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Knappheit stoppt Individualisierung
- Während die Wohnungsleerstände weiter in Rekordtempo sinken, steigen die Angebotsmieten immer stärker
- Statt durch bauliche Innenverdichtung, erfolgt die Verdichtung unfreiwillig über den Preis – der Wohnraummangel zwingt die Menschen näher zusammenzurücken
- Am Eigenheimmarkt verdichten sich die Anzeichen einer Abkühlung und rückläufiger Eigenheimpreise ab 2024
St.Gallen, 9. November 2023. Der Schweizer Wohnungsmarkt kippt mit hoher und historisch einmaliger Geschwindigkeit vom Überangebot in den Wohnungsmangel. Trotzdem lässt eine bauseitige Reaktion weiterhin auf sich warten, was für eine anhaltende Angebotsverknappung sorgt. Hinzu kommt, dass die raumplanerisch geforderte Innenverdichtung massiv durch strukturelle Probleme erschwert wird. «Die Lösung dieser Probleme wird Jahre, wenn nicht Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Obwohl absehbar und hausgemacht, wurde die Entwicklung zu spät erkannt. Darum besteht jetzt dringender Handlungsbedarf, um die bereits nicht mehr abwendbaren Folgen wenigstens abzumildern», sagt Fredy Hasenmaile, Chefökonom von Raiffeisen Schweiz. Die Fakten zum Wohnungsmarkt sprechen eine deutliche Sprache. Die Zahl der verfügbaren Mietwohnungen hat sich innert zwei Jahren mehr als halbiert. Mietwohnungen sind im Schnitt nur noch 27 Tage auf Immobilienportalen ausgeschrieben. Das ist eine Woche weniger als noch vor einem Jahr. Die Leerstände haben im laufenden Jahr das mietzinsneutrale Niveau unterschritten. Das heisst, die Marktmieten steigen schneller als das allgemeine Preisniveau. Als Folge hat sich das jährliche Wachstum der Angebotsmieten auf fast vier Prozent erhöht.
Verdichtung über den Preis
Eine zentrale Ursache für die Wohnungsknappheit ist die mangelnde Innenverdichtung. Das hat gravierende Folgen, zumal die Innenverdichtung gemäss Strategiewechsel bei der Raumplanung eine ausreichende Wohnraumproduktion sicherstellen sollte. Denn das neue Raumplanungsgesetz hat das Einzonen von Bauland erheblich erschwert und teilweise sogar verunmöglicht. Die Liste der Gründe, weshalb die Innenverdichtung deutlich zu langsam Fahrt aufnimmt, ist lang: Einsprachenflut, Überregulierung im Baubereich, Hortung von Bauland, fehlender Wille zu Aufzonungen in den Grossstädten und zuletzt auch steigende Baupreise und Finanzierungskosten. Nun zeigen sich die bereits seit längerem absehbaren Auswirkungen dieser Fehlentwicklungen. Weil das Angebot nicht auf die rege Nachfrage reagiert, passiert die Verdichtung zwangsweise auf der Nachfrageseite – über den Preis. Aufgrund des fehlenden Angebots und der starken Preisanstiege haben die Haushalte begonnen, ihren Flächenkonsum einzuschränken und innerhalb ihrer Wohnungen zusammenzurücken. Damit einher gehen Wohlstandsverluste. Dazu zählen, abgesehen von einer stetig höheren Wohnkostenbelastung, auch Unannehmlichkeiten wie etwa eine mühsame und langwierige Wohnungssuche, einschneidende Kompromisse bezüglich Flächenbedarf, Lagequalität und Belegungsdichte oder längere Pendelwege. Diese werden sich weiter verschärfen, solange weiterhin jedes Jahr 10'000 bis 15'000 Wohnungen zu wenig gebaut werden. «Die dadurch verursachten Wohlstandsverluste sind alles andere als gerecht verteilt. Bestandsmieter sind geschützt und profitieren teilweise von unfair tiefen Mieten. Die Zeche zahlen letztlich all jene Mieterinnen und Mieter, die aufgrund ihrer Lebensumstände umziehen müssen», so Hasenmaile.
Eigenheimmarkt verblüffend robust
Auch fast zwei Jahre nach dem Ende der Tiefzinsphase trotzen die Preise für selbstgenutztes Wohneigentum der Zinswende. Die seit längerem erwartete markante Abkühlung bei den Eigentumspreisen ist erst ansatzweise beim Stockwerkeigentum auszumachen. Doch die Anzeichen einer Abkühlung verfestigen sich. Die Nachfrage bleibt deutlich hinter ihrem Niveau der letzten Jahre zurück und es finden weniger Eigenheimtransaktionen statt. Dagegen steigt die Zahl der zum Verkauf angebotenen Objekte weiterhin leicht an, genauso wie die Zahl leerstehender Eigenheime. In gewissen Regionen sind die Eigentumspreise erstmals auch auf Jahresbasis leicht gesunken. So etwa die Stockwerkeigentumspreise in den Regionen Bern und Ostschweiz. Weil jedoch das absolute Niveau von Angebot und Leerständen auf dem Eigenheimmarkt noch immer sehr tief ist, hat sich bis anhin das zuvor äusserst dynamische Preiswachstum nur normalisiert. «Alle Anzeichen deuten damit auf eine sanfte Landung des in der Vergangenheit phasenweise überhitzten Eigenheimmarktes hin. Zu einer solchen zählen wir auch einige Quartale mit moderat rückläufigen Eigenheimpreisen, was wir ab 2024 erwarten», sagt Fredy Hasenmaile.
Homeoffice-Revolution am Büroflächenmarkt sichtbarer
Flexible Arbeitsmodelle sind aus dem Arbeitsalltag vieler Bürobeschäftigten kaum mehr wegzudenken. Am Schweizer Büromarkt war von dieser sprunghaften Beschleunigung des Strukturwandels lange wenig zu spüren. Nun zeigen sich aber erste Anzeichen, dass die Mieter ihren Flächenbedarf nicht nur überdenken, sondern auch tatsächlich anpassen. Die aufgrund von Homeoffice flächendeckend tiefere Belegung der Büros bietet ein offensichtliches Einsparpotenzial. Im Zuge der sich eintrübenden Konjunktur dürfte der Druck auf die Flächennachfrager steigen, diese brachliegenden Einsparmöglichkeiten auch zu nutzen. «Spätestens seit sich auch hierzulande die Zeichen einer Konjunkturabschwächung verdichten, steht das vielgehörte Argument, dass die Raumkosten nur einen mittleren einstelligen Prozentsatz der Gesamtkosten eines Unternehmens ausmachen, und damit das Einsparpotenzial gering ist, auf tönernen Füssen», erklärt Hasenmaile. Für die bisher eher träge Reaktion des Büroflächenmarktes auf den durch die Corona-Pandemie beschleunigten Strukturwandel, sind eher eine eingehende Auslotungsphase des nötigen Flächenbedarfs sowie lange Vertrags- und Kündigungsfristen verantwortlich. Da in den nächsten fünf Jahren fast drei Viertel aller befristeten Büromietverträge auslaufen, wird sich bald zeigen, wie gross der Homeoffice-Effekt tatsächlich ist.