Schweizer Wirtschaft 2024: Kaltstart in ein anspruchsvolles Jahr

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  • Unternehmertum
05.12.2023

Schweizer Wirtschaft 2024: Kaltstart in ein anspruchsvolles Jahr

  • Raiffeisen-Ökonomen rechnen 2024 mit einem weiteren Rückgang der Inflation auf 1,5 Prozent
  • Das BIP-Wachstum wird mit 0,8 Prozent erneut unterdurchschnittlich erwartet
  • Die Schweizerische Nationalbank dürfte in ihrer Zinspolitik bis Ende 2024 wieder den Rückwärtsgang einlegen

St.Gallen, 5. Dezember 2023. Die Schweizer Wirtschaft wird mit nur wenig Schwung ins neue Jahr starten. Der Industriesektor muss mangels Neuaufträgen die Produktion weiter drosseln und der Kaufkraftverlust dämpft die Konsumdynamik. Ausbleibende Impulse werden das Wirtschaftsjahr 2024 charakterisieren, die Schweizer Wirtschaft dürfte nur mit halber Kraft wachsen.

 

Inflation wieder unter Kontrolle

Die Schweizer Inflationsrate ist bereits zur Jahresmitte 2023 wieder unter die angestrebte Marke von weniger als zwei Prozent gefallen. Zum Jahreswechsel werden verzögerte administrierte Preisanpassungen, vor allem bei den Miet- und Strompreisen, die Inflation nochmals ansteigen lassen. Administrierte Preise sind vom Staat oder von einer Regulierungsbehörde bestimmte Preise, wie etwa der Referenzzinssatz oder der Preis für Elektrizität. Dies sollte jedoch nichts an der generellen Abschwächung des Preisauftriebs ändern. Die Unternehmen planen sowohl in der Industrie als auch im Handel und bei Dienstleistungen keine stärkeren Preiserhöhungen mehr. Der Kostenschub in der Beschaffung hat sich abgeschwächt. Zudem wird das erwartete Lohnwachstum von durchschnittlich gut zwei Prozent die Schweizer Reallöhne im Jahr 2024 kaum steigen lassen. Die Kaufkraft dürfte bei vielen Haushalten, unter anderem wegen der Prämienerhöhung der obligatorischen Krankenversicherung und den voraussichtlich erneut steigenden Mietzinsen, sogar sinken. Das hat eine inflationsdämpfende Wirkung. Entsprechend rechnen die Raiffeisen-Ökonomen 2024 mit einem Rückgang der Inflation auf 1,5 Prozent im Jahresmittel.

 

Industrie wartet auf Ende der Auftragsflaute

Nach der Pandemie haben viele Schweizer Industrieunternehmen einen Auftragsschub verbucht. Dieser Nachholeffekt brach im laufenden Jahr wegen der Abkühlung der globalen Nachfrage ein. Zwar konnten die sehr gut gefüllten Auftragsbücher die Produktionstätigkeit bis zuletzt noch stabilisieren, bleiben die Neuaufträge weiterhin aus, drohen nach Einschätzung von Raiffeisen-Chefökonom Fredy Hasenmaile jedoch stärkere Produktionskürzungen: «Die Auftragspolster sind bei immer mehr Unternehmen aufgebraucht. Die Industrie – nicht nur in der Schweiz – wartet daher sehnlichst auf neue Aufträge», so Hasenmaile. Unter diesen Umständen hat sich die Nachfrage nach Arbeitskräften merklich verringert, wobei viele Unternehmen einen Stellenabbau erst einmal zu vermeiden versuchen, um einer künftigen Personalknappheit vorzubeugen. «Eine andauernde Auftragsflaute dürfte aber vor allem im verarbeitenden Gewerbe zu einer sinkenden Beschäftigung führen», ist Hasenmaile überzeugt. Kaum Impulse kommen von den Ausrüstungs- und Bauinvestitionen, da die steigenden Zinsen die Investitionstätigkeiten drosseln. Zudem belasten die trüberen Arbeitsmarktaussichten sowie der Druck auf die Kaufkraft auch die Konsumentenstimmung und somit den privaten Konsum.

