Grosse Schweizer Unternehmen spielen auf dem Weltmarkt in der obersten Liga mit. Damit dies so bleibt, müssen sie ihre qualitative Wettbewerbsfähigkeit permanent unter Beweis stellen und sich gegen die günstigere ausländische Konkurrenz durchsetzen. Gemäss Martin Neff, Chefökonom bei Raiffeisen Schweiz, dürfte dies gelingen.
Herr Neff, in internationalen Wettbewerbsrankings belegt die Schweiz regelmässig den ersten Platz. Was macht unser Land so wettbewerbsfähig?
Martin Neff: Dafür sind verschiedene Faktoren verantwortlich, die unter dem Begriff der Standortattraktivität zusammengefasst werden können. Sie umfasst Komponenten wie etwa Rechtssicherheit und eine attraktive Steuerpolitik. Der Finanzhaushalt im öffentlichen Sektor ist in der Schweiz im Lot. Dazu verfügt das Land über eine hervorragende Infrastruktur sowie eine starke «Workforce», sprich bestens ausgebildete Fachkräfte. Und schliesslich ist auch die Technologie in der Schweiz bezüglich Entwicklungsstand und Nutzungsgrad international auf einem Topniveau.
Die Schweiz als «sicherer Hafen» für Investitionen aus aller Welt?
M. N.: Natürlich verleihen die genannten Standortfaktoren dem Land eine hohe Stabilität, die Investoren und Unternehmen anzieht. Die Folge ist ein überaus starker Franken. Dies ist dann natürlich die Kehrseite der Medaille und eine Hypothek für die hiesige Exportindustrie.
Die Schweizer Unternehmenslandschaft besteht zu 99 Prozent aus KMU, deren Innovationskraft weltweit bewundert wird. Inwiefern profitieren auch hiesige Grossunternehmen von der starken KMU-Wirtschaft?
M. N.: Viele KMU sind auch innerhalb der Landesgrenzen wichtige Zulieferer für Grossunternehmen. Ich denke da zum Beispiel an die Uhren- oder Maschinenindustrie. Im Sinne einer Auslagerung von Prozessen werden dadurch wertvolle Synergieeffekte erzielt. Denn eine Maschine kann als Endprodukt letztlich nur so präzis arbeiten wie die darin verbauten Einzelteile. Wir beobachten in der Schweiz also einen intensiven Knowhow-Transfer zwischen KMU und Grossunternehmen. Davon profitieren beide Seiten, auch bezüglich ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit.
Sind denn Schweizer Grosskonzerne im internationalen Vergleich besonders wettbewerbsfähig?
M. N.: Das sind sie auf jeden Fall, wobei man zwischen den einzelnen Branchen unterscheiden muss. Schaut man etwa die Textilindustrie an, gab es früher in der Schweiz Maschinenhersteller mit führenden Positionen im Weltmarkt. Das ist heute längst Vergangenheit. Genauso wie die Blütezeit der Schweizer Bekleidungsindustrie. Auch die bis vor nicht allzu langer Zeit enorm starke Schweizer Position im weltweiten Banking-Sektor hat stark gelitten. Aktuell sind dafür Konzerne aus dem Pharmasektor (Novartis, Roche) und der Biotechnologie global ganz vorne dabei. Dazu kommt die unbestritten starke Weltmarktposition des diversifizierten Nahrungsmittelkonzerns Nestlé sowie die Schweizer Uhrenindustrie (z.B. Swatch), die im internationalen Wettbewerb nach wie vor den Takt angibt.
Welche Komponenten machen den globalen Erfolg dieser Unternehmen aus?
M. N.: Einerseits ihre hohe Innovationskraft und dazu die Fähigkeit, eine effiziente prozessuale Fertigung auf höchstem Niveau aufrecht zu erhalten. Da beziehe ich mich etwa bei der Uhrenindustrie wieder auf den vorher besprochenen Knowhowtransfer mit den hiesigen KMU und Zulieferern.
Welche Bedeutung für den Erfolg messen Sie der Schweizer Finanz- und Geldpolitik bei?
M. N.: Wie eingangs erwähnt eine sehr hohe. In Bezug auf einen gesunden Staats- und Finanzhaushalt ist die direkte Demokratie jeder anderen Staatsform aus meiner Sicht weit überlegen. Das Schweizer Volk kontrolliert ganz direkt, dass beim Staat die Ausgaben nicht aus dem Ruder laufen. Was die Geldpolitik betrifft, stellen sich zurzeit aber Fragen. Die Schweizer Nationalbank ist in den letzten Jahren infolge der weltweit expansiven Geldpolitik in eine unangenehme Situation geraten. Es wird wichtig sein, sich so gut wie möglich wieder aus dem Experiment dieser ultraexpansiven Geldpolitik zu verabschieden. Zudem bleibt auch die Währungsthematik für die Exportnation Schweiz weiterhin besonders delikat.
