Wenn jemand stirbt, lebt sein «digitales Ich» weiter

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Wenn jemand stirbt, lebt sein «digitales Ich» weiter. Daran denke heute fast niemand, weiss Nadine Stutz, Expertin Digitale Kommunikation. In einem Interview berichtet sie über die Tatsache, dass es neben dem irdischen Besitz auch ein virtuelles Erbe zu regeln gilt – und was vorzukehren ist.

Nadine Stutz
Nadine Stutz, Expertin Digitale Kommunikation

Facebook hat mich kürzlich dazu aufgefordert, jemandem zum Geburtstag zu gratulieren, der vor ein paar Monaten gestorben ist. Das hat mich erschreckt.

Nadine Stutz: Solches kommt leider oft vor. Letztes Jahr sind allein in der Schweiz rund 4'000 Facebook-User gestorben – viele von ihnen leben im Internet weiter. Das zu ändern, ist für die Hinterbliebenen oftmals sehr schwer.

Inwiefern?

N. S.: Ohne Login-Informationen bleibt der Computer eines verstorbenen Menschen eine Blackbox. Das gleiche gilt für E-Mail-Konten, Blogs, Mitgliedschaften in sozialen Netzwerken, Fotos oder Bezahldienste wie Netflix oder Spotify. Ohne Zugangsdaten ist es für Angehörige schwierig bis unmöglich, in diese Konten hinein zu kommen, sie zu verwalten oder eine Löschung zu bewirken.

 

Das kann teuer werden …

N. S.: Das ist ein Aspekt von vielen. Verträge, die man online abschliesst, sind real, die kosten echtes Geld, haben Vertragsbedingungen, Kündigungsfristen etc. und rechtlich reale Konsequenzen. Wer viel über E-Mail regelt, sollte sich daher unbedingt bewusst darüber sein, dass es wichtig ist, Nachkommen den Zugriff zu sichern. Denn wenn Erben nicht wissen, dass und welche Geschäftsbeziehungen online existieren, erfahren Sie von bestehenden Forderungen oft erst, wenn der Pöstler eine Betreibung abliefert.

 

Ihr Rat?

N. S.: Rechtzeitig eine Vertrauensperson bestimmen, die sich um die persönlichen Daten kümmert. Dazu gehört, dieser Person auch alle Internetzugänge und die dazugehörigen Verträge mit allen Rechten und Pflichten zu überschreiben. Kurz: Sie sollten das digitale Erbe frühzeitig regeln.

 

Was beinhaltet das digitale Erbe?

N. S.: Alles, was ein Mensch online besitzt. Dazu gehören Fotos, Familienfilme, Konten auf Social-Media-Plattformen, auch digitale Währungen und reservierte Domain-Namen. iTunes und eBooks gehören nicht dazu? Musik und Bücher, die man im Internet gekauft hat, sind bislang nicht übertragbar, da sie über eine Nutzungslizenz gekauft werden und diese erlischt, wenn der Nutzer stirbt. Wenn die Erben die Login-Daten nicht kennen, geht das alles einfach verloren. Es ist doch erstaunlich: Testamentarisch festzulegen, was nach dem Tod mit dem Hab und Gut zu geschehen hat, hat seit ewig Tradition und ist gang und gäbe. Aber mit seinen Daten? Es fehlt das Bewusstsein, dass digitale Daten heute zu einem Menschen gehören wie sein Auto und sein Bankkonto.

 

Für Auto und Bankkonto gibt es das Erbrecht. Wie ist die rechtliche Situation in Bezug auf das digitale Erbe?

N. S.: Man ist sich nicht einig. Die meisten Juristen sagen, der digitale Nachlass falle unter das Erbrecht, Daten seien wie Briefe und gehörten daher in die Erbmasse. Plattform-Anbieter berufen sich dagegen gern darauf, Daten gehörten dem Nutzer persönlich und verwirkten mit seinem Tod.

 

Heisst: Es gibt keine einheitlichen Regeln.

N. S.: Noch nicht. Aber es werden Lösungen gesucht. In den USA zum Beispiel gab es den Vorschlag, den Erben den Zugang zu allem einfach zu gewähren, ausser der Verstorbene hat ein Testament verfasst und darin etwas anderes vorgesehen. Dagegen sind die Provider Sturm gelaufen, etwa unter Berufung auf Persönlichkeitsschutz und andere Vertragsklauseln. Daraufhin wurde aus der ursprünglichen Idee die aktuelle Praxis: Provider bestimmen selbst, wie und ob Daten bekannt gegeben werden – oder eben nicht.

 

Kontoinhaber haben bei Providern nichts zu bestimmen?

N. S.: Die Entscheidung, ob Angehörige Zugangsdaten erhalten, liegt bei den Anbietern, einen generellen Rechtsanspruch gibt es nicht. Klar ist, dass es nicht Sache von Plattform-Betreibern sein kann, zu wissen, wer stirbt. Überhaupt dreht sich in der Diskussion um Daten ja fast alles um Sicherheit, Datenschutz und Dateneinsatz – nur zu Lebzeiten. Der Fokus ist darauf gerichtet, welches Unternehmen welche Daten hat und was es damit macht. Was damit geschieht, wenn man nicht mehr lebt, wird kaum diskutiert.

 

Woran liegt das?

