessert die Planbarkeit. 

 

Vor welchen Herausforderungen im Zusammenhang mit Lieferketten stehen die Schweizer KMU aktuell?

M.M.: In den letzten Monaten hat sich der Fokus von der Verfügbarkeit zu den Einkaufspreisen der Güter verlagert. Als Folge der überall stark gestiegenen Inflation sind heute alle Branchen von zum Teil massiven Preiserhöhungen betroffen. Die höheren Einkaufspreise schlagen sofort und direkt auf die Margen. Deshalb ist es wichtig, dass die Unternehmen mit ihren Lieferanten verhandeln.

 

Welche Möglichkeiten haben KMU in den Preisverhandlungen mit ihren Lieferanten? 

S.D.: Zentral ist, dass sie Preiserhöhungen nicht einfach hinnehmen. Im besten Fall arbeitet ein Unternehmen mit seinen Lieferanten bereits seit längerem zusammen und die Parteien haben ein Interesse, gemeinsam verträgliche Lösungen zu finden. So können beispielsweise gewisse Abstriche bei Qualität oder Verfügbarkeit vereinbart werden, um den Preisanstieg abzufedern. Oder aber die Erhöhung findet etappiert über mehrere Monate statt. 

 

… und wenn keine gemeinsamen Interessen bestehen?

S.D.: Dann ist es angezeigt, vom Lieferanten eine Auflistung über die Kostenbestandteile inklusive zugehörige Inflation zu verlangen und darauf aufbauend gezielt über Möglichkeiten zur Abfederung oder Verzögerung der Preiserhöhungen zu sprechen. So schaffen sich die Unternehmen wertvolle Zeit. 

 

«Es ist ungemein wichtig, dass KMU mit ihren Kundinnen und Kunden offen und transparent kommunizieren.»

Spiros Doukas

 

M.M.: Diese Zeit lässt sich in mehrfacher Weise nutzen. So können alternative Lieferkanäle mit besseren Konditionen etabliert und die eigenen Kosten gesenkt werden. Und auch die Weitergabe der gestiegenen Kosten an die eigenen Kunden benötigt Zeit. Alle Massnahmen tragen dazu bei, die eigenen Margen zu sichern.

 

Was ist bei der Gestaltung der Verkaufspreise zu beachten?

M.M.: Die Verträge mit den Kunden sollten so flexibel formuliert werden, dass gewisse Preisanpassungen möglich sind, wenn sich zwischen Vertragsabschluss und Lieferung die Bedingungen ändern. Das gilt beispielsweise in der Baubranche, wo die Preise von wichtigen Materialien wie Holz, Aluminium oder Bitumen rasch und markant ändern: Bei langfristigen Ausschreibungen sollte in den Offerten eine Bandbreite definiert werden, in der sich die Preise der Inputmaterialien bewegen dürfen. Erhöhen sich die Kosten stärker, passt sich der Offertpreis entsprechend an. Voraussetzung für ein flexibles Pricing ist in jedem Fall ein zuverlässiges Kalkulationsmodell. 

 

«Als Folge des erhöhten Investitionsbedarfs spielt die Finanzierungsplanung eine zentrale Rolle.»

Marco Meier 

 

S.D.: Das Aufzeigen von relevanten Kostentreibern schafft bei den eigenen Kunden zudem Transparenz. Sie können verstehen, wie der neue Preis zustande kommt. Es ist ungemein wichtig, dass KMU mit ihren Kundinnen und Kunden offen und transparent kommunizieren. Auf keinen Fall darf der Eindruck entstehen, dass ein Unternehmen die Inflation ausnutzt, um seine eigene Marge auszudehnen. 

 

Welche Finanzierungsfragen beschäftigten die Firmenkunden aktuell im Zusammenhang mit den Lieferketten?

M.M.: Ein wichtiges Thema gerade bei Investitionen zur Neuausrichtung der Lieferketten sind die gestiegenen Zinsen und die damit erhöhten Finanzierungskosten. Hier interessieren alternative Finanzierungsmöglichkeiten wie zum Beispiel Leasing. Generell spielt die Finanzierungsplanung als Folge des erhöhten Investitionsbedarfs eine zentrale Rolle. Weitere wichtige Fragestellungen sind unter anderem die Absicherung von Lieferungen oder Leistungen durch Garantien sowie erhöhte Fremdwährungsrisiken: Keine Devisenstrategie zu haben, ist brandgefährlich und setzt Unternehmerinnen und Unternehmer potenziellen Risiken ausserhalb des Kerngeschäfts aus.

Marco Meier, Leiter Geschäftsentwicklung und Spezialprodukte Firmenkunden

Marco Meier ist Leiter Geschäftsentwicklung und Spezialprodukte Firmenkunden bei Raiffeisen Schweiz. Er verfügt über langjährige Erfahrung und fundiertes Fachwissen im Bereich Firmenkunden und kennt die Herausforderungen der Schweizer KMU aus seiner täglichen Arbeit.

Spiros Doukas, Geschäftsführer RUZ

Spiros Doukas hat langjährige Erfahrung als Unternehmer in zahlreichen KMU und Grossunternehmen. Seit Juli 2022 ist er Geschäftsführer des Raiffeisen Unternehmerzentrums RUZ. Seine Beratungsschwerpunkte sind Unternehmensführung, Digitalisierung sowie Verkauf & Marketing.