Ist die Währungsthematik eine der wesentlichen, wenn nicht sogar die wichtigste Herausforderung der nächsten Jahre?
M. N.: Das kann man so sehen. Was Grossunternehmen längst tun, wird auch für Schweizer KMU immer wichtiger. Nämlich die Währung absichern.
Betrifft dies in erster Linie den Euro?
M. N.: Die EU-Staaten werden auch in Zukunft die wichtigsten Handelspartner für Schweizer Unternehmen bleiben. Allerdings hat die Abhängigkeit zuletzt nachgelassen. Märkte wie Nordamerika und insbesondere China, Indien, die übrigen Länder aus Südostasien oder die Golfstaaten haben prozentual stark aufgeholt. Ohne die EU geht es weiterhin nicht, aber das Klumpenrisiko Euro ist für Schweizer Unternehmen kleiner geworden.
Welche Hausaufgaben müssen Schweizer Grossunternehmen erledigen, um unabhängig von politischen Entwicklungen an den globalen Märkten präsent und erfolgreich zu bleiben?
M. N.: Wesentlich ist vor allem ein Faktor: ihre qualitative Wettbewerbsfähigkeit. Unter Qualität verstehe ich Technologie- und Knowhow-Führerschaft. Schweizer Grossunternehmen sind eigentlich schon fast dazu «verdammt», in diesen Bereichen ganz an die Spitze zu kommen oder ihren bestehenden Vorsprung auf die internationalen Mitbewerber zu halten. Das bedingt eine enorme Innovationskraft und die sehr gute Handhabung neuer Technologien. Das ist essenziell, zumal eine preisliche Wettbewerbsfähigkeit für Schweizer Unternehmen nie realistisch sein wird. Wir sind ein Hochpreis- und Hochlohnland und werden es bleiben.
Sehen Sie diesen unbedingten Erfolgszwang auch als Vorteil?
M. N.: Auf jeden Fall hält er die Schweizer Unternehmen ständig auf Trab, treibt sie zu Innovation und Leistung an. Das ist ein hartes, aber natürlich sehr gutes Training. Und wer viel und hart trainiert, hat bekanntlich auch im Wettkampf oft die Nase vorn.
Wie beurteilen Sie die Chancen, dass Schweizer Grossunternehmen ihre internationale Position in den nächsten 10 bis 20 Jahren halten oder weiter ausbauen?
M. N.: In der traditionellen alten Welt der reifen Industrienationen würde ich nach wie vor meinen ganzen Einsatz auf die Schweiz verwetten. Allerdings hat sich die Weltwirtschaft als Folge der rasanten Globalisierung ziemlich verändert. Heute treten Schweizer Unternehmen gegen andere Konkurrenten an als vor 30 Jahren. Heute lauern die Konkurrenten vor allem in China und Südostasien, wo die Technologieaffinität mittlerweile fast ausgeprägter ist als in der Schweiz. Handkehrum ist die Wirkung des Trumpfs «Swissmade» gerade in diesen Ländern, die ja auch wachsende Absatzmärkte sind, sehr stark. Ich denke zum Beispiel an Uhren.
Die grössten Konkurrenten bringen also zugleich auch die lukrativsten Wachstumschancen?
M. N.: Ja. Das gilt auch für die Pharmaindustrie, zumal in Ländern wie China oder Indien das Gesundheitsbewusstsein der Menschen rasant wächst und sich dadurch natürlich Marktchancen ergeben. Aber auch hier wachsen vor Ort neue Mitbewerber heran, die zum Beispiel im Segment der Generika viel günstiger produzieren können. Insgesamt bin ich gleichwohl überzeugt, dass die Chancen für Schweizer Unternehmen auf dem internationalen Parkett, sofern sie weiter Topqualität abliefern, auch zukünftig überwiegen.
Martin Neff ist seit April 2013 Chefökonom der Raiffeisen-Gruppe. Er war nach Abschluss seines Studiums der Volkswirtschaftslehre an der Universität Konstanz zunächst als Berater bei der S&Z GmbH in Allensbach, Deutschland, tätig bevor er 1988 zum schweizerischen Baumeisterverband (SBV) in Zürich wechselte. Dort wirkte er als Bereichsleiter für Konjunkturbeobachtung. Ende 1992 trat er ins Economic Research der Credit Suisse ein, baute dort den Schweiz Research auf und leitete diesen. 2008 wurde er zum Leiter des gesamten Economic Research und Chefökonomen der CS ernannt. Martin Neff ist neben seiner breiten ökonomischen Expertise ein ausgewiesener Kenner der Schweizer Immobilienmärkte. Seine Analysen waren ein wichtiger Bestandteil der Expertise der Credit Suisse in wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Themen. Martin Neff ist zudem als Fachrat und Dozent im Institut für Finanzdienstleistungen (IFZ) in Zug tätig und lehrt an der Donau-Universität in Krems, Österreich, Immobilienökonomie.