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Forschungs- und Werkplatz Schweiz: «Innovation braucht eine Richtung»

Wie definiert der CEO eines erfolgreichen Schweizer Medizintechnik-Herstellers Innovation? Und wie kann ein Unternehmen, das in der Schweiz forscht und entwickelt, im globalen Markt bestehen? Für Simon Michel, CEO von Ypsomed, ist klar: Innovation passiert nicht zufällig.

07.11.2025

«Innovation ist das Resultat einer klaren Strategie und viel harter Arbeit. Bevor wir etwas erfinden, müssen wir wissen, was wir überhaupt wollen. Ich nenne das die Intelligenz vor der Innovation», sagt Simon Michel, CEO des Medizintechnik-Unternehmens Ypsomed. Die Firma im bernischen Burgdorf entwickelte sich in 40 Jahren von einem kleinen Unternehmen zum weltweit führenden Hersteller für Injektionssysteme – dass das wenig mit Glück zu tun hat, glaubt man Simon Michel sofort.

 

Forschung & Entwicklung ist eine riskante Vorleistung

Ypsomed hat sehr viel in die Forschung und Entwicklung investiert und tut dies immer noch. Doch so kreativ die Innovationsteams arbeiten, so klar ist der Prozess dahinter. «Innovation», sagt Simon Michel, «ist ein strategischer Prozess. Innovation braucht eine Richtung.» Dass Erfindungen aus dem Nichts entstehen – als Geistesblitz – hat mit der heutigen Realität wenig zu tun. Forschung und Entwicklung bedeutet für ein Unternehmen eine Vorleistung, die mit hohen Kosten verbunden ist. «Das gehört zum Spiel», sagt Simon Michel zu den Risiken, die damit verbunden sind. Doch zu den Spielregen gehört auch: «Bevor wir unsere Leute auf die Reise schicken, müssen wir wissen, wohin es geht. Wir sind immer angehalten, auch an morgen und an übermorgen zu denken.»

 

Plattformen lösen Einzelprodukte ab

Aus Innovation entstehen Produkte – und diese Produkte sollen Erfolg haben. Das geht auf dem Weltmarkt nicht nur über Qualität. Am wichtigsten ist, dass die Kosten stimmen. Wie hat da ein Schweizer Industrieunternehmen überhaupt eine Chance? «Indem wir Plattformen anstelle einzelner Produkte entwickeln», sagt Simon Michel. Daraus liessen sich immer wieder neue Varianten ableiten – viel schneller und günstiger, als wenn man ein Produkt jedes Mal neu entwickeln muss.

Patentierte Plattformen erlauben es Ypsomed, ihre Produkte in vielen möglichen Varianten anzubieten. «Wir haben heute 12 Plattformen, davon ist die Hälfte unglaublich erfolgreich», sagt Simon Michel. Die andere Hälfte der Plattformen werfe keinen Gewinn ab, habe am Markt wenig Anklang gefunden. «Das», erklärt er, «ist die unternehmerische Wette, die jeder erfolgreiche Betrieb eingeht.» Dank der Plattformen ist Ypsomed günstiger als ihre Mitbewerber – und hat die Konkurrenz grösstenteils aus dem Markt gedrängt. Kein Wunder: «Wir konnten die durchschnittliche Dauer zwischen Projektstart und Markteintritt für unsere Kunden von sechs Jahren auf sechs Monate senken.»

Simon Michel
«Wir konnten die durchschnittliche Dauer zwischen Projektstart und Markteintritt für unsere Kunden von sechs Jahren auf sechs Monate senken.»

Simon Michel

CEO Ypsomed

Herr Michel, mit welchen Hürden ist Ihr Unternehmen in der Schweiz konfrontiert?

Der starke Schweizer Franken: Damit haben wir uns zwar arrangiert, aber die starke Währung ist und bleibt eine grosse Herausforderung – nicht direkt für Forschung und Entwicklung, denn gute Ingenieure werden überall gut bezahlt, aber für die Produktion.

Zu viele Einsprachen: In der Schweiz können Bürgerinnen und Bürger bei jedem Projekt Einsprachen machen, das führt zu fehlender Planungssicherheit. Es werden zu praktisch jedem, noch so sinnvollen Projekt Einsprachen erhoben – dieses Recht sollte meiner Meinung nach eingeschränkt werden.

Zu wenige Flächen: Es gibt in der Schweiz zu wenige Industrieflächen. Die Industrie ist auf Land angewiesen, denn sie muss horizontal arbeiten können. Vertikale Wege sind in den meisten Produktionsumfeldern zu aufwendig und zu teuer.

