So schwanken die Devisenkurse 2023

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Im Jahr 2022 haben die wirtschaftlichen und politischen Turbulenzen die Wechselkurse auf Achterbahnfahrt geschickt. Wie es 2023 weitergeht und wie KMU ihre Devisenstrategien kurzfristig anpassen können, erklären Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff und Devisen-Spezialist Rosario Loria im Interview.

 

Im 2022 schwankte der Euro-Franken-Kurs innerhalb von sechs Monaten um 11 Prozent. Beim Dollar lag die Differenz zwischen Höchst- und Tiefstand im Verhältnis zum Schweizer Franken bei 8 Prozent. War 2022 im langfristigen Vergleich ein volatiles Jahr oder sind solche Schwankungen normal?

Rosario Loria: In Bezug auf den Euro war das Jahr sicher sehr volatil. Solche extremen Schwankungen hatten wir seit Langem nicht.

Martin Neff: Genaugenommen nicht seit 2015. Damals hob die Schweizerische Nationalbank überraschend den Euro-Mindestkurs auf. Im Mittel wertete sich der Schweizer Franken gegenüber dem Euro jährlich um 3 bis 4 Prozent auf. Mehr als 10 Prozent in sechs Monaten ist ausserordentlich viel.

 

Bleiben die Wechselkurse auch 2023 so stark schwankend?

M.N. Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber realistischerweise dürften wir nochmals ein turbulentes Jahr erleben. Wichtige Faktoren sind der Ukrainekrieg, aber auch die exorbitant hohe Teuerung in der Eurozone und die damit verbundenen Rezessionsängste. Die Europäische Zentralbank wird es extrem schwer haben, ihre Geldpolitik so fein zu justieren, dass das Wachstum nicht gedrosselt und gleichzeitig die Inflation gebremst wird. Ich gehe davon aus, dass sie schliesslich stärker auf das Wachstum fokussieren wird. Die Inflationsdifferenz zur Schweiz dürfte damit hoch bleiben und sich im Euro-Franken-Kurs niederschlagen.

Sie erwarten also eine weitere Aufwertung des Schweizer Frankens?

M.N. Richtig. Neben der grossen Inflationsdifferenz gibt es noch zwei weitere fundamentale Treiber für diese Entwicklung: Der Handelsbilanz- und Leistungsbilanzüberschuss der Schweiz, der seit der Finanzkrise verstärkt im Inland und damit in Schweizer Franken gebunkert wird. Und die tendenziell hohe Standortqualität in unserem Land. Alle drei Faktoren sorgen dafür, dass der Franken auch mittel- und längerfristig zur Stärke neigt.

 

Gibt es Branchen und Unternehmenskategorien, die speziell unter den starken Wechselkursschwankungen leiden?

R.L. Davon sind alle Unternehmen betroffen, die Waren oder Dienstleistungen importieren oder exportieren – also gut jedes zweite Schweizer KMU. Wechselkursschwankungen erschweren für diese Betriebe die Budgetierung und Planung und erhöhen damit die Risiken.

 

Wie können sich KMU gegen die erwarteten Schwankungen absichern und ihre Planungssicherheit erhöhen?

R.L.: Ein erster, einfacher Schritt ist die Definition eines Budgetkurses, in dem bereits eine Sicherheitsmarge eingerechnet ist. Zweitens empfehlen wir KMU, den Kurs für einen Teil ihrer Fremdwährungstransaktionen mittels Devisentermingeschäften vorab abzusichern. Was viele nicht wissen: Auch wenn die Geldströme zum Beispiel bereits Anfang 2023 über das ganze Jahr abgesichert werden, bindet dies keine Franken-Liquidität. Das passiert erst kurz vor Ausführung der Transaktionen.

Und was, wenn sich die Währungen anders entwickeln als in der Planung angenommen? Was können KMU im Jahresverlauf kurzfristig tun?

R.L.: KMU sollten in ihrer Devisenstrategie nie alles auf eine Karte setzen. Ich rate Unternehmerinnen und Unternehmern, rund 50 Prozent ihres Devisen-Exposures, also ihrer erwarteten Einnahmen und Ausgaben in Fremdwährungen, mit Termingeschäften fix abzusichern. Die andere Hälfte kann flexibel auf Tagesbasis (Spot) oder mit limitierten Stop-Loss-Ordern zur Vermeidung von zu grossen Abweichungen gewechselt werden. Mit einer solchen Strategie reduzieren KMU zum einen ihre Risiken und erhöhen die Planungssicherheit, behalten zum anderen aber die Chance, von positiven Kursentwicklungen zu profitieren.

 

«Unternehmen sollten in ihrer Devisenstrategie nie alles auf eine Karte setzen.»

Rosario Loria, Devisen-Spezialist Firmenkunden, Treasury & Markets, Raiffeisen Schweiz

 

Kann man angesichts der aktuellen Turbulenzen am Devisenmarkt sagen: KMU, die jetzt noch keine Devisenstrategie haben, sollte sich nun unbedingt eine zulegen?

R.L.: Das ist immer so eine Sache. Sinkt zum Beispiel der Euro, jubeln Importeure ohne Absicherung, da sie von tieferen Einkaufspreisen profitieren. Aber das ist Gambling. Ohne bewusste Devisenstrategie und Absicherung müssen Unternehmen mit schmerzhaften Profitabilitätseinbussen rechnen, die existenzbedrohend sein können. Und wie schon gesagt: Eine gute Devisenstrategie lässt immer auch eine Hintertür zur Nutzung von Chancen offen. 

 

«Währungsabsicherung ist aktuell für Schweizer KMU schon fast ein Schnäppchen.» 

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen Schweiz

 

M.N.: Und man muss auch sagen: Aufgrund der historisch tiefen Zinsdifferenz zwischen der Schweiz und dem Euroraum ist mindestens die Absicherung der Eurogeschäfte für Schweizer Unternehmen derzeit günstig. Um nicht zu sagen ein Schnäppchen.

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen Schweiz

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen Schweiz

Martin Neff ist seit April 2013 Chefökonom der Raiffeisen-Gruppe. Er ist zudem als Fachrat und Dozent im Institut für Finanzdienstleistungen (IFZ) in Zug tätig und lehrt an der Donau-Universität in Krems, Österreich, Immobilienökonomie.

Rosario Loria, Devisenexperte, FX Advisory Raiffeisen Schweiz

Rosario Loria, Devisenexperte, FX Advisory Raiffeisen Schweiz

Rosario Loria hat in seiner mehr als 20-jährigen Karriere bei Raiffeisen verschiedene Aufgaben im Treasury, Zinsenhandel und FX-Sales wahrgenommen. Aktuell betreut er in der ganzen Schweiz Raiffeisenbanken und DAC-Kunden (Privat und Firmenkunden) auf dem Thema Devisenmanagement.