So werden Schweizer KMU noch widerstandsfähiger

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Die Schweizer KMU sind widerstandsfähig, blicken aber verhaltener in die Zukunft als noch vor zwei Jahren – das zeigt die KMU Mittelstandstudie 2023. Die Raiffeisen-Experten Philippe Obrist und Spiros Doukas erläutern im Interview, welche Sorgen die KMU derzeit umtreiben und wie sie ihre Resilienz zusätzlich steigern können.

 

Seit drei Jahren trotzen die Schweizer KMU erfolgreich Krise um Krise. Die Mittelstandstudie 2023 hat deshalb ihre Widerstandsfähigkeit genauer untersucht. Wie resilient sind unsere Unternehmen?

Philippe Obrist (PO): Fast zwei Drittel der rund 380 befragten KMU sehen sich grundsätzlich gut bis sehr gut auf aktuelle und künftige Krisen und Herausforderungen vorbereitet. Ihr Optimismus ist aber etwas gebremst: Während 2021 noch 76 Prozent der befragten KMU ihre künftige wirtschaftliche Lage als gut bis sehr gut beurteilt haben, sind es aktuell 62 Prozent. In den letzten drei Jahren relativ stabil geblieben ist der Anteil jener Schweizer KMU, die von einer schlechten oder sehr schlechten Lage ausgehen.

 

Was sind die Gründe für die gedrücktere Stimmung?

Spiros Doukas (SD): Die meisten KMU haben die Pandemie erstaunlich gut gemeistert. Doch dann kam der Ukrainekrieg, der die Unternehmen bis heute belastet: Die hohen Energie- und Rohstoffpreise bleiben auch 2023 Herausforderung Nummer 1. Hinzu kommt die fortwährende Inflation im Euroraum und in Nordamerika. Diese Preisentwicklungen und Volatilitäten werden die KMU wohl noch eine Zeitlang beschäftigen.

PO: Zusammen mit dem Fachkräftemangel, das zeigt auch die Mittelstandstudie. Eine grosse Zahl an Babyboomern gehen bald in Rente, geburtenschwache Jahrgänge treten ins Arbeitsleben ein. Als weiteren Unsicherheitsfaktor geben die KMU die angespannte geopolitische Lage an. Hier dürfte insbesondere der potenzielle Taiwan-Konflikt zwischen China und den USA eine Rolle spielen. In Bezug auf die Stimmung muss man aber relativieren: Diese ist zwar etwas getrübt, aber noch immer optimistisch. Über 60 Prozent der KMU stufen ihre aktuelle wirtschaftliche Situation als gut bis sehr gut ein.

 

«Die Stimmung ist zwar etwas getrübt, aber noch immer optimistisch.»

Philippe Obrist, Leiter Firmenkunden Raiffeisen Schweiz

 

Wie gehen die KMU gegen die hohen Rohstoff- und Energiepreise vor?

SD: Die Unternehmen – gemäss Studie 63 Prozent – haben ihre Verkaufspreise erhöht. Das Umsetzen am Markt braucht allerdings Zeit, zum Beispiel für Verhandlungen mit grösseren Kundinnen und Kunden, die im Vorfeld stattfinden müssen. Durch die Verzögerung entstehen Lagerbindungskosten und es drohen Liquiditätsengpässe. Deshalb ist es wichtig, dass KMU gleichzeitig auch ihre Kosten senken, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Laut Mittelstandstudie haben 35 Prozent dafür neue, günstigere Lieferanten gesucht. Eine weitere Möglichkeit wäre die Automation gewisser Prozesse, etwa mithilfe von künstlicher Intelligenz – Stichwort ChatGPT. Insgesamt sehe ich hier in meinem Praxisalltag viel Bewegung.

Gleichzeitig geben in der Studie mehr als die Hälfte der KMU an, nur mittelmässig auf Preissteigerungen für Energie, Rohstoffe und Material vorbereitet zu sein. Beim Fachkräftemangel sind es sogar fast 60 Prozent. Warum ist das so?

