

Der Zinsgipfel ist erreicht – was heisst das für Anleger?
Seit dem Beginn der Zinswende bläst den Finanzmärkten ein eisiger Wind entgegen. Wir gehen davon aus, dass die Leitzinsen ihren Höhepunkt erreicht haben und ab Sommer 2024 wieder schrittweise gesenkt werden.
Geld hat wieder einen Wert – Zinsanstieg über sämtliche Laufzeiten
Von 0.25% auf 5.50% innerhalb von 19 Monaten. Das ist massiv. Die Rede ist von den Leitzinsen in den USA, welche als Benchmark für das globale Zinsgefüge gelten. Dieses Niveau wurde letztmals im Frühling 2001 erreicht. Die fulminante Zinswende hat ihren Hintergrund im massiven Anstieg der Inflation im Nachgang zur Corona-Pandemie. In den USA lag die Teuerung in der Spitze im Juni 2022 bei über 9%, in Europa wurden vor einem Jahr teilweise gar zweistellige Raten gemessen. Werte, welche zuletzt in den 1970er-Jahren beobachtet werden konnten. Den Notenbanken rund um den Globus blieb nichts anderes übrig, als die Leitzinsen rasch und aggressiv zu erhöhen. Entsprechend verschoben sich die Zinskurven, welche die Renditen über die verschiedenen Laufzeiten messen, stark nach oben.
Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office
Die Vorlaufindikatoren deuten auf einen konjunkturellen Abschwung hin
Dass eine solche Zinsbewegung nicht spurlos an der Wirtschaft und den Finanzmärkten vorbeigehen kann, ist offensichtlich. Die steigenden (Re-)Finanzierungskosten belasten die Budgets der Unternehmen und wirken sich dämpfend auf ihre Investitionstätigkeiten aus. Konsumentinnen und Konsumenten spüren den Kurswechsel der Notenbanken in Form von steigenden Hypothekarzinsen sowie höheren Konsumkreditkosten. Kein Wunder schwächt sich die globale Konjunktur seit Monaten kontinuierlich ab. Insbesondere der Industriesektor ist stark unter Druck. In Europa befinden sich einige Staaten bereits in einer Rezession und auch in den USA dürfte eine solche für das kommende Jahr vor der Türe stehen.
Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office
Die massiven Zinserhöhungen bedeuten Gegenwind für die Finanzmärkte
Steigende Zinsen wirken sich grundsätzlich negativ auf sämtliche Anlageklassen aus. Die Preise der Anleihen sind stark gefallen. Wer unmittelbar vor Beginn der Leitzinserhöhungen im März 2022 eine 10-jährige US-Staatsanleihe kaufte, sitzt heute auf einem Verlust von über 15%. Auch der hiesige Aktienmarkt sowie indirekte Immobilienanlagen entwickelten sich seit dem Beginn des Zinserhöhungszyklus klar negativ.
Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office
Die entscheidende Frage für Anlegerinnen und Anleger lautet daher: Wie geht es bei den Zinsen weiter?
Wir gehen davon aus, dass der Zinsgipfel erreicht ist, und erwarten keine weiteren Leitzinserhöhungen. Diese dürften allerdings bis Mitte 2024 auf erhöhten Niveaus verharren. Daraus lassen sich diverse Schlüsse ziehen.
Wirtschaftlich stehen schwierige Zeiten an. Damit die Inflation nachhaltig zurück in den Zielbereich der Notenbanken kommt, müssen sich sowohl die Konjunktur als auch der angespannte Arbeitsmarkt abschwächen. Ohne eine (zumindest technische) Rezession ist dies kaum möglich. Eine solche wird sich negativ auf die Gewinnentwicklung der Unternehmen und somit auch auf die Aktienmärkte auswirken. Dies ist der Hauptgrund, warum wir bei den eher zyklischen Aktienmärkten anlagetaktisch weiterhin untergewichtet bleiben.
Sobald sich die Anzeichen einer Rezession verdichten, dürfte die Geldpolitik aber im Verlauf des kommenden Jahres schrittweise wieder gelockert werden. Aus dem geldpolitischen Gegenwind könnte somit ab der zweiten Jahreshälfte 2024 wieder ein Rückenwind werden. Davon werden in erster Linie Anleihen profitieren. Sinkende Zinsen bedeuten steigende Kurse. Wir erachten den Zeitpunkt für den Kauf von qualitativ hochstehenden Investment-Grade-Anleihen deshalb als günstig. Aus strukturellen Gründen favorisieren wir Obligationen mit kürzeren bis mittleren Restlaufzeiten. Da die Zinskurven immer noch sehr flach sind, werden die höheren Zinsänderungsrisiken von langlaufenden Anleihen nicht adäquat entschädigt. Zudem besteht in den USA und in Europa ein zunehmendes Ungleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot nach Staatsanleihen. Aufgrund der weiter steigenden Verschuldung müssen immer mehr neue Anleihen emittiert werden. Gleichzeitig fallen die Notenbanken – aufgrund des Quantitative Tightenings– als Käufer aus. Diese Entwicklung kann dazu führen, dass die Langfristzinsen kurzfristig noch etwas weiter steigen.
Gold dürfte in den kommenden Monaten gesucht bleiben. Da die US-Notenbank die erste war, welche die Leitzinsen erhöht hat, dürfte sie diese auch als erste wieder senken. Damit wird sich der temporär erstarkte US-Dollar wieder abschwächen. Beide Faktoren sprechen für das gelbe Edelmetall.
Für Anlegerinnen und Anleger bleiben die kommenden Monate anspruchsvoll. Wir rechnen mit einer erhöhten Volatilität an den Finanzmärkten. Allerdings gibt es einen Lichtblick: Spätestens ab der zweiten Jahreshälfte 2024 dürfte die Geldpolitik drehen. Dann schalten die Börsenampeln wieder auf grün.
Der CIO erklärt: Was heisst das für Anleger?
Die Zinsen sind das Mass aller Dinge. Als «Preis» für das Geld beeinflussen sie sowohl das Spar- und Konsumverhalten der Individuen als auch die Investitionstätigkeit der Unternehmen. Neben dem wirtschaftlichen Einfluss bestimmt der risikolose Zins auch die Bewertungen und die relativen Attraktivitäten der Anlageklassen. Dies bekamen Anlegerinnen und Anleger seit dem Beginn der Zinswende im März 2022 deutlich zu spüren. Sämtliche Anlageklassen büssten an Wert ein. Wir gehen davon aus, dass die Leitzinserhöhungen abgeschlossen sind. Die Geldpolitik dürfte aber noch einige Zeit restriktiv bleiben und bis dahin hält der Gegenwind für die Finanzmärkte an.
Die Zinswende bietet aber auch Opportunitäten: Die Anleiherenditen sind so hoch wie zuletzt vor 15 Jahren. Entsprechend haben wir sukzessive Investment-Grade-Anleihen aufgestockt. Aktienanleger sollten sich hingegen noch etwas in Geduld üben. Erst wenn die Notenbanken die geldpolitische Bremse lockern, fliesst wieder verstärkt Geld in Aktien. Spätestens ab Sommer 2024 dürfte es so weit sein.
Publikation «Anlageguide»