Das Schweizer Stimmvolk hat am 18. Juni 2023 die Vorlage zur Einführung der OECD-Mindeststeuer angenommen. Roger Reist, Geschäftsleitungsmitglied und Departementsleiter Firmenkunden, Treasury & Markets von Raiffeisen Schweiz, ordnet das Ergebnis ein und spricht im Interview über die Auswirkungen für den Schweizer Wirtschaftsplatz.
Wie deuten Sie das Ergebnis der Abstimmung zur OECD-Mindeststeuer?
Ich begrüsse die deutliche Annahme der Vorlage sehr. Eine Ablehnung wäre für den Wirtschaftsstandort schädlich gewesen. Die Schweiz hätte Steuereinnahmen ans Ausland verloren.
Was bedeutet das Ja nun für die grossen Unternehmen?
Zuerst muss gesagt werden, dass diese Steuer keine Schweizer Erfindung ist. Auf Initiative der Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit OECD haben sich rund 140 Länder auf eine Mindestbesteuerung von grossen Unternehmen von 15 Prozent geeinigt. Die Initiative wurde aufgrund der zunehmend schwierigeren Besteuerung multinational tätiger Unternehmen lanciert. Grundsätzlich bedeutet dies erst einmal, dass grosse Unternehmen in allen Staaten, die den vereinbarten Ansatz umsetzen, mit einem gewissen Mindeststeuersatz rechnen müssen. Direkt betroffen sind internationale Unternehmen mit einem jährlichen Umsatz von mindestens 750 Millionen Euro, welche bislang weniger als 15 Prozent Steuern bezahlt haben.
Hauptsächlich liegt der Fokus auf grossen Unternehmen. Welche Folgen hat die Einführung der Mindeststeuer für KMU?
In der Schweiz fallen aktuell einige wenige Hundert inländische und wenige Tausend ausländische Unternehmen in diese Steuerkategorie. Gesamtwirtschaftlich gesehen werden rund 99 Prozent der Unternehmen wie bisher besteuert. KMU werden hierzulande als Unternehmen mit weniger als 250 Arbeitsplätzen definiert. Damit ein solches Unternehmen vom neuen Ansatz erfasst würde, müsste es 750 Millionen Euro Umsatz erwirtschaften.
Welche Folgen hat die Einführung der Mindeststeuer auf den Schweizer Wirtschaftsplatz?
Die Auswirkungen auf den gesamtschweizerischen Wirtschaftsplatz sind aktuell schwer zu beziffern, da wir nicht wissen, wie die betroffenen Unternehmen reagieren. Fest steht, dass die Schweiz im Steuerbereich an Standortattraktivität einbüssen dürfte. Dies ist aber nur ein Faktor. Die Schweiz bietet viele andere Vorteile wie zum Beispiel die hohe politische Stabilität sowie den attraktiven Lebens- und Ausbildungsstandard. In bisherigen Tiefsteuerkantonen werden die betroffenen Unternehmen eine höhere Steuerbelastung erfahren. Hingegen gibt es andere Kantone, die ihre Gewinnsteuer senken und damit an Attraktivität gewinnen dürften.
Der Bundesrat rechnet kurzfristig mit Mehreinnahmen von 1 bis 2,5 Milliarden Franken. Was passiert mit diesen zusätzlichen Steuergeldern?
Die Verteilung der Zusatzeinnahmen war im Zentrum der Debatte um die Einführung der OECD-Steuer. Die Hoheit über drei Viertel dieser zusätzlichen Steuereinnahmen liegt nun bei den Kantonen, die restlichen 25 Prozent beim Bund. Bund und Kantone werden zunächst zum interkantonalen Finanzausgleich beitragen. Gleichzeitig wird der Grossteil von den Kantonen selbst verwaltet. Klar ist: In jenen Kantonen, in denen mehr grosse internationale Unternehmen angesiedelt sind und der Steuersatz bisher unterhalb von 15 Prozent liegt, steigen – zumindest kurzfristig - auch die Steuereinnahmen. Noch ist nicht definitiv, wie die Mehreinnahmen ausgegeben werden. Einige Kantone planen verstärkte Ausgaben für Forschung und Entwicklung, Infrastruktur und soziale Einrichtungen wie Kinderbetreuungen. Für die Stärkung des gesamten Wirtschaftsplatzes Schweiz erachte ich es als wichtig, dass Investitionen nicht nur zugunsten von grossen Unternehmen ausfallen, sondern auch für KMU getätigt werden, damit auch diese von den zusätzlichen Einnahmen profitieren können.
Wo sehen Sie Möglichkeiten, um KMU zu fördern?
Wenn wir Forschung und Entwicklung nehmen, dann sehe ich viel Potenzial in der Innovationsförderung. Hier fehlt es KMU häufig an ausreichenden finanziellen Mitteln. Beispielsweise kann ich mir einen Innovationsförderungsfonds vorstellen, an dem alle Unternehmen partizipieren können. Wenn wir uns ausserdem die herausfordernde Situation mit fehlenden Fachkräften vor Augen führen, dann sehe ich grosses Potenzial für effiziente Verwaltungs- und rasche Bewilligungsprozesse für Fachkräfte, auch aus dem Ausland. Mit Blick auf inländische Fachkräfte verfügen wir in der Schweiz über ein hervorragendes duales Bildungssystem. Dieses soll weiter gefördert werden.
Roger Reist leitet das Departement Firmenkunden, Treasury & Markets bei Raiffeisen Schweiz und ist Mitglied der Geschäftsleitung. Er verfügt über einen Masters of Arts in Banking and Finance und ist Certified International Investment Analyst (CIIA) sowie Chartered Alternative Investment Analyst (CAIA).