Durch die Politik befeuerter Fachkräftemangel: In der Schweiz haben Initiativen wie die «Keine 10-Millionen-Schweiz» durchaus Chancen, angenommen zu werden. Das schreckt Investoren und uns Unternehmer ab. Wenn wir keinen Zugriff mehr auf genügend Fach- und Arbeitskräfte haben, wird alles teurer und auch gesellschaftlich problematisch. Eine gesunde Diversität ist meiner Meinung nach das A und O.

Klimaneutralität ist das nächste grosse Thema

Ypsomed stellt heute einen Grossteil seiner Produkte in der Schweiz her. Und in Zukunft? «Die Schweiz bietet einem Unternehmen zwar eine unglaublich gute Ausgangslage für Innovation, Entwicklung und erste Schritte in der Produktion», sagt CEO Michel, «aber die Produktion wird immer weniger attraktiv.» Um sich im globalen Markt behaupten zu können, lässt Ypsomed neben Burgdorf und Solothurn in der Schweiz auch in Deutschland, China und ab 2027 in den USA produzieren. Diese Strategie hat nicht nur Kostengründe, sondern ist Teil des nächsten «Big Thing», an das Simon Michel glaubt: die Dekarbonisierung. «Paris wird kommen. Klimaneutralität ist das nächste grosse Thema, in das wir investieren müssen – auch als Unternehmen selbst. Der Transport ist bei uns für 15 Prozent des CO2-Ausstosses verantwortlich. Diese Emissionen können wir nur senken, indem wir die Produktion näher zum Kunden bringen.»

 

Innovative Recycling-Technologien

In der Entwicklung setzt Ypsomed auf Kreislaufwirtschaft. «Vor wenigen Jahren lachte man uns aus, weil wir unsere Produkte rezyklierbar machen wollten. Medizinprodukte sind anspruchsvoll. Sie werden, um Infektionen zu vermeiden, meist vollständig vernichtet. Und doch haben unsere Innovations-Teams Methoden gefunden, Injektionssysteme aus nur zwei Kunststofftypen zu entwickeln, so dass die Teile wieder separierbar sind und der Kunststoff einfacher zu recyclen ist.»

Innovation hat auch viel mit Zeitgeist zu tun. «Früher stand die Funktion im Fokus, dann ging es um die Kosten. Anfang der 2000er kam die Nutzerfreundlichkeit, die Usability, hinzu.» Und als nächstes kommt die Rezyklierbarkeit, ist Simon Michel überzeugt. « Wie kann man ein Produkt wieder einfach auseinandernehmen, um die Einzelkomponenten zurück in den Kreislauf zu bringen? Das ist eine neue Domäne, die an den meisten Fachhochschulen noch gar nicht unterrichtet wird.»

Wichtiges Patentwesen

Manchmal setzt Ypsomed mehrere Innovationsteams auf ein Thema oder Teilkonzepte an, auch externe. Und am Schluss werden die besten Konzepte «gemergt», also vereint – für eine optimale Lösung. Dann kommt die Entwicklung zum Zug. «Innovation und Entwicklung sind zwei unterschiedliche Sportarten», betont Simon Michel. «Innovation ist kreativ, Entwicklung ist Tränen und Schweiss.» Denn: 78 Prozent aller Produkte, die in der Schweiz entwickelt und produziert werden, sind reguliert. Das heisst, sie müssen einen strengen Zulassungs- und Produktionspfad durchlaufen und nach genauen Vorgaben dokumentiert sein. Hinzu kommt das Patentwesen. «Ein Pflichtprogramm, ein Handwerk, aber auch eine Kunst.» Um zu verhindern, dass die mit viel Geld entwickelten Produkte in ähnlichen Varianten günstig auf den Markt kommen, müssen mögliche Varianten geschützt werden. «Zupatentieren» nennt Simon Michel dies umgangssprachlich.

Simon Michel, Ypsomed AG

Schweizer Hersteller für Injektionssysteme

Ypsomed wurde 1984 gegründet und entwickelte sich innert 40 Jahre zum wichtigsten Hersteller für Injektionssysteme für die Selbstmedikation weltweit. Die Medizinprodukte, die von Ypsomed entwickelt und hergestellt werden, kommen in allen Therapie-Gebieten zum Einsatz. Bekannt wurde Ypsomed durch ihre Insulinpens und Autoinjektoren für Medikamente zur Gewichtsabnahme. Gegen neun Millionen Menschen weltweit nutzen Produkte von Ypsomed. Ypsomed hat ihren Hauptsitz in Burgdorf, machte 2024 rund 750 Millionen Franken Umsatz und beschäftigt gegen 3'000 Mitarbeitende, rund 2/3 davon in der Schweiz.