 

Starker Franken zwingt Hersteller zur Flucht in höhere Wertschöpfung

Der starke Schweizer Franken erweist sich als weiterer Belastungsfaktor für die Industrie. Der langfristige Aufwärtstrend der Schweizer Währung hat sich in diesem Jahr fortgesetzt. Hilferufe aus der Exportwirtschaft waren bis zum Sommer allerdings kaum zu vernehmen. Die Aufwertung des Frankens wurde durch geringere Beschaffungskosten, vor allem für importierte Waren, und geringere Lohnanstiege als in anderen Währungsräumen ausgeglichen. «Der Franken tendiert langfristig und auch preisbereinigt kontinuierlich nach oben. Dies hält den Druck auf Branchen im internationalen Preiswettbewerb hoch», ergänzt Fredy Hasenmaile. Im Zuge der Abkühlung der Weltwirtschaft haben die Sorgen vor einem zu starken Franken bei den Herstellern wieder zugenommen.

Als Überlebensstrategie verlagern Schweizer Exporteure über die Branchen hinweg ihr Geschäft in Produktsegmente mit einer höheren Wertschöpfung. Differenzieren konnten sich insbesondere Unternehmen aus der Uhren- und Pharmabranche. Der Uhrensektor konnte seine internationale Stellung durch eine Verlagerung auf Luxusmodelle ausbauen. Besonders stark ist dabei die Nachfrage aus China gewachsen. Der Pharmasektor konnte das Angebot an hochwertigeren Produkten nochmals stärker vorantreiben, mit einem aussergewöhnlich starken Exportwachstum in die USA. Auch der Chemiesektor und die Branche der Präzisionsinstrumente haben ihre Positionen erfolgreich verteidigt. Weniger rosig sieht es in den Bereichen Papier, Glas, Holz oder Möbel aus. Diese Branchen konnten insgesamt den Anteil an hochwertigen Produkten nicht wesentlich erhöhen und mussten beziehungsweise müssen weiterhin Marktanteilsverluste hinnehmen. Diese schrumpfenden Branchen sind zudem stärker auf die EU ausgerichtet, was sich aufgrund der stärkeren Konjunkturabschwächung in den Nachbarländern zusätzlich negativ auf eine Erholung auswirkt. Die Deindustrialisierung der Schweiz, die durch die aussergewöhnliche Performance des Pharmasektors seit Jahren verschleiert wird, dürfte sich damit fortsetzen und zu einem erneut unterdurchschnittlichen Wachstum der Schweizer Wirtschaft von 0,8 Prozent im nächsten Jahr beitragen.

 

Zinssenkungen beginnen wohl 2024

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hatte bis in den Sommer hinein eine Fortführung der Zinsstraffung im September als sehr wahrscheinlich bewertet. Aufgrund des abnehmenden ausländischen Preisdrucks und des trüberen Konjunkturausblicks für die Schweiz hat sie aber überraschend ihren präventiven Straffungskurs verlassen und den Leitzins bei 1,75 Prozent belassen. Mit der Erwartung eines nur vorübergehenden Wiederanstiegs der Inflation sehen die Raiffeisen-Experten den Höhepunkt des Zinszyklus erreicht. Am langen Ende ist der Höhepunkt sogar bereits deutlich überschritten. Die Aussichten auf ein niedriger als ursprünglich erwartetes SNB-Leitzinsniveau haben die Langfristzinsen nach unten gedrückt. Zudem hat die Wahrscheinlichkeit zugenommen, dass aufgrund der ausgeprägten Konjunkturschwäche vor allem die Europäische Zentralbank in nicht allzu ferner Zukunft die Leitzinsen wieder senken wird. Eine Verringerung des Zinsabstands zur Eurozone würde aber den Aufwertungsdruck auf den Franken wieder erhöhen. Die Raiffeisen-Ökonomen rechnen mit einer ersten Zinssenkung der SNB bis Ende 2024, um dem Aufwertungsdruck auf den Franken entgegenzuwirken und die Schweizer Exportwirtschaft nicht unnötig weiterem Gegenwind auszusetzen.