SD: Auf steigende Energie- und Rohstoffpreise können sich KMU nur bedingt vorbereiten: Nicht immer gelingt die Preisabwälzung. Das hängt von der aktuellen Marktsituation und insbesondere mit der Grösse des Unternehmens zusammen. Kleinere Betriebe haben eine geringere Verhandlungsmacht – und damit einen schwereren Stand. Zudem haben wir gerade in den letzten zwei Jahren gesehen, wie volatil Preise sein können: Auf plötzliche Schwankungen lässt es sich kaum vorbereiten. Beim Fachkräftemangel sieht es allerdings anders aus.

 

Wie können sich KMU hier besser wappnen?

SD: Indem sie neue Wege beschreiten. Als Unternehmen muss man dort sein, wo sich mögliche Kandidatinnen und Kandidaten aufhalten. Social Media, speziell LinkedIn, bieten für die Personalrekrutierung von Führungs- und Fachkräften deshalb grosse Chancen. Aber auch TikTok und Snapchat eignen sich gut für die Rekrutierung von Lernenden. Ebenso wichtig sind attraktive Löhne und Arbeitsbedingungen. Hier setzen die Unternehmen allerdings bereits vieles um.

 

«Gegen den Fachkräftemangel sollten KMU auch neue Wege in der Rekrutierung beschreiten.» 

Spiros Doukas, Geschäftsführer Raiffeisen Unternehmerzentrum RUZ

 

Dennoch: Auf Cyberrisiken sind die KMU laut Studie zum Beispiel wesentlich besser eingestellt. Warum? 

PO: In den letzten Jahren wurden Unternehmen vermehrt Ziel von Hackerangriffen. Erinnern wir uns zum Beispiel an Stadler Rail 2020: Cyberkriminelle haben vertrauliche Geschäftsdaten gestohlen und den Schienenfahrzeug-Hersteller erpresst. Das widerfährt auch kleineren Unternehmen, bleibt aber oft unerwähnt.

SD: Die Vorfälle in den Medien haben die KMU wachgerüttelt: Sie haben Massnahmen ergriffen – einerseits technische, andererseits organisatorische. Dazu gehören unternehmensweite Passwortregelungen, konkrete Pläne für den Krisenfall und klare Verantwortlichkeiten.

 

Als zentralen Faktor für betriebliche Widerstandsfähigkeit nennen die befragten KMU den Standort Schweiz. Was sind die Hintergründe? 

PO: Die KMU schätzen das stabile wirtschaftliche und politische Umfeld. Dazu gehört auch eine Nationalbank, die für Preisstabilität sorgt. Hinzu kommt die hohe Rechtssicherheit. Diese hat mit der Zwangsübernahme der CS durch die UBS zwar ein paar Schrammen genommen. Am stabilen Rechtsrahmen für KMU hat das allerdings nichts geändert.

 

Weniger stabil sind die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU. Was erwarten KMU hier von der Politik?

PO: Klare Rahmenbedingungen. Für Unternehmen gibt es nichts Schlimmeres als unklare oder sich ständig verändernde Regeln. Nehmen wir beispielsweise die sichere Stromversorgung der Schweiz; da drängen sich primär drei Handlungsfelder auf: Zubau an inländischer Produktionskapazität, schnellere Bewilligungsverfahren und ein Stromabkommen mit der EU. Aus Sicht der Schweizer KMU ist der Auftrag an die Politik ist daher unmissverständlich: Die wirtschaftlichen und rechtlichen Beziehungen zum wichtigen Absatzmarkt EU sollen endlich stabilisiert werden.

Philippe Obrist
Philippe Obrist

Philippe Obrist ist seit 30 Jahren in der Finanzindustrie tätig, davon war er 15 Jahre bei der UBS und fünf bei der Banque Cantonale Vaudoise in Lausanne. Seit Juli 2023 leitet er schweizweit den Bereich Firmenkunden Raiffeisen Schweiz und trägt dazu bei, die Beziehungen zu rund 220'000 Schweizer Unternehmen weiter zu stärken und auszubauen.

Spiros Doukas
Spiros Doukas

Spiros A. Doukas hat langjährige Erfahrung als Unternehmer in zahlreichen KMU und Grossunternehmen. Seit Juli 2022 ist er Geschäftsführer des Raiffeisen Unternehmerzentrums RUZ. Seine Beratungsschwerpunkte sind Unternehmensführung, Digitalisierung sowie Verkauf & Marketing.