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Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen

Ausgabe 23.07.2024

Fredy Hasenmaile

Fredy Hasenmaile

Raiffeisen Chefökonomen

The Winner takes it all

1980 veröffentlichte die berühmte schwedische Popband ABBA den Song «The Winner takes it all». Er sollte zu einem der erfolgreichsten Songs der damals bereits weitherum bekannten Musikband werden. Geschrieben hatten den Song die beiden männlichen Bandmitglieder Björn und Benny im Sommer 1979. Nachdem sie mit der Song-Komposition zufrieden waren, nahm Björn den Song mit nach Hause und schrieb unter reichlichem Einfluss von Whisky den Text dazu. Er sei betrunken gewesen und habe den Text während eines Gefühlssturms innert einer Stunde auf Papier gebracht, offenbarte Björn später über die Entstehung des Hits. Der Song, dem er den Titel «The Winner takes it all» gab, stand damals für die Gefühlslage vieler Paare in Trennung. Heute ist der Titel mehr zum Inbegriff einer Ökonomie geworden, die immer breitere Wirtschaftsbereiche umfasst und nicht weniger Kopfschmerzen bereitet.

 

Wofür steht das «The Winner takes it all»-Prinzip?

Das Prinzip beschreibt ein Phänomen, bei dem es einzelnen oder nur wenigen Individuen oder Unternehmen gelingt, den Grossteil der Erträge in einem bestimmten Markt für sich zu vereinnahmen. Es ist insbesondere in den Sektoren Sport, Unterhaltung und Technologie verbreitet und unterstreicht die Ungleichheiten von Erfolg und Einkommen, die in kompetitiven Umgebungen entstehen können. Jüngst erzeugten beispielsweise die Erfolge der US-amerikanischen Musikkünstlerin Taylor Swift weltweit hohe Aufmerksamkeit. Nach der Veröffentlichung ihres elften Studioalbums «The Tortured Poets Department» belegten die einzelnen Lieder des Albums die ersten 14 Plätze der amerikanischen Single-Hitparade. Ihre Konzerttourneen lösen wirtschaftliche Umsatzrekorde aus, die sogar die BIP-Zahlen von US-Bundesstaaten merklich beeinflussen. Im Zuge der Verbreitung des Internets bestand ursprünglich die Hoffnung, die geringen Vertriebskosten der neuen Technologie würden in der Musik Mikrokulturen fördern, in denen viele ihren individuellen Musikvorlieben nachgehen können. Diese Erwartung war nicht falsch, nur hat sich am anderen Ende der Erfolgsskala der Trend zum Mainstream noch viel stärker verdichtet und dieser produziert heutzutage Popstars galaktischer Grösse wie eben Taylor Swift.

 

Grössere Hebelwirkung der digitalen Medien

In unserer auf Erfolg getrimmten Leistungskultur beschreibt das «The Winner takes it all»-Motto die einseitige Belohnung im Verteilungskampf um Macht, Güter und Aufmerksamkeit. Auch im Sport können einzelne Individuen aufgrund der heutigen, sich selbstverstärkenden Wirkung der Medien ungeahnte Popularität und damit auch entsprechende Einkommen erzielen. Sherwin Rosen, ein Ökonom der Universität Chicago, hat bereits 1981 diese Superstarmärkte analysiert. Im Zentrum seiner Theorie stand die Beobachtung, dass die modernen Medien einen grossen Hebel geschaffen haben, über den ein Interpret / eine Interpretin seine/ihre Leistung mit nur geringen Zusatzkosten einem grossen Publikum anbieten kann. Doch es sind nicht nur die Eigenschaften der Angebotsseite, welche zu «The Winner takes it all»-Märkten führen, dazu trägt auch die Nachfrageseite bei. So sind Spitzenkönner/-innen aus Sicht der Nachfragenden nur bedingt substituierbar. Einem Xherdan Shaqiri zuzuschauen macht viel mehr Spass als zwei mittelmässigen Fussballern. In seinem/ihrem Fach zu den Besten zu zählen, sichert demnach überproportional viel Nachfrage und die Besten können dadurch ihre Konkurrierenden verdrängen. Im Sport kann es dabei genügen, eine Millisekunde schneller zu sein. Neben den weltumspannenden Medien hat auch die Globalisierung zur Konzentration des Konsums von Kultur oder Sportleistungen beigetragen. So wird berichtet, es hätten über 300 Millionen Chinesen mitten in der Nacht die Fussball-Europameisterschaft in Deutschland verfolgt. Das erklärt auch die vielen chinesischen Sponsoren an der jüngsten Fussball-EM.

