

Zunehmende Schuldenlast – und ihre Konsequenzen
Ein Zahlungsausfall der grössten Volkswirtschaft der Welt konnte in letzter Minute abgewendet werden. Das Schuldenproblem ist damit aber nicht gelöst. Weltweit steigt die Verschuldung ungebremst an.
The sky is the limit – US-Schuldenobergrenze ist erreicht
In letzter Minute. Einmal mehr haben sich die Demokraten und die Republikaner im US-Kongress unmittelbar vor dem drohenden Zahlungsausfall geeinigt. Die Schuldenobergrenze, welche zuletzt bei 31.4 Billionen US-Dollar lag, wird temporär ausgesetzt. Ohne diesen Kompromiss wäre die Regierung spätestens ab Mitte Juni nicht mehr in der Lage gewesen, laufende Ausgaben wie die Löhne der Staatsangestellten oder Sozialausgaben zu bezahlen.
Die Diskussionen über die Schuldenobergrenze wiederholen sich alle paar Jahre. Da die Staatsschulden in den USA – wie in fast allen Ländern der Welt – laufend zunehmen, muss das Limit regelmässig erhöht werden. Nicht immer gelingt eine rasche Einigung. 2011 wurde die «Deadline» kurzzeitig überschritten, was zu temporären Verwerfungen an den Finanzmärkten führte. Erwähnenswert ist dabei, dass die Schuldenobergrenze damals bei 14.3 Billionen US-Dollar lag. Die Staatsschulden der USA haben sich also in den letzten knapp 12 Jahren mehr als verdoppelt. Eine Trendwende zeichnet sich nicht ab.
Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office
Die Schweiz als Musterschülerin – Staatsschulden im Überblick
Ein wesentlicher Treiber, der zu einer Ausweitung des Haushaltsdefizits geführt hat und die Schulden explodieren liess, war die Pandemie. Um die wirtschaftlichen Verwerfungen zu mildern, haben die Staaten rund um den Globus mit Hilfszahlungen und fiskalischen Stimulierungsmassnahmen reagiert. Auch in der Schweiz ist die Staatsverschuldung rasant angestiegen. Corona-bedingt hat diese um fast 30 Milliarden auf aktuell rund 110 Milliarden Franken zugenommen. Dank der Schuldenbremse und einer relativ guten Finanzdisziplin steht die Schweiz im internationalen Vergleich aber weiterhin gut da. Es ist zu hoffen, dass dies so bleibt und insbesondere die Schuldenbremse nicht angetastet wird.
Quellen: IWF, Raiffeisen Schweiz CIO Office
Konsumieren auf Pump – Kreditkartenschulden auf neuem Rekordstand
Es sind aber nicht nur die Staatsschulden, die steigen. In den USA haben beispielweise auch die ausstehenden Kreditkartenschulden einen neuen Rekordwert erreicht. Die stark gestiegene Inflation reduziert die Kaufkraft. Anstatt die Ausgaben zu reduzieren, konsumieren viele Verbraucherinnen und Verbraucher offensichtlich lieber auf Pump weiter.
Quellen: FRED, Raiffeisen Schweiz CIO Office
Die Schuldenthematik ist in den letzten Jahren etwas in den Hintergrund gerückt. Der Grund lag bei den Zinsen. Denn in einem Umfeld von Null- bzw. Negativzinsen ist die Schuldenaufnahme de facto gratis. Nun hat aber der Wind gedreht. Der starke Zinsanstieg führt dazu, dass die Finanzierung der Schulden deutlich teurer wird. In Deutschland beliefen sich die Zinszahlungen 2021 auf überschaubare 4 Milliarden Euro. Für das laufende Jahr rechnet Finanzminister Christian Lindner mit Kosten von über 40 Milliarden Euro. Diese Differenz macht sich im Budget bemerkbar und reduziert den finanziellen Spielraum. Von dieser Entwicklung sind alle Staaten – aber auch Unternehmen und Privatpersonen – betroffen. Denn Kredite und Hypotheken sind ebenfalls teurer geworden.
