China – Der Wachstumsmotor stottert

Das Narrativ der Wachstumslokomotive China zerbröselt. Demografische Faktoren, eine hohe Verschuldung der Provinzen sowie der anhaltende Handelskonflikt mit den USA reduzieren das zukünftige Potenzialwachstum.

Land der Sparer – Chinesen sparen mehr als doppelt so viel wie Amerikaner

Die ganze Welt kämpft mit der Inflation. Die ganze Welt? Nein! Ein Land im Osten sieht sich aktuell mit sinkenden Preisen konfrontiert. Die Rede ist von China. Im Juli sind die dortigen Konsumentenpreise gegenüber dem Vorjahr um 0.3% gefallen. Die Produzentenpreise sind sogar schon seit Jahresbeginn rückläufig. Damit befindet sich das Reich der Mitte in einer Deflation.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Die schwache Entwicklung der Weltkonjunktur trifft China als globale Werkbank stark. Die Exporte sind zuletzt zweistellig eingebrochen. Um diese Nachfrageschwäche auszugleichen, werden die Preise gesenkt. Hinzu kommen Basiseffekte auf der Rohstoffseite, welche zu sinkenden Produzentenpreisen führen. Und zu guter Letzt ist der erwartete Konsumboom nach dem Ende der strikten Null-Covid-Strategie ausgeblieben.

Neben diesen zyklischen Problemen sieht sich die Regierung um Präsident Xi Jinping mit zunehmenden strukturellen Herausforderungen konfrontiert - vor allem bei der Demografie. Die Ein-Kind-Politik, welche erst 2016 gelockert wurde, sowie eine restriktive Zuwanderungspolitik führen dazu, dass die chinesische Bevölkerung schrumpft. In diesem Jahr wurde China als bevölkerungsreichstes Land von Indien abgelöst. Das Reich der Mitte droht also alt zu werden, bevor es reich geworden ist. Als Konsequenz – und auch weil das Sozial- und Vorsorgesystem schlecht ausgebaut ist – setzen Chinesinnen und Chinesen auf eine hohe Sparquote. Daher ist es für die Regierung auch schwierig, den Konsum anzukurbeln. Denn wie heisst es so schön: Man kann den Gaul zur Tränke führen, aber trinken muss er selbst. 

Bruttosparquote in Prozent des BIP

Quellen: Weltbank, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Ein veritabler Crash bei den chinesischen Immobilienaktien

Deutlich einfacher war die wirtschaftliche Stimulierung in Form von staatlichen Infrastruktur- und Bauinvestitionen. Von dieser Möglichkeit hat die Regierung in den vergangenen Jahren grosszügig Gebrauch gemacht. Dabei wurden selbst in entlegenen Provinzen Grossstädte hochgezogen – Orte die heute als Geisterstädte dem Zerfall überlassen werden. Diese massive Kapitalfehlallokation hat zu einer hohen Verschuldung der Provinzen sowie vieler Bauunternehmen geführt. Nachdem die Immobilienpreise seit Beginn der Pandemie zum Teil deutlich korrigiert haben, sind etliche chinesische Immobilienentwickler in Schieflage geraten. Chinas grösster Immobilienkonzern, Country Garden, kämpft derzeit ums Überleben. Sein Konkurrent Evergrande musste Mitte August gar Gläubigerschutz beantragen.

Kursentwicklung von Evergrande, Country Garden und dem Hang Seng Index, indexiert

Quelle: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Ebenfalls wenig hilfreich sind die geopolitischen Spannungen mit der Supermacht USA. Handelsbarrieren und Zölle beeinträchtigen den Warenverkehr. Eine Entspannung ist derzeit nicht absehbar – schon gar nicht im anstehenden US-Wahljahr. Zudem belastet die Taiwan-Frage das Verhältnis zum Westen. Eine (militärische) Eskalation zwischen China und Taiwan wäre ein Super-GAU für die Weltgemeinschaft. 

Aktienmarkt China – Unterdurchschnittliche Performance bei hoher Volatilität

Das Narrativ der globalen Wachstumslokomotive China erhält Risse und lässt sich inskünftig kaum mehr aufrechterhalten. Zwischen 1990 und 2010 konnte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) relativ konstant im hohen einstelligen bzw. gar im zweistelligen Prozentbereich gesteigert werden. Seither sinkt die Wachstumsrate kontinuierlich. Im Jahr 2022 lag sie gerade noch bei 3.9%. Längerfristig dürfte die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt «nur» noch ein Potenzialwachstum im tiefen einstelligen Prozentbereich aufweisen.

Für Anlegerinnen und Anleger bleiben direkte Investitionen in chinesische Aktien nicht bloss aufgrund der abnehmenden Wachstumsdynamik eine Herausforderung. Auch willkürliche regulatorische Eingriffe der Regierung sowie politische Risiken müssen einkalkuliert werden. Damit einher geht die berechtigte Frage, ob China aus Nachhaltigkeitssicht (ESG-Kriterien) überhaupt «investierbar» ist. Im Rückblick haben sich Investitionen in chinesische Aktien performancemässig nicht ausgezahlt. Hinzu kommt eine hohe Volatilität, was die Nerven der Investoren zusätzlich strapaziert.  

Kursentwicklung des CSI 300, Hang Seng Index, MSCI World Index und Swiss Performance Index (SPI), währungsbereinigt und indexiert

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Trotzdem bleibt China aufgrund seiner Grösse relevant. Anstelle von Direktinvestitionen kann ein Exposure aber auch über Aktien von westlichen Unternehmen mit einer entsprechenden Präsenz im Reich der Mitte aufgebaut werden. Luxusgüterkonzerne wie LVMH, Hermès, Richemont oder Swatch erwirtschaften einen signifikanten Teil ihres Umsatzes und Ertrags in Hongkong und Festlandchina. Auch diverse Industriekonzerne haben eine starke Präsenz vor Ort. Sollte also der Motor in China (zumindest zyklisch) in naher Zukunft wieder zum Laufen kommen, kann davon indirekt profitiert werden.

Der CIO erklärt: Was heisst das für Anleger?

Die Hoffnungen auf eine starke zyklische Erholung nach dem Ende der Null-Covid-Strategie in China haben sich in Luft aufgelöst. Der Hang Seng Index sowie die Festlandbörse Shanghai Shenzhen liegen in Franken gerechnet über 10% im Minus. Aufgrund des hohen Gewichts von gut 30% im Emerging Markets Index kann es daher auch nicht erstaunen, dass Schwellenländeraktien insgesamt an Wert eingebüsst haben.

Neben den zyklischen Problemen kommen auf China zunehmend auch strukturelle Herausforderungen zu. Dazu gehören die Demografie, die anhaltenden geopolitischen Spannungen mit dem Westen sowie ein in Schieflage geratener Immobiliensektor. Aus diesen Gründen sind wir anlagetaktisch bei Schwellenländeraktien seit längerem untergewichtet. Wer an eine zyklische Erholung im Reich der Mitte glaubt, dem empfehlen wir eine Fokussierung auf hiesige Unternehmen, welche ein hohes Exposure in China haben. Dazu gehören Titel wie Swatch, Richemont oder Schindler.

Matthias Geissbühler, CIO Raiffeisen Schweiz