N. S.: Mangelndes Bewusstsein bei den Nutzern, aber auch bei vielen Plattformbetreibern. Grosse wie Facebook und Google haben aber inzwischen Features installiert, die ihren Nutzern die Möglichkeit geben zu bestimmen, was im Fall des Todes zu geschehen hat. Bei Facebook kann jemand bestimmt werden, der den Antrag auf Profil-Löschung stellen darf, wenn man gestorben ist. Oder festlegen, dass das Nutzerprofil über den Tod hinaus bestehen bleibt, aber eingefroren – im Facebook-Jargon in Gedenkzustand versetzt – wird. Google wiederum bietet für seine Dienste den sogenannten Konto-Inaktivitätsmanager an. Da kann in den Privatsphäre-Einstellungen festgelegt werden, was zu geschehen hat, wenn man über eine gewisse Zeit nicht mehr auf der Plattform aktiv war.

 

Wie sieht die rechtliche Situation in der Schweiz aus?

N. S.: Das Parlament hat 2014 den Vorstoss «Richtlinien für den digitalen Tod» überwiesen, wo es darum geht, das Erbrecht in die virtuelle Welt zu übertragen, womit Profile bei Plattformen wie Twitter und Instagram gleich vererbt werden können wie Schmuck und Geld. Behördliche Mühlen mahlen bekanntlich langsam und es können noch Jahre vergehen, bis eine Lösung gefunden ist. Daher liegt es vorderhand noch an jedem einzelnen selbst, sich um seinen digitalen Nachlass zu kümmern. Dafür braucht es erstens ein digitales Inventar mit den Details der eigenen Online-Existenz. Zweitens ist zu definieren, was damit zu geschehen hat und drittens ist ein digitaler Nachlassverwalter zu ernennen.

 

Die Erbschaft von Postfächern und E-Mail-Konten sollte also unbedingt zu Lebzeiten geregelt werden.

N. S.: Ja, etwa indem man entsprechendes veranlasst im Testament. Oder mit einem notariell beglaubigten Schriftstück, das man im Safe oder bei der Bank sicher hinterlegt. Es gibt aber auch einfachere Möglichkeiten.

 

Zum Beispiel?

N. S.: Man kann seine Passwörter auf einer eigenen Cloud sicher verwalten. Das Zugangspasswort zu dieser persönlichen Cloud kann an einem sicheren Ort hinterlegt werden für den Menschen, dem man seinen digitalen Nachlass überantworten will. Im Todesfall erhält diese Person dann das Passwort zu den Passwörtern – und damit Zugang zu allem.

 

Noch einfacher wäre es, alle Passwörter in ein Büchlein zu notieren und dieses gut zu versorgen.

N. S.: Einfacher ja, birgt aber das Risiko, dass diese Liste nicht immer auf dem neuesten Stand ist. Ich zum Beispiel wechsle gewisse Passwörter bis zu zweimal im Monat und bezweifle, dass ich jedes Mal daran denken würde, meine Papierliste nachzuführen. In meiner Cloud geschieht das automatisch, da sind alle Passwörter aktuell.

 

Die Cloud ist vielen nicht geheuer, eine handgeführte Liste zu unsicher. Gibt es andere Ansätze?

N. S.: In der Finanzindustrie wird intensiv darüber nachgedacht, für Kunden künftig einen Datensafe zur Verfügung zu stellen. Banken und Versicherungen sind dafür ja geradezu prädestiniert. Sicherheit gehört zum Selbstverständnis und diese Unternehmen leben von Vertrauen. Sie verwalten bereits heute einen guten Teil unseres Lebens, vom Testament über den Schmuck bis hin zu unserem Geld. Warum also nicht auch unsere Daten? Auch über solche Dinge sollte man heute mit seinem Bankberater sprechen.

 

Was, wenn nichts dergleichen erfolgt ist zu Lebzeiten?

N. S.: Da müssen die eh schon stark belasteten Hinterbliebenen in detektivischer Kleinarbeit Bankauszüge und Kreditkartenabrechnungen durchkämmen und das Online-Leben des Verstorbenen Puzzlestück für Puzzlestück zusammensetzen. Und sich dann mit Sterbeurkunde oder Erbschein bei den einzelnen Dienstanbietern und Vertragspartnern melden und auf deren Kooperation hoffen.

 

Hoffen?

N. S.: Plattformanbieter gehen mangels einheitlicher Regelungen sehr unterschiedlich vor. Die einen rücken bei Vorweisen von Sterbeurkunden oder Erbschein Zugangsdaten heraus, andere löschen das Konto, geben aber nichts bekannt. Und einige wenige brennen die Daten des Verstorbenen auf eine CD oder laden sie auf einen Stick, bevor sie das Konto löschen.

 

Im Sinne einer Zusammenfassung: der vorbildliche digitale Mensch?

N. S.: Er regelt seinen digitalen Nachlass wie seinen irdischen. Er erstellt eine notariell beglaubigte Vollmacht für ein Familienmitglied, einen Freund oder den Vermögensberater, in der explizit erwähnt ist, dass diese Person Zugang zum digitalen Nachlass erhält und diesen auch verwalten darf. So können Online-Vertragsbeziehungen geregelt, Konten geschlossen – und nicht zuletzt auch vor Betrug oder Missbrauch geschützt werden.

 

Entsprechen Sie selbst diesem Vorbild?

N. S.: Bis zu einem gewissen Grad schon: Ich verwalte meine Passwörter in meiner Cloud. Zwei Vertrauenspersonen kennen das Passwort zur Cloud. Und ich bin daran, bei den Plattformen, auf denen ich aktiv bin, herauszufiltern, was mit meinen Daten geschieht, sollte ich sterben und werde regeln, was sich regeln lässt. Ich möchte keinesfalls, dass meine Lieben nach meinem Tod noch über Tweets von mir stolpern.