Damit reduziert sich der fiskalpolitische Handlungsspielraum der Regierungen und dies just zu einem Zeitpunkt, in welchem hohe Infrastrukturausgaben anstehen. Allein die Investitionen im Zusammenhang mit der Energiewende verschlingen Billionen.
Es stellt sich die Frage, wie das Schuldenwachstum gebremst oder gar eine Trendwende herbeigeführt werden kann. Grundsätzlich gibt es vier Möglichkeiten, die Schuldenberge zu reduzieren: Sparmassnahmen und/oder Steuererhöhungen, Schuldenschnitte (bis hin zum Staatsbankrott), Herauswachsen oder Weginflationieren. Politisch sind Sparmassnahmen unpopulär und kaum durchsetzbar. Steuern oder Ausgaben zu erhöhen, ist insofern problematisch, da dadurch den Unternehmen beziehungsweise den Individuen Geld entzogen und infolgedessen das Wirtschaftswachstum gemindert wird. Schuldenschnitte – wie beispielsweise in Griechenland im Jahr 2012 – führen zu Verlusten bei den Gläubigern und untergraben das Vertrauen. Zudem erschweren sie eine spätere Rückkehr an den Kapitalmarkt.
Ein überproportional starkes Wachstum, gepaart mit Produktivitätsfortschritten, wäre die optimale Lösung. Aufgrund der demografischen Entwicklungen sowie der zunehmenden Ressourcenknappheit geht die Tendenz aber eher in die gegenteilige Richtung. Vielerorts sinkt das Potenzialwachstum. Somit verbleibt nur das Thema Inflation. Für die Tragbarkeit der Schulden spielen die Realzinsen eine entscheidende Rolle. Die Zinswende hat bisher primär zu einem starken Anstieg der nominellen Zinsen geführt. Da aber gleichzeitig die Inflationsraten weltweit immer noch sehr hoch sind, liegen die Realzinsen in Europa – aber auch in der Schweiz – weiterhin im negativen Bereich. Entsprechend spannend wird es sein, mitzuverfolgen, wie entschlossen die Notenbanken die hartnäckige Inflation weiter bekämpfen werden. Sollten sich nämlich die Realzinsen über einen längeren Zeitraum im positiven Bereich bewegen, wird die Schuldenthematik rasch in den Fokus rücken. Der Druck seitens der Politik auf die Notenbanken dürfte damit weiter zunehmen. Spätestens dann wird sich zeigen, wie unabhängig die Notenbanken wirklich sind.
Der CIO erklärt: Was heisst das für Anleger?
Eigentlich ist es klar: Langfristig kann man nicht mehr ausgeben, als man einnimmt. Allerdings lässt die weltweit steigende Staatsverschuldung etwas anderes vermuten. Aufgrund der Null- und Negativzinsen ist die Schuldenproblematik in den letzten Jahren in der Tat in den Hintergrund gerückt. Die stark gestiegenen Zinsen sowie der Schuldenstreit in den USA haben das Thema wieder ins Rampenlicht geführt. Für die Tragbarkeit der Schulden sind primär die Realzinsen entscheidend.
Diese sind vielerorts aufgrund der hohen Inflation weiterhin negativ und der politische Druck auf die Notenbanken ist hoch, dass dies auch so bleibt. Für Anlegerinnen und Anleger ergeben sich daraus zwei wichtige Implikationen. Solange die Realzinsen negativ sind, verlieren Sparguthaben laufend an Kaufkraft. Wer sein Vermögen mehren will, kommt um das Thema Anlegen nicht herum. Zudem sollte bei der Selektion von Obligationen und Aktien auf eine hohe Bilanzqualität geachtet werden. Dies gilt auch für Staatsanleihen. Denn Qualität zahlt sich langfristig immer aus.
Publikation «Anlageguide»