Kurswechsel der Notenbanken sorgt für Gegenwind an der Börse

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Die Trendwende ist in Sicht: Nachdem die Notenbanken die Zinsen jahrelang gesenkt beziehungsweise auf tiefem Niveau belassen haben, ziehen sie die Zinsschraube allmählich wieder an. Die Abkehr von der lockeren Geldpolitik verunsichert die Finanzmärkte. Erfahren Sie, wo im Hinblick auf die steigenden Zinsen die grössten Risiken lauern und welche Chancen sich für Anlegerinnen und Anleger damit eröffnen.

Billiges Geld befeuert die Aktienkurse

Die Zinsen sind im Keller. Schuld daran sind die wiederholten Krisen: der Dotcom-Crash im Jahr 2000, die Finanzkrise von 2008, die darauffolgende Eurokrise und jüngst die Corona-Pandemie. «Die Geldpolitik ist in den letzten 20 Jahren nicht aus dem Krisenmodus herausgekommen. Um die Konjunktur in Schwung zu halten, pumpten die Regierungen immer wieder Geld in die Wirtschaft und die Zentralbanken hielten die Zinsen tief», erklärt Matthias Geissbühler, Chief Investment Officer von Raiffeisen Schweiz.

Diese sogenannte «Politik des billigen Geldes» sorgte für einen Boom an den Finanzmärkten. Risikoarme Anlageklassen wie Staatsanleihen verloren aufgrund der wiederholten Zinssenkungen laufend an Attraktivität und werfen mittlerweile kaum noch oder gar keine Renditen mehr ab. Folglich legten Investoren ihr Geld vermehrt in Aktien und Immobilien an. Das bedeutet zwar höhere Risiken, aber auch höhere Renditechancen. Die wachsende Nachfrage trieb die Preise in die Höhe. «Der Börsenboom der letzten Jahre wurde nicht nur durch das Wirtschaftswachstum, sondern vor allem auch durch die expansive Geldpolitik getrieben», fasst Geissbühler zusammen.

 

Die zwei Stossrichtungen der Geldpolitik

Expansive Geldpolitik

Die Zentralbank zielt auf eine Vergrösserung der Geldmenge: Sie senkt den Leitzins und tätigt bei Bedarf zudem umfangreiche Käufe von Wertpapieren wie Staatsanleihen.

Restriktive Geldpolitik

Die Zentralbank zielt auf eine Verknappung der Geldmenge: Sie erhöht den Leitzins und fährt bestehende Anleihekaufprogramme herunter.

Auswirkungen: 

  • Kredite werden günstiger
  • Das Wirtschaftswachstum wird angekurbelt
  • Inflation: Die Preise steigen

Auswirkungen: 

  • Kredite werden teurer 
  • Das Wirtschaftswachstum wird abgebremst
  • Deflation: Die Preise sinken

Inflation bringt die Zinswende

Das primäre Steuerungsinstrument der Geldpolitik ist der Leitzins. Er bestimmt, zu welchem Zinssatz sich die Geschäftsbanken eines Landes bei der Zentralbank Geld leihen können. Wie alle Notenbanken weltweit hat auch die Schweizerische Nationalbank SNB die Zinsschraube immer weiter gelockert – zuletzt Anfang 2015 bei der Aufhebung des Euromindestkurses. Seither liegt der Schweizer Leitzins bei -0.75 Prozent und ist damit der tiefste der Welt. Der Negativzins ist für die SNB bis heute ein Mittel, um einen allzu starken Franken zu vermeiden und so die Schweizer Wirtschaft international wettbewerbsfähig zu halten. Doch die Tage dieser expansiven Geldpolitik sind gezählt, denn die Teuerung, die seit den 1990er-Jahren von der Bildfläche verschwunden war, ist zurück.

 

Die Schweiz hat den tiefsten Leitzins weltweit

Entwicklung Leitzins CHF, EUR und USD

Die Schweiz hat den tiefsten Leitzins weltweit

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Die Zentralbanken kämpfen gegenwärtig mit einem Konflikt zwischen Wachstum und Inflation: Um das wiedererstarkte Wirtschaftswachstum in Gang zu halten, wären eigentlich weiterhin tiefe Zinsen notwendig. Doch die steigenden Preise bereiten den Zentralbanken zunehmend Sorge – schliesslich ist es ihre vorrangige Aufgabe, die Preisstabilität unter Berücksichtigung der konjunkturellen Entwicklung sicherzustellen. Höhere Zinsen sind das beste Mittel gegen die Teuerung. Mit einer restriktiven Geldpolitik lässt sich die Inflation in die Schranken weisen, wenn auch auf Kosten der Konjunktur. 

Besonders gross ist der Handlungsbedarf in den USA, wo die Inflationsrate im Dezember 2021 mit 7,0 Prozent den höchsten Stand seit 1982 erreicht hat und damit deutlich über dem Ziel von 2 Prozent liegt. «Die aktuelle Inflation hat zwei Komponenten und beide hängen mit Covid-19 zusammen», erklärt Matthias Geissbühler. «Angebotsseitig gibt es Lieferengpässe und auf der Nachfrageseite gibt es Aufholbedarf nach den Einschränkungen durch die Pandemie.»