 

Prinzip gilt auch für den Tech-Sektor

Superstars sind jedoch nicht nur auf Kulturmärkte beschränkt. Märkte mit «The Winner takes it all»-Strukturen gibt es auch ausserhalb der Kulturmärkte, insbesondere in der Technologie. Ein Beispiel dafür sind die «Magnificent Seven». Die sieben Unternehmen Apple, Microsoft, Amazon, Alphabet, Meta, Tesla und Nvidia fahren gegenwärtig den Grossteil der Gewinne ein. Digitale Technologien bringen Informationsgüter hervor, für die grundlegend andere wirtschaftliche Gesetzmässigkeiten gelten. Für die Nutzung von Informationsgütern gilt erstens das Prinzip der Nicht-Rivalität des Konsums. Einen Datensatz können mehrere Personen verwenden, ohne dass das Gut dadurch verbraucht wird. Zweitens ist die Produktion des Informationsgutes zwar mit hohen Kosten verbunden, doch die Reproduktionskosten und der Vertrieb sind nahezu kostenlos. Sobald also eine Online-Weinhandlung ihre Website zu fixen Kosten programmiert hat, kann sie ihr Angebot einer viel grösseren Kundschaft zur Verfügung stellen als eine stationäre Weinhandlung. Ein Schlüsselfaktor bei digitalen Technologien sind zudem die Netzwerkeffekte. Der Wert eines Informationsgutes kann mit der Anzahl der Nutzenden steigen. Beispielweise wird eine Software oder eine Plattform wertvoller, je mehr Menschen sie verwenden, da mehr Nutzende mehr Interaktionen und Verbindungen ermöglichen.

 

Was bedeutet das für uns?

Die Tendenz zu «The Winner takes it all»-Märkten dürfte in Zukunft noch weiter zunehmen. Was können wir daraus für uns lernen? Erstens, uns nicht mit durchschnittlicher Leistung zufrieden zu geben, denn nur die Besten schaffen es an die Spitze. Zweitens, Geschwindigkeit ist zentral. In der Corona-Pandemie haben nur die Impfstoffe von Pfizer und Moderna kräftig abgesahnt. Impfstoffe, die später auf den Markt gelangten, waren ein Verlustgeschäft. Und drittens: Ein Einstieg in derartige Märkte will gut überlegt sein, den diese sind auch charakterisiert durch übermässige Markteintritte und übermäßige Investitionen. Das Überangebot an Musiktiteln auf Streaming-Plattformen hat beispielsweise dazu geführt, dass ein einzelner Musiktitel kaum noch einen Wert hat. Das heisst, gesamtwirtschaftlich nehmen zu viele Leute mit zu hohen Einsätzen an solchen «Lotterien» teil und gehen zumeist leer aus. Was für die wenigen Stars einen Riesengewinn bedeutet, endet für viele mit Kopfschmerzen.

Fredy Hasenmaile

Fredy Hasenmaile

Raiffeisen Chefökonom

Seit 2023 ist Fredy Hasenmaile Chefökonom von Raiffeisen Schweiz und Leiter des Economic Research der Bank. Er analysiert mit seinem Team die globalen und Schweizer Wirtschafts- und Finanzmarktentwicklungen und ist für die Einordnung des Wirtschaftsgeschehens sowie die Prognose von wirtschaftlichen Schlüsselkennzahlen verantwortlich.