 

US-Notenbank Fed zieht die Zinsschraube an

Um die Inflation abzubremsen, nimmt die US-Notenbank Fed eine geldpolitische Kursänderung vor: Sie kehrt der expansiven Geldpolitik den Rücken und verknappt die Geldmenge allmählich. Zunächst wird das Anleihekaufprogramm, mit dem bis im Oktober 2021 monatlich 120 Milliarden US-Dollar in die Wirtschaft gepumpt wurden, heruntergefahren. Dieses sogenannte Tapering ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass die USA die Zinsschraube bald wieder anziehen wird. «Wir rechnen 2022 mit mindestens zwei Zinsschritten der Fed. 2023 werden wir mit grosser Sicherheit weitere Zinserhöhungen sehen», sagt der CIO von Raiffeisen Schweiz.

 

Sonderfall Schweiz: Inflation bleibt vergleichsweise gering

Vergleich Inflationsrate CH, EU und USA

Vergleich Inflationsrate CH, EU, USA

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Die Schweizerische Nationalbank SNB hingegen bleibt den Negativzinsen vorerst treu. Sie wartet erst eine Zinserhöhung der Europäischen Zentralbank EZB ab: «Würde die SNB der EZB zuvorkommen, käme der Franken unter Aufwertungsdruck», erklärt Matthias Geissbühler. Obwohl die Inflation auch in der EU bereits weit über dem Ziel von 2 Prozent liegt, schiebt die EZB eine Zinserhöhung vorerst noch hinaus. Die SNB kann es sich leisten abzuwarten, da die Inflation in der Schweiz nach wie vor unter einem Prozent liegt. «Der starke Franken dämpft die Teuerung. Zudem gibt es grosse Unterschiede beim Warenkorb. Zum Beispiel fallen die steigenden Energiepreise bei uns weniger ins Gewicht als in der EU und den USA», begründet Geissbühler die Kluft zum Ausland. 

 

Steigende Zinsen sorgen für Unsicherheit 

Der absehbare Wandel der Geldpolitik prägt die Finanzmärkte bereits heute: «Die Zinsen für Anleihen steigen und die Volatilität nimmt zu. Höhere Zinsen sorgen an der Börse immer für Unsicherheit», stellt Matthias Geissbühler fest. Die restriktive Geldpolitik dürfte bald direkte Auswirkungen auf die Aktienkurse zeigen, denn durch die steigenden Zinsen geraten die aktuell sehr hohen Bewertungen unter Druck. «Nicht alle Firmen werden ihre Gewinne so stark steigern können, dass sie die tieferen Bewertungen kompensieren», gibt Geissbühler zu bedenken. Davon betroffen sind vor allem Tech-Werte aus den USA, aber auch Medtech-Titel aus der Schweiz. «Bei solchen Wachstumstiteln erwarten wir Gegenwind. Wir empfehlen, die Gewichtung etwas zu reduzieren – zugunsten von Unternehmen mit einer soliden Substanz, die weniger wachstumsgetrieben sind.»

Die steigenden Energie- und Rohstoffpreise setzen die Margen in verschiedensten Branchen schon seit längerem unter Druck. Die Inflation verstärkt die Margenerosion weiter, insbesondere in den USA und im EU-Raum. Innovative Schweizer Unternehmen sind in dieser Hinsicht in einer stärkeren Position, weiss Matthias Geissbühler: «Manche Schweizer Firmen können die höheren Preise weitergeben, weil sie in qualitativer Hinsicht überlegen sind. Das gilt für Bluechips wie Nestlé oder auch für Mid-Caps wie Barry Callebaut.»

 

3 Anlege-Tipps für das Börsenjahr 2022

  • Substanz statt Wachstum: 
    Tech-Gewichtung zugunsten von Unternehmen mit solider Substanz reduzieren
  • Fokus auf Dividenden: 
    Allfällige Renditeverluste mit dividendenstarken Titeln abfedern 
  • Diversifikation: 
    Sicherheitspuffer wie Obligationen und Gold ins Portfolio integrieren

 

Tiefere Renditen und mehr Verlierer

In den vergangenen Börsenjahren gab es fast nur Gewinner. Alle Aktienmärkte performten sehr gut, insbesondere auch der Schweizer Markt. Im neuen Jahr wird es mehr Verlierer geben: «Durch eine gezielte Auswahl ist es eher wieder möglich, den Index zu schlagen», stellt Matthias Geissbühler in Aussicht. Bei der Titelselektion sollte man neben den Renditechancen auch die Dividenden im Auge behalten, betont der CIO von Raiffeisen Schweiz: «Wenn die Renditen abnehmen, gewinnt diese Komponente an Gewicht.»

Anleihen sind trotz steigender Zinsen nach wie vor keine Alternative zu Aktien. Die Zinssätze sind momentan noch zu tief, als dass Obligationen wieder rentieren würden. Dennoch haben Anleihen in einem sicherheitsorientierten Portfolio ihren festen Platz: «Obligationen eignen sich nach wie vor als Sicherheitspuffer», erklärt Geissbühler. «Die Pandemie ist noch nicht zu Ende. Deshalb bleibt eine breite Diversifikation über alle Anlageklassen hinweg zentral. Gold gehört als Beimischung ins Portfolio. Für das Edelmetall sprechen aktuell die Inflation respektive die negativen Realzinsen, zumal die Inflation den Preis in die Höhe treiben dürfte.» 

Die Finanzmärkte prägt momentan eine doppelte Unsicherheit: Die steigenden Zinsen verunsichern die Börse ebenso wie die anhaltende Pandemie. Die damit verbunden Risiken, aber auch die Chancen im Hinblick auf die Zinswende, machen es ratsam, das Portfolio jetzt unter die Lupe zu nehmen. 

 

Vermögens-Check

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